Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat zum ersten Mal ehemalige Ortskräfte befragt. In seiner 13. Sitzung am vergangenen Donnerstag sorgten die Aussagen der zwei Afghanen zeitweise für emotionale Momente. Sie machten einmal mehr deutlich, wie chaotisch die Lage im August 2021 am Flughafen Kabul war und wie schwierig sich die Koordination zwischen den Verantwortlichen in Deutschland und vor Ort gestaltete.
Zunächst befragten die Abgeordneten einen afghanischen Journalisten, der von 2015 bis 2021 in Masar-e Scharif als Ortskraft für die Bundeswehr arbeitete. Seine Versuche, noch Monate vor dem Fall Kabuls in das Ortskräfteverfahren aufgenommen zu werden, seien gescheitert, gab er zu Protokoll. Die Begründung der Absage sei gewesen, dass seine Mitarbeit mehr als zwei Jahre zurückliege und er später für einen Subunternehmer tätig gewesen sei.
Wie es dazu kam, berichtete der Zeuge ebenfalls. Er habe zunächst einen Werkvertrag mit der Bundeswehr abgeschlossen. Einige Monate später habe man ihm mitgeteilt, dass er ab jetzt nicht mehr für die Bundeswehr, sondern für das Afghanische Medienzentrum in Nordafghanistan arbeiten werde. Er und seine Kollegen hätten neue Verträge vorgelegt bekommen, die sie zunächst nicht unterschreiben wollten - bis der neue afghanische Vorgesetzte ihnen mit Entlassung drohte. "Wir mussten unsere Familien ernähren", erklärte der Zeuge, daher hätten sie unterschrieben. Die Arbeit habe sich dadurch nicht verändert. Die Ortskräfte seien von deutschen Beratern betreut worden, ihre Gehälter seien weiterhin von der Bundeswehr bezahlt worden.
In Gefahr Nachdem US-Präsident Joe Biden den Rückzug der US-Truppen ankündigt hatte, habe er verstanden, dass sein Leben und die Sicherheit seiner Familie ernsthaft in Gefahr seien, berichtete der Zeuge. 26 Mitarbeiter hätten sich an die deutschen Behörden vor Ort gewandt und vergeblich um ihre Aufnahme in das Ortskräfteverfahren gebeten.
Die Absage habe weitere negative Folgen gehabt. Denn kurz darauf, im Mai 2021, habe der afghanische Vorgesetzter alle entlassen, weil sie angeblich einen Asylantrag gestellt hätten. Da er sich in Masar nicht mehr sicher fühlte, sei er nach Kabul geflüchtet. Zusammen mit Kollegen habe er versucht, eine Aufnahmezusage aus Deutschland zu bekommen. Ein Offizier der Bundeswehr habe ihnen geholfen. Sie hätten sich systematisch an verschiedene deutsche Behörden gewandt, aber überall Absagen erhalten. Am 9. August habe ihm auch die Bundeswehr per Mail mitgeteilt, dass er nicht am Ortskräfteverfahren teilnehmen könne. In jenen Tagen seien die Taliban auf dem Durchmarsch auf die Hauptstadt Kabul gewesen.
Am Tag, als Kabul fiel, sei er erneut von der Bundeswehr kontaktiert worden. Er solle sich mit seiner Familie an das Nordtor des Flughafens begeben, hätte der Anrufer ihm gesagt. Dort hätten Soldaten versucht, die Menge mit Warnschüssen zu vertreiben. Um seine Familie nicht zu gefährden, sei er zum Haus eines Freundes zurückgekehrt.
In der Nacht habe er erneut ein Anruf von einem Callcenter der Bundeswehr bekommen, außerdem habe er per Mail ein Dokument erhalten. Er solle mit einem bereitgestellten Bus zum Flughafen fahren und das Dokument dort den Bundeswehrsoldaten vorlegen, wurde ihm mitgeteilt.
Am Flughafen hätten die beiden Bundeswehrsoldaten seine Papiere aber nur flüchtig angesehen. Sein Name stünde nicht auf der Liste, hätten sie gesagt, um ihn dann anzuweisen, den Ort zu verlassen. Als er auf seinem Anliegen beharrte, sei er mit der Waffe bedroht worden.
Man habe ihn an diesem Tag nicht mitgenommen, obwohl mehrere seiner Kollegen mit dem gleichen Dokument nach Deutschland ausgeflogen worden seien, betonte der Zeuge. Ihm und seiner Familie sei die Flucht Monate später mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen und auf dem Landweg gelungen.
Versteckt in Kabul Die Aussagen des zweiten Zeugen, dessen Eltern erst vor kurzem im Rahmen des Ortskräfteverfahrens nach Deutschland ausreisten, deuten ebenfalls auf Probleme in der Kommunikation zwischen den deutschen Behörden hin. Mit den gleichen Dokumenten, mit denen seine Eltern ausreisen durften, habe seine Schwester nicht evakuiert werden können, so der Zeuge. Da sie wegen ihrer Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen gefährdet sei, müsse sie sich heute in Kabul verstecken.
Das Dokument, von dem der erste Zeuge sprach, liegt dem Ausschuss vor. Es sei kein übliches Schreiben der Bundesrepublik, betonen die Ausschussmitglieder. Dennoch bezweifelt inzwischen niemand die Validität des Dokuments. Der Ausschuss will nun mit Hilfe der Informationen des Zeugen versuchen herauszufinden, was schiefgelaufen ist und wo es Koordinierungsprobleme zwischen den Behörden gegeben hat.
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