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Mal absehbar, mal spannend: ein Streifzug durch 16 Bundesversammlungen. Kandidatinnen standen stets auf verlorenem Posten.

31.01.2022
2024-04-19T15:15:31.7200Z
6 Min
Foto: picture alliance/akg-images

Theodor Heuss wird am 12. September 1949 von Bundestagspräsident Erich Köhler zum ersten Bundespräsidenten vereidigt.

Noch nie hat ein amtierender Bundespräsident erneut zur Wahl gestanden, ohne im Amt bestätigt zu werden. Auch der aktuelle Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier kann am 13. Februar mit einer breiten Mehrheit rechnen. Freilich kandidierten von seinen elf Amtsvorgängern lediglich vier für eine erneute Amtsperiode - die dann nur zwei vollständig absolvierten.

Dabei hatte Heinrich Lübke, der zweite Bundespräsident, von seiner zweiten Amtszeit immerhin schon mehr als vier Jahre absolviert, als er 1968 seinen vorzeitigen Abschied zum 30. Juni 1969 ankündigte, zehn Wochen vor Ablauf der regulären Amtsdauer. Bei Horst Köhlers Demission im Jahr 2010 dagegen waren nur gut 13 Monate seit seiner Bestätigung im höchsten Staatsamt vergangen, das er seit 2004 bekleidete. Mit mehr als sechs Jahren hatte Köhler zumindest deutlich länger amtiert als sein 2010 gewählter Nachfolger Christian Wulff, der nach gut 20 Monaten zurücktrat. Damit musste 2012 erneut eine Bundesversammlung vorzeitig einberufen werden; es war die dritte in weniger als drei Jahren - das hatte es noch nicht gegeben.

2009: Erstmals zwei Kandidaten, die schon einmal zur Wahl standen

Eine Premiere anderer Art bot Köhlers Wiederwahl 2009, als mit ihm und seiner SPD-Herausforderin Gesine Schwan erstmals zwei Kandidaten antraten, die schon bei der vorherigen Bundesversammlung zur Wahl gestanden hatten. Wie 2004 gewann Köhler auch 2009 - jeweils von Union und FDP nominiert - im ersten Wahlgang.

Zugleich erinnerte die Konstellation von 2009 an die spannendste aller bisherigen Bundesversammlungen: die vom 5. März 1969. Damals regierten wie 2009 Union und SPD zusammen, ließen aber bei der Präsidentenwahl zwei Kabinettsmitglieder gegeneinander kandidieren: CDU-Mann Gerhard Schröder (nur namensgleich mit dem späteren Kanzler), erst Innen-, dann Außen-, dann Verteidigungsminister, und Justizminister Gustav Heinemann, einst selbst CDU-Innenminister und mittlerweile Sozialdemokrat. Erst im dritten Wahlgang gewann Heinemann mit 50,0 Prozent der abgegebenen Stimmen. Den Ausschlag gab die FDP, die den ersten SPD-Politiker ins höchste Staatsamt wählte - Vorbote der sozialliberalen Ära.

1979 und 1984 war das Ergebnis schon vorher absehbar

Nicht jede Bundesversammlung bot einen solchen Krimi. 1979 und 1984 etwa war das Ergebnis von vornherein klar, da die Union die absolute Mehrheit in dem Gremium hatte. Da half es der SPD 1979 nichts, mit Ex-Bundestagspräsidentin Annemarie Renger erstmals eine Frau ins Rennen zu schicken. Seitdem standen zwar bei Bundesversammlungen neben insgesamt 16 Männern auch sieben weitere Frauen zur Wahl, doch waren diese allesamt von vornherein gänzlich oder doch weitgehend chancenlos.

Obgleich Renger von 1972 bis 7976 bereits als erste Frau an der Spitze des Bundestages Geschichte geschrieben hatte, war sie 1979 für ihre Partei nur "zweite Wahl": Ursprünglich hatte die SPD die Kandidatur dem Physiker und Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker angetragen, der indes abwinkte. Sonst hätte er wohl mit seinem Bruder Richard die Erfahrung einer Niederlage in der Bundesversammlung geteilt.

1989 gab es zum einzigen Mal keine Gegenkandidaten

Richard von Weizsäcker nämlich stand 1974 als Unions-Bewerber auf verlorenem Posten gegen den sozialliberalen Mehrheitskandidaten Walter Scheel. Dafür bekam er dann 1984 auch zahlreiche SPD-Stimmen und 80,9 Prozent. Bei Weizsäckers Wiederwahl 1989 gab es zum einzigen Mal keine Gegenkandidaten; er wurde mit 86,2 Prozent bestätigt - ein Wert, den nur Gründungspräsident Theodor Heuss bei seiner Wiederwahl 1954 mit 88,2 Prozent übertraf. Heuss hatte dabei ebenfalls die Zustimmung auch der meisten Sozialdemokraten gefunden; 1949 hatte er sich erst im zweiten Wahlgang gegen SPD-Chef Kurt Schumacher durchgesetzt.

"Pfui"-Rufe gab es 1954 bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses, als sich eine Stimme für den als Kriegsverbrecher inhaftierten Karl Dönitz fand, 1945 kurzzeitig Hitlers Nachfolger als Reichspräsident. Dass auf einem weiteren Stimmzettel der damalige Chef des Hauses Hohenzollern als Staatsoberhaupt gewünscht wurde, erregte 36 Jahre nach Ende der Monarchie nur noch Heiterkeit. Auch auf Kanzler Konrad Adenauer, wie Dönitz und der Kaiser-Enkel gar nicht nominiert, entfiel 1954 eine Stimme.

Roman Herzog hatte es 1994 mit vier Gegenkandidaten zu tun

Für die folgende Präsidentenwahl von 1959 kündigte Adenauer dann zunächst seine Bewerbung an, machte aber drei Wochen vor der Wahl einen Rückzieher, um weiter die "Richtlinien der Politik" zu bestimmen. Heuss-Nachfolger wurde Heinrich Lübke (CDU). Bei dessen Wiederwahl 1964 verzichtete die SPD - anders als die FDP - auf einen Gegenkandidaten: Die erste Große Koalition kündigte sich an.

Mit vier Gegenkandidaten hatte es dagegen etwa Roman Herzog 1994 zu tun. Als Unions-Bewerber für deren ursprünglichen, dann aber zurückgezogenen Kandidaten Steffen Heitmann angetreten, behauptete sich Herzog gegen den SPD-Mann Johannes Rau erst im dritten Wahlgang - mit Unterstützung der FDP, die ihre Bewerberin Hildegard Hamm-Brücher nach dem zweiten Wahlgang aus den Rennen nahm.

Rau gelang fünf Jahre später der Sprung an die Staatsspitze. Verheiratet mit der Enkelin seines politischen Ziehvaters Heinemann, musste er sich dabei auch gegen dessen von der damaligen PDS nominierten Tochter Uta Ranke-Heinemann durchsetzen, der Tante seiner Frau. Der zweite Sozialdemokrat im höchsten Staatsamt nahm es launig: "An dem Wort ,Familienbande' ist viel Wahres dran", bemerkte er.

Mehrheit erst im zweiten Anlauf

Wie Rau und Weizsäcker fand auch Joachim Gauck erst im zweiten Anlauf eine Mehrheit der Bundesversammlung, bei der er 2012 als schwarz-rot-gelb-grüner Kandidat antrat: 79,9 Prozent langten ihm im ersten Wahlgang. 2010 dagegen musste sich Gauck, von SPD und Grünen nominiert, noch Wulffs Mehrheit von Union und FDP beugen, wenn auch erst im dritten Wahlgang.

Nach Gauck konnte 2017 auch Steinmeier auf die Stimmen von SPD. Union, Grünen und FDP zählen. Zu verdanken hatte er dies auch der einstigen Bundessprecherin der Bündnisgrünen und Gauck-Nachfolgerin an der Spitze der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler. Eigentlich wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sie damals als Unions-Kandidatin gegen den SPD-Mann Steinmeier aufstellen - ein schwarz-grünes Signal im Vorfeld der Bundestagswahl 2017. Gut 54 Prozent der Wahlleute stellten Union und Grüne zusammen in der 16. Bundesversammlung; genug, um erstmals eine Frau an die Spitze der Republik zu wählen. Doch dann sagte Birthler der Kanzlerin kurz vor der Nominierung ab - die damals 68-Jährige fühlte sich gesundheitlich nicht fit genug für das Präsidentenamt - und Merkel stellte sich mit der Union hinter ihren Außenminister Steinmeier.

2009: Nach der Niederlage als Kanzlerkandidat ins Präsidentenamt

Der setzte sich prompt im ersten Wahlgang mit großer Mehrheit gegen vier - männliche - Konkurrenten durch. Damit wechselte Steinmeier nicht nur als zweiter Außenamtschef (nach dem FDP-Mann Scheel) ins Präsidentenamt, sondern war auch der zweite Sozialdemokrat, der 2009 wie Rau 1987 als Kanzlerkandidat eine Niederlage einfuhr, um dann mit dem höchsten Staatsamt einen anderen Karrieregipfel zu erklimmen.

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