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Konjunktur : Wachstum ohne Schmerz

Bundestag debattiert über Konjunkturprognosen für 2022. Minister Habeck wirbt für Vereinbarkeit von Wohlstand und Klimaschutz

31.01.2022
2024-03-04T10:51:18.3600Z
5 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Daniel Bockwoldt

Die Ampel-Koalition will die Wirtschaft unabhängiger von Rohstoff- und Energieengpässen machen.

Die deutsche Wirtschaft anzukurbeln, ohne allein auf Exporte zu setzen oder den Klimaschutz zu vernachlässigen, das ist das erklärte Ziel von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). "Es ist möglich, den Wohlstand zu erhöhen und gleichzeitig den Schutz des Klimas und der Umwelt nach vorne zu bringen", sagte er bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts vor den Abgeordneten des Bundestages am vergangenen Freitag. Corona-Pandemie, außenpolitische Krisen und Lieferengpässe machen der deutschen Wirtschaft momentan zu schaffen. Doch es gebe auch Grund zur Hoffnung, sagte Habeck und verwies auf das prognostizierte Wachstum für das laufende Jahr.

Zwar musste der Sachverständigenrat die Prognose im Vergleich zur Herbstprojektion der vorherigen Bundesregierung nach unten korrigieren - von 4,1 auf 3,6 Prozent - doch im zweiten Quartal 2022 soll sich die Wirtschaft auf das Vorkrisenniveau erholt haben.

Steigende Preise

Neben den Auswirkungen der Pandemie belasten insbesondere die hohe Inflation von 3,3 Prozent und die steigenden Energiepreise sowohl Unternehmen als auch Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Aufgabe seines Ministeriums bestehe deshalb darin, die Energiepreise zu senken, so Habeck.

"Es geht darum, den Preisanstieg, den wir noch in diesem Jahr erleben werden, sowohl für die Menschen als auch die Unternehmen, zu dämpfen." Um das zu erreichen wolle man die EEG-Umlage so schnell es geht abschaffen, man wolle zudem eine Reform der Netzentgelte vornehmen und werde das Marktdesign im Energie- und Strommarkt anpassen müssen, erläuterte Habeck die nächsten Schritte. Steuersenkungen, wie sie von manchen gefordert würden, seien natürlich theoretisch denkbar, müssten aber zusammenpassen mit anderen Forderungen, so Habeck und meinte damit die Einhaltung der Schuldenbremse.

Neue Messgrößen

Dass der Jahreswirtschaftsbericht neben den klassischen Indikatoren wie dem Bruttoinlandsprodukt mit dem Sonderkapitel "Nachhaltiges und inklusives Wachstum - Dimensionen der Wohlfahrt messbar machen" erstmals auch Bildungsinvestitionen, soziale Gerechtigkeit, Demografie und Integration in die Prognosen mit einbezieht, sorgte insbesondere in den Oppositionsfraktionen von CDU/CSU und AfD für Unverständnis.

In der unsicheren wirtschaftlichen Lage erwarte der Leser des Jahreswirtschaftsberichtes Antworten auf die drängenden Fragen, etwa zur Inflation, sagte Jens Spahn (CDU) nach Habecks Vorstellung. Nur eine wachsende Volkswirtschaft werde die Ressourcen bereitstellen können, die es braucht, um die Energiewende sozial gerecht zu gestalten, so Spahn. "Deshalb können Sie uns nicht weismachen, dass Wachstum per se nicht wichtig wäre." Der Minister solle weniger Aufmerksamkeit in "immer neue Kapitel und neue Indikatoren stecken", sondern mehr Kraft in eine Politik des Wachstums und des Wohlstands des Landes investieren.

Der Christdemokrat vermisst seit der Regierungsübernahme durch die Ampelkoalition eine wirtschaftspolitische Führung und verwies in seiner Kritik unter anderem auf die kürzlich eingestellten KfW-Kredite zur Förderung energieeffizienter Gebäude.

Er könne die Empörung über das Einbeziehen neuer Indikatoren in den Jahreswirtschaftsbericht nicht verstehen, sagte der FDP-Abgeordnete Reinhard Houben: Es seien auch in der Regierungszeit der Großen Koalition in einer Enquete-Kommission bereits Fragen der Erweiterung der Themen des Berichts diskutiert worden. Leider seien die Ergebnisse der Kommission dann nie umgesetzt worden, sondern in irgendwelchen Schubladen verschwunden.

Die entscheidende Botschaft des Berichts bleibe ohnehin die gleiche, so Houben. Es gehe weiterhin darum, zu schauen, wo man beim Bruttoinlandsprodukt stehe und wie man die Frage des Wohlstandes und des wirtschaftlichen Erfolges mit den Fragen nach den ökologischen oder sozialen Folgen des Wirtschaftens versöhne. "Das Bruttoinlandsprodukt bleibt am Ende die Größe, die auch im internationalen Vergleich zeigt, wo die deutsche Wirtschaft steht", schloss Houben.

Exportstärke gefährdet 

Die Stellung Deutschlands auf dem internationalen Markt ist ein weiterer Punkt, der laut Habeck in Zukunft genauer betrachtet werden soll: Bis zum Jahr 2015 sei die Stärke der deutschen Wirtschaft vor allem durch den Export gestützt worden, erläuterte der Minister. Doch diese Stärke sei aufgrund der großen Rohstoff- und Energieabhängigkeit gefährdet. Man brauche also ein ausgewogeneres Wachstumsmodell, das sich auf mehr stützt als auf die reine Exportleistung, auch um die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhöhen.

Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt

Immerhin: 3,5 Prozent mehr Geld werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer laut der Wirtschaftsprognose in diesem Jahr auf dem Konto haben. Und mehr Menschen werden überhaupt arbeiten können, denn die Arbeitslosigkeit soll von aktuell 5,7 auf 5,1 Prozent sinken.

Zwar habe die Pandemie zu einer "geringeren Beschäftigungsdynamik" geführt, sagte Habeck. Aber das werde sich nach Abflauen der Pandemie ändern - und gleichzeitig ein weiteres Problem deutlich sichtbar machen: einen "dramatischen Fach- und Arbeitskräftemangel". Dem könne man nur entgegensteuern, indem man mehr Menschen weiterbilde und mehr Zuwanderung organisiere. Es könne sein, dass Deutschland schon im kommenden Jahr in eine Produktivitätslücke gerate, warnte Habeck.

Verena Hubertz, (SPD), verwies in ihrem Redebeitrag auf den Mangel von drei Komponenten: Es fehle an Ressourcen, Fachkräften und Zeit. "Wir sind die erste Generation, die bei den Erneuerbaren nach vorne kommen muss", sagte Hubertz. Der Jahreswirtschaftsbericht zeige aber, dass sich Ökonomie und Ökologie nicht ausschließen müssten. Die Sozialdemokratin betonte zudem, dass der Jahreswirtschaftsbericht endlich den Aspekt der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen berücksichtige. "Es ist einfach ungerecht, dass Frauen immer noch weniger verdienen."

Soziale Gerechtigkeit

Christian Leye von der Fraktion Die Linke sah einen Fortschritt darin, dass im Jahreswirtschaftsbericht erstmals überhaupt die soziale Gerechtigkeit thematisiert werde. Schließlich seien die ungerechten Verhältnisse im Land auch das "Ergebnis der Politik in diesem hohen Hause", sagte der Abgeordnete bei seiner ersten Rede im Bundestag. Eine Politik der ökologischen Nachhaltigkeit müsse aber auch sozial nachhaltig sein. "Wirtschaftspolitik muss aus der Perspektive von Menschen mit niedrigem Einkommen gedacht werden, um nachhaltig sein zu können", sagte Leye und forderte die Regierung auf, hohe Einkommen gerecht zu besteuern und die Schuldenbremse des Grundgesetzes aufzugeben.

Doch bei allen Warnungen und den von allen Seiten betonten großen Herausforderungen sieht der Bericht auch Potenzial sowohl den Wohlstand zu mehren als auch den Klimaschutz zu stärken: "Es ist auch ein Bericht der vorsichtigen Hoffnung", schloss Minister Habeck seine Vorstellung: Man habe viel vor sich, doch der Bericht beweise, dass es möglich sei.

Wie sein Parteikollege blickte deshalb auch Dieter Janecek optimistisch auf den Jahreswirtschaftsbericht und befand, dass es sich um einen kraftvollen Aufschlag der neuen Wirtschaftspolitik handele. Schließlich stehe man vor einem "ruppigen Jahr" mit großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Viele Unternehmen bräuchten aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie auch weiterhin Unterstützung.

Was aber nicht bedeute, dass man in Zukunft allem nachgebe, was die Industrie fordere. Es gehe immer auch darum, zu schauen, welche Mittel effizient seien. "Das Wirtschaftsministerium ist schließlich nicht die verlängerte Werkbank der Lobbyverbände", sagte der Grüne Janecek.

Für die AfD-Fraktion im Bundestag klingt der Jahreswirtschaftsbericht insgesamt "sehr abenteuerlich". Der Abgeordnete Enrico Komning sagte, der Bericht sei ein Abgesang auf Freiheit, soziale Marktwirtschaft und breiten Wohlstand für die Menschen in Deutschland. Im Koalitionsvertrag stehe der Satz: "Wir stellen die Weichen auf eine sozial-ökologische Marktwirtschaft und leiten ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestition ein", zitierte Komning und ergänzte, dass es richtiger hätte heißen müssen: "Wir stellen die Weichen auf eine unsoziale, öko-religiöse Planwirtschaft und leiten ein Jahrzehnt der Volksverarmung ein." Jedes kleine Pflänzchen von Wirtschaftswachstum werde auf Grundlage der Ampel-Wirtschaftspolitik ersticken, prophezeite der AfD-Abgeordnete und bemängelte, dass die Abschaffung der EEG-Umlage nicht ansatzweise das ausgleiche, was man den Menschen mit der Erhöhung der CO-Steuer aus der Tasche ziehe.