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Saudi-Arabien : Im Namen Gottes und des Erdöls

Hypermoderne Städte, westlicher Luxus, aber auch Fundamentalismus und Hinrichtungen: Das wahhabitische Königreich präsentiert sich als ein Land der Widersprüche.

03.01.2022
2024-02-26T11:42:38.3600Z
4 Min

Saudi-Arabien ist für den Westen eines der am schwersten durchschaubaren Länder der Erde. Das Königreich hat eigene Astronauten und hypermoderne Städte, Häfen und Industrieanlagen. Westlicher Luxus ist nicht nur unter der vieltausendköpfigen "Prinzengarde" weit verbreitet; doch erst seit den frühen 1970er Jahren dürfen die Untertanen des Königs fernsehen. Das Führerscheinverbot für Frauen wurde 2018 aufgehoben, und sie dürfen jetzt auch Fußball spielen und alleine reisen. Doch noch immer finden öffentliche Hinrichtungen statt. Nicht mehr als eine vorsichtige politische "Kosmetik" scheinen die "Reformen" zu sein, die der Kronprinz Muhammad Bin Salman, nicht zuletzt unter dem Druck westlicher Verbündeter wie den USA, zaghaft angestoßen hat. Und sie bleiben fragil.

Foto: picture alliance/AP/Amr Nabil

Blick auf die Kaaba in Mekka. Dass das zentrale Heiligtum des Islams in Saudi-Arabien liegt, gibt dem Königreich zusätzliche Bedeutung.

Saudi-Arabien ist die größte unter den nur noch wenigen absoluten Monarchien unserer Zeit. Mit einer Fläche von weit mehr als zwei Millionen Quadratkilometern ist das Land mit seinen 35 Millionen Menschen fast so groß wie Westeuropa. Zwei Säulen sind es, die diesen riesigen Wüstenstaat tragen: der Ölreichtum, der zu Beginn des 20. Jahrhundert entdeckt wurde und der Dynastie der Al Saud zu ihrem Aufstieg verhalf, und die religiöse Doktrin, von der dieses Land beherrscht wird, der Wahhabismus.

Monarch gilt als Hüter der heiligen Stätten

Saudi-Arabien ist das einzige vom Islam geprägte Land, welches das islamische Glaubensbekenntnis auf seiner grünen Nationalflagge trägt: "Es gibt keinen Gott, außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet". Vor allem der Ölreichtum ist es, der Riads Stellung so wichtig sein lässt und es zudem zum Verbündeten der USA (wie des Westens) werden ließ. Zusätzliche Bedeutung gewinnt das seit 1932 existierende Königreich dadurch, dass auf seinem Territorium Mekka und al-Medina liegen, jene beiden Städte, in denen der Islam entstand. Seit den 1980er Jahren gilt der saudische Monarch auch offiziell als "Hüter der beiden edlen heiligen Stätten". Die reibungslose Durchführung der jährlichen Pilgerfahrt (Haddsch) ist für die Stabilität des Regimes von nicht geringer Bedeutung. Umso bedrohlicher waren immer wieder Demonstrationen iranisch-schiitischer Pilger an der Kaaba, zumal die schiitische Minderheit in der Öl-Region im Osten des Landes lebt.

In Saudi-Arabien geht nichts ohne "Al Scheich"

Begründet wurde die wahhabitische Doktrin von Muhammad Ibn Abdul Wahhab, einem Gelehrten des 18. Jahrhunderts, der die eher liberale Haltung der Osmanen, die in Arabien Einzug gehalten hatte, ablehnte und zurück wollte zum Puritanismus. Die Menschen sollten Vergnügungen meiden, Tanz und Spiel aufgeben, nicht länger Heilige oder Mystiker verehren und so weiter. Diese strenge Auffassung von Religion machte sich die Familie der Al Saud zu eigen. Noch heute geschieht in dem Königreich weitgehend nichts ohne Absprache mit den "Al Scheich", wie man die Nachkommen Abdul Wahhabs nennt. Mit Hilfe seiner Öl-Einnahmen fördert Riad fundamentalistische Bestrebungen zwischen dem Balkan und Mittelasien. Der Grat bis zur "Unterstützung" von islamistischen Terroristen, deren man dann nicht mehr Herr wird, ist freilich schmal.

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Monarchie unter Druck

Doch wie stabil ist diese Monarchie? 1979 besetzten Fanatiker die Große Moschee zu Mekka; sie hatten den mit dem "sündigen" Westen verbündeten Sauds "Verrat" am Islam vorgeworfen. Saddam Hussein forderte 1990 die Monarchie durch seine Einverleibung Kuweits heraus, die nur mit US- Hilfe rückgängig gemacht werden konnte. Riad hatte sie als tödliche Bedrohung empfunden. Die meisten Attentäter des 11. September 2001 kamen aus Saudi-Arabien, wo Usama Bin Laden sozialisiert worden war.

Die Ermordung des saudi-arabischen oppositionellen Journalisten Jamal Kashoggi im Istanbuler Konsulat des Königreichs im Jahr 2018 scheint zu zeigen, dass die Opposition wächst. Mit dem geplanten Umstieg auf nicht-fossile Energien, zumal in Europa und Amerika, wird die Bedeutung des Öls wohl sinken. Es fällt Riad immer schwerer, den gewohnten Lebensstandard von Teilen der Bevölkerung zu halten. Das Internet bringt andere Lebensentwürfe ins Land. Die kleinen Emirate am Golf haben als Verkehrs-Drehscheiben und Finanzplätze Saudi-Arabien schon lange den Rang abgelaufen. Doch eine Implosion dieses Staates wäre eine Katastrophe, nicht nur für den Nahen Osten, der ohnehin von Krisen gezeichnet ist, sondern auch für andere Teile der Welt.


Der Autor ist Orientalist und arbeitet als freier Journalist in Neu-Isenburg.