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Parlamentarisches Profil : Der Tempomacher: Anton Hofreiter

Lange hat sich Anton Hofreiter gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. Jetzt fordert der Grünenpolitiker schwere Geschütze für die Ukraine.

02.05.2022
2024-02-27T17:12:31.3600Z
4 Min

Der Krieg in der Ukraine macht einen langsam und leise. So ist es jedenfalls bei Anton Hofreiter, als er von ihm zu sprechen beginnt. "Mit den Worten macht man sich die Schrecknisse bewusst", sagt er. Für Hofreiter, 52, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, ist es das Bild eines schwerstverletzten ukrainischen Soldaten. "Wir besuchten ihn und andere Soldaten in einem Krankenhaus, es war voller Verwundeter", erinnert er sich. "Diese Bilder nimmt man mit." Und dann leben sie fort, auch hier im Ausschussbüro des Paul-Löbe-Hauses in Berlin, wo alles hell und aufgeräumt und sanft wirkt.

Foto: Deutscher Bundestag/Felix Zahn/photothek

Anton Hofreiter (52), Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Hofreiter war im April in die Ukraine gereist, gemeinsam mit den Vorsitzenden der Ausschüsse für Verteidigung und für Auswärtiges. Das schweißte die drei ein Stück weit zusammen - eine Geste der Solidarität mit dem angegriffenen Land. Leise und langsam führt der Münchener fort: "Ich sehe es aus linker Perspektive klar: Es handelt sich um einen imperialen und kolonialen Angriffskrieg. Da stehen wir auf der Seite der Schwächeren." Und die fordern Waffen. Und so machte sich Hofreiter, bei den Grünen auf dem linken Flügel beheimatet, für die Lieferung schwerer Waffen stark, lange vor anderen in der Ampel-Koalition. Er, für den es ein komisches Gefühl ist, nun sich derart intensiv mit Waffen zu beschäftigen, gehört zu den Tempomachern. "Es geht nicht anders. Die Ukrainer sollen in eine Kolonie gezwängt werden."

Wandel in der Ukrainepolitik

Noch 2017 wandte sich Hofreiter im Schatten der Kriegshandlungen in der Ostukraine gegen Waffenlieferungen. "Damals dachten wir, Länder hätten unterschiedliche Rollen", sagt er. Und wenn Deutschland liefere, so das damalige Kalkül, hätte dies für den russischen Machthaber Wladimir Putin ein Vorwand zur Eskalation sein können. "Wir hätten schon 2014 lauter sein müssen", gibt sich Hofreiter selbstkritisch.


„Ich traue Putin vieles zu. Aber im Kreml sitzt keine Gruppe von Selbstmordattentätern.“
Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen

Und was ist heute, sorgt ihn nicht, dass nun Waffenlieferungen ein Vorwand für Eskalationen sein könnten, bis hin zur Gefahr eines Atomschlags? Hofreiter lehnt sich zurück, seine Augen blitzen. "Ich traue Putin vieles zu. Aber im Kreml sitzt keine Gruppe von Selbstmordattentätern."

Hofreiter: Scholz zu zögerlich

Im Bundestag gehört er zu den Veteranen, seit 2005 ist er Abgeordneter. Vorher war der aus einer Arbeiterfamilie stammende Bayer als Schüler den Grünen beigetreten, studierte Biologie und promovierte. Forschte in südamerikanischen Tropen über Botanik, malt heute noch gern Tuschebilder von Alpenblumen. Umweltschutz war von Beginn seiner parlamentarischen Arbeit an Hauptantrieb, zuerst im Verkehrsausschuss, dann 2011 als dessen Vorsitzender. Schließlich als Co-Fraktionschef von 2013 bis 2021; 2017 bewarb er sich für den Parteivorsitz.

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Mit der Formierung der Ampel-Koalition wurde Hofreiter als Minister gehandelt, mehrere Ressorts kamen in Frage - doch das Rennen machten andere. "Das ist Schnee von gestern", wischt Hofreiter die für ihn enttäuschenden Entscheidungen vom Herbst 2021 beiseite. Für ihn gab es einen Neuanfang, wieder zurück im Paul-Löbe-Haus, aber dafür nicht mehr im Erdgeschoss wie beim Verkehrsausschuss vor über zehn Jahren, sondern zwei Stockwerke drüber. Als Stimme des Parlaments genießt er sichtlich die Unabhängigkeit. Lobt die nun vom Bundestag beschlossenen Waffenlieferungen, sagt: "Jeder Regierung tut ein selbstbewusstes Parlament gut." Und auch deshalb tat sich Hofreiter in den vergangenen Wochen so vehement mit seiner Forderung nach mehr Unterstützung für die Ukraine hervor; "als Teil des Kabinetts hätte ich eine andere Rolle". Über Kanzler Olaf Scholz hatte er gespöttelt, der sei zu zögerlich.

Es hat den Anschein, dass Natur und Umweltschutz beim Politiker von Jahr zu Jahr in den Hintergrund rücken. "Nein", erwidert er, "Klimakrise und Artensterben werden immer dramatischer, das werden mit die wichtigsten Themen des Europaausschusses sein". Gäbe es den Krieg nicht, fügt er leiser hinzu, würde das Feilen am EU-Maßnahmenpaket "Fit for 55" zu den "absoluten Arbeitsschwerpunkten" gehören. Aber den gibt es noch.