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Schwierige Lage in der Pflege : Flucht aus dem Job

Viele Fachkräfte haben wegen der schlechten Arbeitsbedingungen ihren Beruf aufgegeben. Dabei wächst der Bedarf an Pflegern stetig an.

28.03.2022
2024-03-14T12:01:37.3600Z
7 Min

Der Mangel an Pflegefachkräften ist seit Jahren ein Kernproblem in der Gesundheitsversorgung. Die Kombination aus einem stark erhöhten Mitarbeiterbedarf und einer schwindenden Bereitschaft, sich den Härten des Pflegealltags zu stellen, führt zu einem wachsenden Personaldefizit in der Branche. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, um die Attraktivität des Berufes zu steigern und der Fluchtbewegung entgegenzuwirken. Der Erfolg ist bisher allerdings eher mäßig.

Foto: picture-alliance/SZ Photo/Rainer Unkel

In der Coronakrise sind Pflegekräfte für ihre Leistung gefeiert worden. Sie fordern aber weiter höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Seit die Coronakrise über Deutschland hereingebrochen ist, hat sich die ohnehin schwierige Lage für Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern, Altenheimen oder ambulanten Pflegediensten noch einmal verschärft. Der Beruf gilt vielen Fachkräften nicht mehr als attraktiv. Die als zu gering empfundene Bezahlung ist dabei nur ein Kritikpunkt.

Aufreibende Schichten an der Tagesordnung

Viele Pflegefachkräfte, die mit Enthusiasmus in den Beruf eingestiegen sind, scheiden aus, weil sie mit ihrer Aufgabe psychisch und physisch überfordert sind und das Gefühl haben, als Lückenbüßer eingesetzt zu werden. Wie Berichte aus dem Alltag von Pflegern zeigen, gehen Fachkräfte auch nach einer aufreibenden Schicht mit dem Eindruck nach Hause, die Patienten unzureichend versorgt zu haben, weil die Zeit für eine angemessene Betreuung einfach nicht ausgereicht hat.

Zwischen 2019 und 2021 haben nach einem Bericht der European Federation of Public Service Unions (EPSU) in der EU insgesamt 421.000 Beschäftigte der Pflege ihren Job aufgegeben. Die Gewerkschaft fordert von den EU-Staaten eine Langfriststrategie für die Pflegebranche, um der Abwanderung zu begegnen und in Zukunft über ausreichend Fachkräfte zu verfügen.

Mehr als 180.000 fehlende Pflegekräfte bis 2030

Die Barmer-Ersatzkasse rechnet in ihrem Pflegereport "konservativ" mit mehr als 180.000 fehlenden Pflegekräften bis 2030, bei dann insgesamt rund sechs Millionen Pflegebedürftigen. Auch das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) geht in einer Projektion von 2018 von einem erheblichen Mehrbedarf an stationären und ambulanten Pflegekräften in der Zukunft aus. Demnach könnten im Jahr 2035 weitere 150.000 Fachkräfte in der Pflege benötigt werden.

Der Gesundheitsforscher Heinz Rothgang forderte: "Den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, muss ein zentrales Anliegen werden." Und Barmer-Chef Christoph Straub warnte: "Angesichts der steigenden Zahl Pflegebedürftiger und der bereits heute großen Zahl an fehlenden Pflegekräften ist Deutschland auf dem besten Wege, in einen dramatischen Pflegenotstand zu geraten." Andere Experten und Politiker sind schon länger der Ansicht, dass in Deutschland ein akuter Pflegenotstand besteht. Die Linke fordert eine koordinierte Rückholaktion für ehemalige Pflegekräfte.


„Den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, muss ein zentrales Anliegen werden.“
Heinz Rothgang, Gesundheitsforscher an der Universität Bremen

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2019 rund 1,4 Millionen Arbeitnehmer in der Pflege beschäftigt, rund 593.000 in Pflegeheimen, rund 458.000 in Krankenhäusern und rund 361.000 in ambulanten Pflegediensten.

Pflegekräfte seien häufiger rund um die Uhr im Einsatz als die meisten anderen Erwerbstätigen, Schicht- und Wochenendarbeit verlangten ihnen auch ohne eine pandemische Ausnahmesituation viel ab, heißt es in einer Mitteilung der Behörde von Mai 2021.

Pflege wird zu 79 Prozent von Frauen geleistet

Etwa 60 Prozent der Krankenpfleger und 57 Prozent der Altenpfleger arbeiten im Schichtdienst. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten sind nach Einschätzung der Statistikbehörde vermutlich ein Grund für die hohe Teilzeitquote in der Pflege. So waren 2019 rund 37 Prozent der Krankenpfleger in Teilzeit beschäftigt, bei den Altenpflegern lag die Quote sogar bei 46 Prozent.

Ein anderer Grund sei darin zu sehen, dass die Pflege zu 79 Prozent von Frauen geleistet werde, die aus unterschiedlichen Gründen häufiger in Teilzeit arbeiteten als Männer. Die Statistiker haben aber auch einen erfreulichen Gegentrend ausgemacht: So hätten 2019 insgesamt 71.300 junge Frauen und Männer eine Ausbildung in einem Pflegeberuf begonnen, acht Prozent mehr als im Vorjahr und 39 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Das war allerdings vor der Coronakrise, die noch einmal deutlich mehr Belastung für die Pflegekräfte mit sich bringt.

Neue Ausbildung nach Reform

Um die Branche zu stärken, reformierte die Bundesregierung 2017 die Ausbildung. Dabei stritten Experten über die Frage, ob eher Generalisten oder Spezialisten herangebildet werden sollten. Der Kompromiss sieht eine mindestens zweijährige generalistische Ausbildung vor sowie eine mögliche einjährige "Vertiefung" in der Kinderkranken- und Altenpflege.

Die Ausbildung dauert nun drei Jahre und wird vergütet. Neu eingeführt wurde ein Pflegestudium. Experten machten sich für die Generalistik stark, weil in den Krankenhäusern der Anteil älterer, demenziell erkrankter Patienten steigt und in den Pflegeheimen der medizinische Behandlungsbedarf der Bewohner zunimmt. Auch die ambulante Pflege setzt auf flexibel einsetzbare Pflegekräfte.

Dennoch ist der Markt für Pflegefachkräfte seit Jahren quasi leer. Und der Bedarf wächst, weil die Zahl der Pflegebedürftigen immer größer wird. Forscher des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) kommen laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in ihrem Pflegeheim Rating Report zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit rund 4,1 Millionen bis 2030 auf 4,9 Millionen und bis 2040 auf 5,6 Millionen steigen wird. Daraus folgt, dass nicht nur mehr Pflegekräfte benötigt werden, sondern bis 2040 auch weitere 322.000 stationäre Pflegeplätze. Die Forscher rechnen dem Bericht zufolge mit notwendigen Investitionen von bis zu 125 Milliarden Euro.

Pflegefachkräfte aus Mexiko und Brasilien gewinnen

Um den Fachkräftemangel auszugleichen, wirbt die Bundesregierung auch Pflegekräfte aus dem Ausland an. Bereits seit 2012 besteht das Programm "Triple Win" der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), das zum Ziel hat, Pflegefachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Das Programm umfasst den Angaben zufolge die Länder Bosnien und Herzegowina, Philippinen und Tunesien. Aus Vietnam und El Salvador wurden Auszubildende für die Pflege angeworben.

Ferner werbe die BA Pflegefachkräfte aus Mexiko und Brasilien an. Alle Aktivitäten würden im Sinne einer fairen Migration in Abstimmung mit staatlichen Partnern vor Ort umgesetzt, versichert die Bundesregierung. Damit den ausländischen Fachkräften den Einstieg erleichtert wird, kümmert sich die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) um Anträge für Visa, Berufsanerkennung und Arbeitserlaubnis.

Verhaltender Beifall von Pflegeverbänden für Konzertierte Aktion

Angesichts des chronischen Personalmangels haben im Juli 2018 die Bundesministerien für Gesundheit, für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für Arbeit und Soziales die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen und die Ausbildung von Pflegekräften zu verbessern.

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Fünf Arbeitsgruppen wurden gebildet, die sich unter anderem mit der Ausbildung und Qualifizierung, Entlohnung in der Pflege und mit der Anwerbung ausländischer Pflegekräfte befassten. Im August 2021 zogen die drei Ministerien ein positives Zwischenfazit und erklärten, es sei gelungen, neue Pflegekräfte anzuwerben und höhere Löhne zu vereinbaren. Die Umsetzung der Ziele werde weiter aktiv vorangetrieben.

Bei den Pflegeverbänden fällt der Beifall allerdings verhalten aus. Nach Einschätzung der Fachverbände muss noch wesentlich mehr unternommen werden, um die Branche für Pflegekräfte wieder attraktiv zu machen.