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Parlamentarismus : Meilensteine vor und seit 50 Jahren

Bundestagspräsidentin Bas (SPD) würdigt die beiden ehemaligen Bundestagspräsidenten Annemarie Renger und Wolfgang Schäuble.

19.12.2022
2024-03-18T09:01:50.3600Z
3 Min

Wolfgang Schäuble (CDU) scheint sich die jüngste Mahnung von Bundeskanzler Scholz, die Deutschen sollten doch bitte nicht zu früh in Rente gehen, schon vor Jahrzehnten zu eigen gemacht zu haben.

  Foto: DBT/Jens Jeske

Der 80-jährige Spitzenpolitiker, der fast alle Ämter (außer Kanzler, was er aber auch nicht bereut) innehatte, die Politiker allgemein attraktiv finden, gehört seit 50 Jahren dem Bundestag an. Da er damit alle Rekorde gebrochen hat und da auch die SPD-Politikerin Annemarie Renger im Dezember 1972, zeitgleich mit Schäubles Bundestagsdebüt, Geschichte schrieb, würdigte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am vergangenen Donnerstag beide in einer besonderen halben Stunde vor Eintritt in die reguläre Tagesordnung.

Denn am 13. Dezember 1972 wurde zum einen Annemarie Renger, bis dato bereits sehr erfolgreich in ihrer eigenen Partei und Fraktion, zur ersten Parlamentspräsidentin weltweit gewählt. Das immerhin mit breiter Mehrheit von einem Parlament, das nur zu knapp sechs Prozent aus Frauen bestand. "Renger führte den Bundestag souverän mit natürlicher Autorität. Und mit Charme. Sie hat nicht nur bewiesen, dass Frauen 'es' können. Sie prägte die Politik in vielen Fragen", betonte Bas und würdigte unter anderem Rengers Rolle bei der Reform der Parlamentsarbeit und der Aussöhnung mit Polen und Israel und eben in Gleichstellungsfragen. Gleichwohl sei gerade bei letzterem noch viel zu tun, so Bas, die Beharrlichkeit Rengers könne auch heute noch als Vorbild dienen.

Maßstäbe gesetzt an die politische Beharrlichkeit

Schäuble wiederum war damals einer jener jungen Abgeordneten, die von Renger in ihrer Antrittsrede eigens begrüßt wurden, weil diese erstmals das Durchschnittsalter des Bundestages unter die 50-Jahres-Grenze gedrückt haben. Sehr viel weiter nach unten ist es seither nicht gegangen, derzeit liegt das Durchschnittsalter bei 47 Jahren.


Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in ihrem Büro im Berliner Reichstagsgebäude
Foto: DBT/Henning Schacht
„Auch nach 50 Jahren dienen Sie dem Parlament mit Ihrer unvergleichlichen Erfahrung, mit Ihrer Weitsicht und Ihrem intellektuellen Scharfsinn.“
Bundestagspräsidentin Bäbel Bas über Wolfgang Schäuble

Was er aber im Laufe seiner langen politischen Karriere nach oben gedrückt hat, sind Maßstäbe an die eigene Arbeit, an die politische Beharrlichkeit, über die auch Annemarie Renger auf ihrem Weg durch die Männerdomäne Politik verfügen musste. "Sie haben die Geschicke unseres Landes in den vergangenen Jahrzehnten wie nur wenige geprägt", sagte Bas. "Auch nach 50 Jahren dienen Sie dem Parlament mit Ihrer unvergleichlichen Erfahrung, mit Ihrer Weitsicht und Ihrem intellektuellen Scharfsinn", würdigte die Bundestagspräsidentin den CDU-Politiker.

Schäuble lässt sich Denkanstöße nicht nehmen

Annemarie Renger am Rednerpult im Plenarsaal zu Feierstunde.   Foto: DBT/Hans-Günther Oed

Nicht verwunderlich also, dass Schäuble schließlich noch einmal selbst das Wort ergreifen durfte. Und er nutzte dies neben persönlichen Bemerkungen für einige, aus seiner Sicht nötige politische Denkanstöße. So regte Schäuble eine breite öffentliche Debatte darüber an, wie man den Staat "durch eine grundlegende Neuordnung der Aufgaben wieder effizienter machen" könne. "Niemand behauptet ernsthaft, dass die föderale Ordnung unseres Landes, die ja im Grunde weitgehend unbestritten ist, derzeit in guter Verfassung sei", sagte er. Vielmehr sei der Staat "durch perfektionistische Überregulierung ähnlich dem gefesselten Riesen Gulliver in zu Vielem fast schon handlungsunfähig geworden".

Auch auf die Klimapolitik ging Schäuble ein: Die Mahnungen des Club of Rome, ebenfalls 50 Jahre alt, hätten in der Praxis leider zu wenig Beachtung gefunden. "Auch deswegen verstehe ich das Drängen der jungen Generation." Am Ende gab es Blumen von der CDU und stehende Ovationen aus dem ganzen Haus - und damit fast mehr Applaus als für einen Kanzler nach der Vereidigung.