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Hatespeech-Datenbank : Von "Impfmördern" und "Volksverrätern"

Der Linguist Joachim Scharloth erkennt im Sprachgebrauch von Rechtspopulisten und Extremisten das Freund-Feind-Denken des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt.

21.02.2022
2023-12-04T14:43:21.3600Z
3 Min

"Lügenpresse", "Impfmörder", "Kopftuchmädchen", "Volksverräter", "Gender-Sozio-Bande", "Gutmenschen-Pest" oder schlichtweg das "linksrot-grün-verseuchte 68er-Deutschland". Seit etlichen Jahren ist in der politischen und gesellschaftlichen Debatte eine verbale Verrohung zu vernehmen, deren Ziel Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Muslime, Angehörige anderer Minderheiten oder ganz allgemein Menschen aus dem demokratischen Spektrum ist und die unter dem Begriff "Hatespeech" in das politische Wörterbuch eingegangen ist.

Datenbank der Verbalinjurien

Über Jahre hinweg sammelte der Linguist Joachim Scharloth solche Verbalinjurien in einer eigens geschaffenen Datenbank. Ausgewertet hat er 29 rechtspopulistische, rechtsextreme und neurechte Nachrichtenseiten und Blogs im Internet wie beispielsweise "Politically Incorrect" oder "Anonymousnews". Aber auch Autorenbloggs wie die "Achse des Guten" oder "Tichys Einblick", die sich selbst zwar als liberal-konservativ bezeichnen, "aber in neurechten Kreisen als Teil der oppositionellen neurechten Presse wahrgenommen" würden. Gut 30.000 "hässliche Wörter" hat Scharloth zusammengetragen, von denen er 3.600 in seinem gleichnamigen Wörterbuch präsentiert und analysiert. Um es vorwegzunehmen: Eine angenehme Lektüre präsentiert Scharloth damit wahrlich nicht, aber eine wichtige. Das Ziel seines Buches definiert der Sprachforscher wie folgt: "Im Kontrast zu ihrem Selbstbild einer bürgerlichen und patriotischen Bewegung, die zwar mitunter verbal etwas zuspitzt, aber doch nur das Gute für Deutschland will, wird die neue Rechte durch ein solches Schimpfwörterbuch als eine Gemeinschaft der Hetzer und Hater und als Verächter der bestehenden sozialen und staatlichen Ordnung sichtbar." Dies leistet sein Buch zweifellos.

Feindbild Angela Merkel

Scharloth erkennt im Sprachgebrauch von Rechtspopulisten und Rechtsextremen das Freund-Feind-Denken des wegen seiner Nähe zu den Nationalsozialisten umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt: "Politische Gegner sind Feinde, die in ihren Augen die Existenz jener Gemeinschaft bedrohen, als deren Teil sie sich empfinden und für deren Interesse sie zu sprechen glauben: Deutsche ohne Migrationshintergrund." Das "Phantasma" vom "Genozid am deutschen Volk" lasse sie in ihren politischen Gegnern Feinde erkennen, die die Existenz des deutschen Volkes negieren und deshalb bekämpft werden müssen. Im Internet kursierten Listen von "Volksverrätern", "Linksfaschisten", "Deutschlandhassern" und "Islam-Lobbyisten". Ganz oben auf diesen Feindeslisten fand Scharloth in den vergangenen Jahren den Namen Angela Merkel.

Die ehemalige Bundeskanzlerin avancierte spätestens seit der Flüchtlingskrise von 2015 zur Hassfigur im rechten Spektrum. Weit mehr als tausend "herabwürdigende, beleidigende und entmenschlichende Umschreibungen" hat Scharloth gezählt. Sie reichen von Begriffen wie "Hosenanzug-Pappaufsteller" und "Rauten-Hexe", die sich an ihrem Kleidungsstil und ihrem Erkennungszeichen abarbeiten, bis hin zu "Mürkül" oder "Adolfela-Ferkel", die sie als vermeintlich türkische Interessenvertreterin bezeichnen oder in die Nähe des Nationalsozialismus setzen.

Joachim Scharloth:
Hässliche Wörter.
Hatespeech als Prinzip der Neuen Rechten.
J.B. Metzler,
Berlin 2021;
251 S., 19,99 €