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Nachhaltige Filmbranche : Ein kleinerer Fußabdruck für die Traumfabrik

Die Filmbranche in Deutschland soll zukünftig ökologischer und nachhaltiger produzieren. Die Initiative "Green Shooting" hat dafür Kriterien vorgelegt

11.04.2022
2024-02-26T11:26:15.3600Z
5 Min
Foto: picture alliance/dpa/Gerald Matzka

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), UFA-Geschäftsführer Nico Hofmann und Schauspielerin Maria Furtwängler erörtern die Möglichkeiten, Mindeststandards von Green Shooting mit Nachhaltigkeitskriterien der Filmförderungen von Bund und Ländern zu vereinheitlichen.

Maria Furtwängler war zunächst irritiert. Plötzlich sollte sie die Bahn nehmen und nicht zum Drehort fliegen. Die Verwunderung hat sich längst gelegt. Die renommierte Schauspielerin, längst das Gesicht des Kampfes um Gleichberechtigung in der Fernseh- und Kinobranche, fährt selbstverständlich mit der Bahn.

Am Rande der diesjährigen Berlinale engagierte sie sich auf einer Podiumsdiskussion für die Initiative "Green Shooting", die ab 1. Januar 2023 einheitliche Standards für ökologisch nachhaltige Produktionen in der gesamten Branche setzt - von der TV-Show und Sportübertragung bis zur Netflix-Serie. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) unterstützt das weltweit einmalige Modell von ganzem Herzen, wie ihr in Berlin anzumerken war. Sie versprach, über die Mehrkosten mit Finanzminister Christian Lindner in Verhandlungen zu gehen.

Förderinstitutionen von Bund und Ländern haben Nachhaltigkeitskriterien entwickelt

Mit den einheitlichen Standards werden zwei Programme zusammengeführt, die die Branche in den vergangenen Jahren erprobte, um die Produktion umweltfreundlicher zu gestalten. Die Förderinstitutionen der Länder und des Bundes entwickelten ihrerseits Nachhaltigkeitskriterien, die bereits erprobt werden. Ähnliche Kriterien für ökologische Standards benannte der Arbeitskreis "Green Shooting", zu dem unter anderem die ARD Degeto oder die Constantin gehören. Wer die Bedingungen einhält, darf sich seit Anfang des Jahres mit dem Logo "green motion" schmücken.

Den Anstoß für den Arbeitskreis gab Carl Bergengruen, Chef der Filmförderung in Baden-Württemberg (MFG) und Sprecher von "Green Shooting". Er wurde von einer französischen Studie aufgeschreckt. Die Entstehung von Film-und Fernsehproduktionen verursachten danach ebenso viele Emissionen wie die gesamte Telekommunikationsbranche. Schnell fand er Mitstreiter im eigenen Umfeld, um dies zu ändern.

Ein "Tatort" nach ökologischen Kriterien produziert

Der SWR produzierte 2015 einen "Tatort" nach ökologischen Kriterien. Der ökologische Fußabdruck verringerte sich um 42 Prozent. Der Dreh wurde zur Blaupause für einen Leitfaden der MFG und für das Modell des 2017 etablierten Arbeitskreises. In 100 Produktionen der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender haben sie sich in den vergangenen beiden Jahren bewährt: Unter ihnen waren 17 Serien wie "Babylon Berlin", etliche Kinofilme und sechs Daily Soaps wie "Sturm der Liebe" und "Gute Zeiten, schlechte Zeiten".

21 Punkte hat der Arbeitskreis ausgemacht, die zu Einsparungen beitragen. Damit sich die Produzenten im Regelwerk zurechtfinden, entstand mit dem Green Consultant ein neuer Beruf. Mit 5.000 Euro fördert die MFG deren Verpflichtung. Zu den Vorgaben für die Erlangung des Siegels gehören kleine Dinge wie das Verbot von Wegwerfgeschirr beim Catering und der Ausbau veganer und vegetarischer Angebote auf dem Speiseplan.

Umweltfreundliche Fahrzeuge, Ökostrom und aufladbare Akkus statt Wegwerfprodukte

Alle Mitarbeiter nutzen die Bahn, vor Ort werden umweltfreundliche Fahrzeuge und Ökostrom sowie aufladbare Akkus statt Wegwerfprodukten genutzt. Kostüme, Ausstattungsgegenstände und Requisiten werden nicht länger nach Drehende entsorgt. Die britische Firma CAMA lagert sie ein und bietet sie je nach Wunsch des Besitzers und Beschaffenheit für weitere Drehs oder caritative Zwecke an. Was nicht länger zu gebrauchen ist, wird recycelt.

Ein großer Posten ist der Strom- und Dieselverbrauch am Set. Bei Außendrehs setzen die Initiatoren auf den Ersatz von Dieselgeneratoren und auf LED-Licht. "Die Nachfrage nach energiesparenden Equipment hat kontinuierlich zugenommen", stellt Carl Bergengruen fest.

Eine neue Generation von Equipment soll den Weltmarkt erobern 

Die Verleiher von Kameras und anderen technischen Geräten hätten bereits reagiert. "Die Branche wird zum Innovationstreiber", freut er sich. Claudia Roth hofft gar, dass von der traditionell starken optischen und technischen Filmindustrie in Deutschland eine neue Generation von Equipment entwickelt wird, das den Weltmarkt erobern kann.


„Im Bistro in Babelsberg servieren wir mittlerweile überwiegend vegetarische Gerichte.“
UFA-Geschäftsführer Nico Hofmann

"Beim Essen bin ich auf den größten Widerstand gestoßen, was ich auch respektiere", verrät UFA-Geschäftsführer Nico Hofmann. "Im Bistro in Babelsberg servieren wir mittlerweile überwiegend vegetarische Gerichte. Aber ich will Fleisch nicht verbieten." Und manchmal müsse es auch das Flugzeug sein. Zwischen Köln und Berlin brachen ihm bei Produktionen oft halbe Drehtage weg, weil die Bahn Verspätung hatte. Und "trotz Bahncard sind die Flüge auf innerdeutschen Strecken leider preiswerter", bemängelt er.

Anstieg der Kosten von vier bis 14 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Drehs

Um vier bis 14 Prozent steigen die Kosten bei den ökologischen Produktionen im Vergleich zu herkömmlichen Drehs, hat Hofmann festgestellt. Die Fernsehsender seien nicht bereit, sie zu übernehmen. Obwohl die ARD-Vorsitzende und rbb-Intendantin Patricia Schlesinger in Berlin den Willen zum ökologischen Umsteuern betonte und schwor, dass die Sender mitmachen.

Die Sender zögen sich auf die Überlegung zurück, dass die Mehrkosten wahrscheinlich nur in einer Übergangsphase von zwei bis fünf Jahren anfallen würden, so Hofmann. Anschließend werde die nachhaltige Produktion, so die Hoffnung der Initiatoren, sogar zu Einsparungen führen. Es zeichnet sich ab, dass der Staat einspringen muss, um die zeitlich überschaubaren Mehrbelastungen abzufedern.

Drehtage werden gegenseitig anerkannt

Weitere finanzielle Einsparpotentiale deuten sich an. Die einheitlichen Standards für ökologisch nachhaltige Produktionen könnten ein Vorbild sein, um den verwirrenden Förderdschungel Deutschlands zu durchforsten und einheitliche Standards einzuführen.

Die Länderförderungen Baden-Württembergs und Hessen machen zudem erfolgreich vor, was in den 1990ern zwischen Berlin und Nordrhein-Westfalen scheiterte: Um Umzüge ganzer Filmcrews zu vermeiden, bei denen die Filmfördergelder bei Transportunternehmen sowie Hotels und Gaststätten statt am Set landen, werden Drehtage gegenseitig anerkannt. Mal wird ein paar Tage mit hessischem Fördergeld im Ländle gedreht, bei einer anderen Produktion unterbleibt der Umzug in umgekehrter Richtung.

Eine Verteuerung der Drehs könnte zu einem weiteren Wettbewerbsnachteil führen

Außerdem rät Bergengruen Firmen davon ab, für ein paar Tage in sein Land zum Dreh zu kommen. Er empfiehlt stattdessen die Nutzung der technischen Infrastruktur für moderne Post-Production-Facilities, deren Ausbau Baden-Württemberg in den vergangenen Jahrzehnten zielgerichtet förderte.

Sie baut auf den Absolventen des Studiengangs in Ludwigsburg auf, den viele Spezialisten aus dem Umfeld von Roland Emmerich absolvierten. Doch es sei nicht möglich, die Steuergelder aus Hamburg oder Schleswig-Holstein ohne Kompensation woanders auszugeben, stellt Helge Albers, Chef der dortigen Moin-Förderung, klar.

Abzuwarten ist auch, wie die internationale Szene auf die deutschen Regeln reagiert. Da der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) die Fördersumme im Gegensatz zur europäischen Konkurrenz deckelt, wo bis zu 30 Prozent der Kosten erstattet werden, könnte eine Verteuerung der Drehs zu einem weiteren Wettbewerbsnachteil führen. Hollywood könnte weiter einen großen Bogen um Deutschland machen, was das Studio Babelsberg in den vergangenen Jahren bereits spürte. Kulturstaatsministerin Claudia Roth sollte den DFFF deshalb bei den versprochenen Reformen nicht vergessen. Eine europäische Initiative dazu hat sie auch angekündigt.