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Foto: picture-alliance/ASSOCIATED PRESS
Impfstoff-Herstellung bei BioNTech: Die neuen mRNA-Wirkstoffe ließen die Kassen der Konzerne klingeln.

Profite in der Pandemie : Die neuen Milliardäre

Die Corona-Impfstoffe bescheren der Pharmabranche riesige Gewinne.

11.04.2022
2024-02-14T11:34:49.3600Z
6 Min

Ist die Pharmaindustrie der Profiteur der Corona-Pandemie mit "unanständigen Gewinnen" wie der Chef des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, kritisierte? Angesichts der Massenbestellungen von Medikamenten, Impfdosen und Diagnostika wird den Regierungen der großen Industrieländer vorgeworfen, der Pharmaindustrie mit öffentlichen Geldern zu exorbitanten Gewinnen verholfen zu haben. Es sei verrückt, twitterte Aaron Siri von der New Yorker Anwaltskanzlei Siri & Glimstade, dass die US-Regierung den Konzernen Pfizer und Moderna Milliarden für die Entwicklung von Impfstoffen schenken würde, ihnen zudem Immunität bei Schadensfällen sowie potentieller Wirkungslosigkeit gewähren und kostenlos Werbung für ihre Produkte machen würde.

Kritik an Profiten trotz Subventionen

Auch Eli Zupnick, Vertreter der amerikanischen Patientenvertretung "Accountable US", sagt, es sei absolut falsch, dass Pfizer und Moderna von den COVID-19-Impfstoffen, die so stark von den US-Steuerzahlern subventioniert und unterstützt wurden, profitieren und dass ihre Führungskräfte ein "riesiges persönliches Vermögen machen". Die People's Vaccine Alliance (Zusammenschluss u.a. von African Alliance, Global Justice Now, Oxfam und UNAID) schätzt, dass Pfizer, BioNTech und Moderna im Jahr 2021 mit ihren Impfstoffen insgesamt einen Gewinn vor Steuern in Höhe von 34 Milliarden Dollar erzielt haben, was 93,3 Millionen Dollar pro Tag entspricht. Die Unternehmen hätten während der Pandemie fünf neue Milliardäre hervorgebracht, die zusammen derzeit über ein Nettovermögen von 35,1 Milliarden Dollar verfügen.

Mindestens 15 Milliarden US-Dollar Steuergelder ließ sich die Administration von Präsident Donald Trump ihre Initiative Operation Warp Speed kosten, mit dem Ziel, sich bis Januar 2021 über 300 Millionen Dosen eines Impfstoffs zu beschaffen. Die US-amerikanische BARDA (Biomedical Advanced Research and Development Authority) investierte im Finanzjahr 2021 in ihrem COVID-19 RESPONSE Programm 33 Milliarden Dollar in Forschung, Entwicklung und Produktion von Impfstoffen, Medikamenten, Diagnostika und für klinischen Studien. Der überwiegende Anteil der jetzt am Weltmarkt befindlichen Therapeutika, Impfstoffe und Diagnostika wurde so über den amerikanischen Staat gefördert. Dazu gehören die therapeutischen Antikörper von AstraZeneca, Eli Lilly, Vir/Pfizer, Regeneron/Roche; die Arzneimittel Paxlovid (Pfizer), Molnupiravir (Merck), Actemra (Genentech/Roche), Baricitinib (Eli Lilly) sowie die Vakzine von Pfizer/BioNTech, Moderna, Sanofi/GSK, AstraZeneca, Johnson & Johnson und Novavax.

Erstattung in Höhe von rund sieben Milliarden Euro

In Deutschland wurden bis Ende 2021 für die Covid-19-Impfkampagne rund sieben Milliarden Euro erstattet; darunter fallen Kosten für die Impfstoffbeschaffung, die Logistik und die Vergütung der impfenden Leistungserbringer. Laut Angaben des Bundesamts für soziale Sicherung wurden 7,58 Milliarden Euro für Corona Tests ausgegeben. Im Jahr 2020 wurden 750 Millionen Euro in die Entwicklung von Corona-Impfstoffen investiert, hauptsächlich in BioNTech und Curevac, welche im Gegenzug einen Anteil an produzierten Dosen für die Bundesrepublik garantierten. 40 Millionen Euro gingen 2020 in die Grundlagenforschung und 300 Millionen ab Mitte des Jahres 2021 in die Förderung der Entwicklung von Therapeutika und Vakzinen.

Tatsächlich führte die Corona-Pandemie in der Pharmaindustrie zu einem der stärksten Wachstumsschübe seit Jahrzehnten. Die 30 größten Unternehmen der Branche hatten nach Berechnung des Handelsblatts ihren Umsatz in den ersten neun Monaten 2021 um rund 108 Milliarden Dollar auf zusammen fast 600 Milliarden Dollar gesteigert; zwei Drittel des Wachstums entfallen auf den Corona-Effekt. 50 Milliarden Dollar an zusätzlichen Umsätzen können die drei führenden Impfstoffhersteller Pfizer, BioNTech und Moderna verbuchen. Die US-Konzerne Gilead, Regeneron, Eli Lilly und Roche erzielten zwölf Milliarden Dollar mit Medikamenten gegen Covid-19.

Der US-Konzern Pfizer konnte mittels seines Corona-Impfstoffes, den der Konzern gemeinsam mit BioNTech entwickelte, den Umsatz im vergangenen Jahr um 95 Prozent auf rund 81,3 Milliarden Dollar und den Nettogewinn um 140 Prozent auf 22 Milliarden Dollar steigern. Für 2022 wird mit bis zu 102 Milliarden Dollar Umsatz und bis zu 38 Milliarden Dollar Gewinn gerechnet; auch wegen des neu entwickelten Corona-Medikamentes Paxlovid. Dies ist so viel wie noch nie ein einzelnes Pharmaunternehmen jemals verdienen konnte. Zugleich schafften es BioNTech aus Mainz sowie die US-Firmen Moderna und Regeneron unter die 25 umsatzstärksten Pharmafirmen der Welt zu kommen.

Auch das reguläre Pharmageschäft besserte sich im Jahresverlauf 2021 deutlich. Ohne die Covid-Umsätze erreichten die Top 30 der Pharmabranche einen Umsatzanstieg von sieben Prozent auf 531 Milliarden Dollar in den ersten neun Monaten, ein reales Wachstum um die fünf Prozent.

Das Wachstum des angestammten Pharmageschäftes (ex Corona) stammt vorwiegend aus Nachholeffekten eines durchwachsenen Jahres 2020. Unter der Pandemie und der damit verbundenen Lockdown-Maßnahmen waren die Verordnungen in etlichen Teilbereichen des Pharmamarkts rückläufig. Nach Angaben der Unternehmensberatung EY führte Corona zu deutlichen Verzögerungen von Behandlungen; in Krankenhäusern wurde weniger operiert. Bei Arzneimitteln für Herz- und Kreislauferkrankungen stagnierten die Erlöse, nachdem sie jahrelang noch deutlich gestiegen waren. Bei Therapeutika für Atemwegserkrankungen und bei Dialysebehandlungen sanken die Umsätze.

Onkologie bleibt das wichtigste Marktsegment

Das wichtigste Marktsegment bleibt nach wie vor die Onkologie mit einem Branchenumsatz von mehr als 200 Milliarden Euro; mehr als ein Drittel des gesamten globalen Pharmageschäfts. 2020 steigerten die 21 weltgrößten Pharmakonzerne ihren Umsatz in der Onkologie trotz Corona um stattliche 14,6 Prozent, und für die kommenden Jahre werden Zuwachsraten von zehn Prozent prognostiziert. Ähnlich starkes Wachstum versprechen nur die Augenheilkunde und die Behandlung seltener Erkrankungen.

Ein riesiges Potenzial nicht nur für die Krebsforschung verspricht die mRNA-Technologie, die von BioNTech und Moderna im Kampf gegen Corona erfolgreich eingesetzt wird. Laut den Beratern von EY hat durch Corona das Geschäft mit Impfstoffen eine Renaissance erlebt. Besonders die Biotech-Branche stehe durch Trends wie der Digitalisierung sowie neue Gen- und Zelltherapien vor einem beschleunigten Wachstum.

Vom Labor-Experiment bis zum fertigen Produkt mRNA- Impfstoff hat es mehr als 30 Jahre und etliche Rückschläge gebraucht. Im Jahre 1987 vermischte Robert Malone vom Salk Institute for Biological Studies im kalifornischen La Jolla messenger-RNA (mRNA) mit Fetttröpfchen (Liposomen) und beobachtete, wie menschliche Zellen die mRNA aufnahmen und damit Proteine produzierten. In den 1990er Jahren versuchte Merck (USA), einen mRNA-basierten Grippeimpfstoff zu entwickeln; allerdings waren damals die Kosten zu hoch und die Herstellung zu kompliziert. In den folgenden Jahren beendeten die meisten Impfstoffunternehmen die Arbeit mit mRNA, da diese zu instabil und in der Herstellung zu teuer war.

Die Entdeckung des mRNA-Verfahrens

Ingmar Hoerr entdeckte im Jahr 2000, dass eine direkte Injektion von mRNA bei Mäusen Immunreaktionen hervorrief, und gründete Curevac. Die Biochemikerin Katalin Karikó und der Immunologe Drew Weissman von der University Pennsylvania verbesserten Malones Methode und begannen mit der Entwicklung eines mRNA-basierten Impfstoffs gegen HIV/Aids. Die Basis-Patente wurden von ihrer Universität an einen kleinen Laborausrüster übertragen und erwirtschaften diesem nun hunderte von Millionen Dollar an Unterlizenzgebühren - bezahlt von Moderna und BioNTech. Katalin Karikó leitet seit 2014 bei BioNTech die mRNA Protein Abteilung

Profiteur der Corona Pandemie sind vorwiegend US-amerikanische Biotech- und Pharmakonzerne; britische Konzerne wie GSK und AstraZeneca mit großen Entwicklungsabteilungen in den USA gewannen deutlich weniger. AstraZeneca schloss zudem mit dem Vakzin-Entwicklungspartner Uni Oxford eine Non-Profit-Vereinbarung für die Dauer der Pandemie.

Dominanz der US-Amerikaner

Der frühzeitige und mächtige Einsatz von viel staatlichem Kapital, Know-How, exzellenter Infrastruktur für klinische Studien und die Fähigkeit, schnell und unbürokratisch komplexe Kooperationen zwischen Unternehmen, Forschungsinstitutionen wie dem NIH und Kliniken aufzubauen, begründet die Dominanz der US-Amerikaner.

Nimmt man als Indikator für die pharmazeutische Innovationskraft die weltweiten medizinischen Durchbrüche und die assoziierten Patente, sind laut einer Analyse von Eckert und Maennig US-Unternehmen von 2010 bis 2019 für 55 Prozent der weltweiten medizinischen Durchbrüche verantwortlich, ihre deutschen Konkurrenten für rund neun Prozent. Bei den zugrundeliegenden Ankerpatenten ist die Dominanz der USA mit 62 Prozent noch größer - aus Deutschland kommen nur sieben Prozent. US-Universitäten halten 3,8 Prozent aller Ankerpatente - deutsche Universitäten keine. Die Schwäche der deutschen Universitäten wird auch nicht durch die deutschen außeruniversitären Forschungsinstitute ausgeglichen.

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Ein Teil der Pharma-, Diagnostik- und Biotechindustrie hat enorm durch die Corona-Pandemie profitiert. Die hohen Zusatzumsätze sind für die kommenden Jahre jedoch nicht in Stein gemeißelt; auch die spanische Grippe ebbte nach drei Jahren Pandemiedauer 1922 ab. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in diesem Jahr weitere wirksame Impfstoffe auf den Markt kommen und den jetzigen mRNA-Platzhirschen Konkurrenz machen - gerade auch in der Preisgestaltung. Der "Corona- Boom" wird wahrscheinlich langsam nachlassen.