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Parlamentarisches Profil : Der Systematische: Harald Ebner

Der Vorsitzendes des Umweltausschusses kämpft leidenschaftlich für den Erhalt der Biodiversität – dabei schreckt er auch vor ungewöhnlichen Methoden nicht zurück.

02.01.2023
2024-03-06T15:41:16.3600Z
5 Min

Ein Gespräch mit Harald Ebner über Politik geht kaum ohne Kuli. "Ich mal Ihnen kurz was auf", sagt er nach wenigen Minuten, zeichnet Kreise auf ein Blatt Papier - die Gefahrenradien für Tiere bei Windkraftanlagen, oder Schlangenlinien, "das sind mäandernde Gewässer"; wichtig für die Biodiversität. Seit 2011 sitzt der Schwabe im Bundestag. Aber noch länger hat er vorher als Landschaftsökologe gearbeitet, und rasch denkt man: Ein Klischeepolitiker sitzt da nicht vor einem, eher der Prototyp eines organisierten Naturschützers.

Foto: Laurence Chaperon

Harald Ebner ist Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Zahlen statt Ziele: Ebner will 30 Prozent von Land und Meer unter Schutz stellen

"Wir können zum Mond fliegen, haben aber nicht verstanden, wie Ökosysteme funktionieren", sagt der 58-Jährige. Der Rückgang der Biodiversität treibt ihn um. "Kein Ökologe der Welt kann sagen, wie weit wir vom Kipppunkt entfernt sind", also jener Punkt, ab dem Ökosysteme ihre Funktion verlieren. "Aber wenn man es merkt, ist es zu spät." Der Grünen-Politiker fordert bis zum Jahr 2030 Zahlen als Ziele: 30 Prozent von Land und Meer sollen unter Schutz gestellt werden. "Nur um es zu veranschaulichen", sagt er, "für sauberes Wasser brauchen wir Biodiversität im Boden, etwa Pilze, Mikroben, Gliederfüßler". Es sei ein Zusammenspiel.

Ebner neigt zu längeren Reden, wenn es darum geht, ums Ökosystem. Aber er lässt sich unterbrechen. Seine Website zeigt ihn mit Anzug, Weste und Krawatte, junges Gesicht vom Typ Lieblingsschwiegersohn, aber so ist es mit Klischees: Heute trägt Ebner Jeans. Und der Schwiegersohn hat bereits drei Enkelkinder.


„Wir können zum Mond fliegen, haben aber nicht verstanden, wie Ökosysteme funktionieren.“
Harald Ebner, MdB

Dass es in seinem Leben auf Berufspolitik hinauslief, war nicht vorherzusehen. Die Leidenschaft für die Natur indes schon. Auf einem Bauernhof aufgewachsen, wurde ihm die Frage der Nachfolge aus der Hand genommen, als in den 1970ern, der Zeit des großen Höfesterbens, in seinem Teenageralter die letzten Tiere den Hof verließen. Der Vater hatte sich beruflich umorientiert, übernahm die Leitung des örtlichen Bauhofs. "Ich hab mich nie davon gelöst, den Verlustschmerz nie überwunden." Es folgten der Zivildienst im landwirtschaftlichen Betrieb einer sozialen Einrichtung und das Studium zum Diplom-Agraringenieur. Da habe er gemerkt, dass so viel zu verändern sei, in der Landwirtschaft, im Artenschutz, dass er an einer Stelle arbeiten wollte, die das Ökologische in seiner Gesamtheit stärkt. Er heuerte bei der staatlichen Naturschutzverwaltung des Landes Baden-Württemberg an. Dann wurde er gefragt.

Ebner kämpft für Gentechnikfreiheit und gegen Pestizide in der Landwirtschaft

Den Grünen im Ländle war er wohl aufgefallen, der Naturschützer. 1999 zog er in den Stadtrat von Kirchberg/Jagst ein, auf der Unabhängigen Grünen Liste, wurde erst 2002 Parteimitglied und übernahm weitere Ämter, zum Beispiel 2008 den Kreisverbandsvorsitz Schwäbisch-Hall. 2011 rückte er in den Bundestag nach - und ging zurück zu seinen Wurzeln, betrieb Agrarpolitik. Verhandelte die Koalitionsverträge in seinem Bundesland mit, kämpfte für Gentechnikfreiheit und gegen Pestizide in der Landwirtschaft. "Die EU versucht gerade wieder, sich gegen die Gifte zu stellen, aber sie wird von gleich mehreren Seiten ausgebremst", sagt er und zieht auf dem Blatt einen langen Strich. Neben dem Dokument steht auf dem Rundtisch ein fußballgroßer Tannenbaum aus Papier.

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2021 stand ein erneuter Wurzelwechsel an, weg von der Landwirtschaftspolitik und hin zur Übernahme des Vorsitzes im Umweltausschuss. "Zwischen Agrar und Natur gibt es thematische Verschränkungen", sagt er und lächelt, als sei er darüber glücklich. Ausschussvorsitzende, das seien für ihn Sachwalter des Anliegens, der Demokratie im Parlamentarismus. Sein Anliegen liegt auf dem Tisch, der Kuli zeichnet weiter, Ebner spricht von Moorverwässerung und CO2-Bindung, von Fließgewässernaturalisierung und Schlupfwespen, die er sich holte für daheim, zur Mottenbekämpfung. "Die sind so klein, dass man sie kaum sieht - aber sie sind ungemein wichtig gegen Schädlinge." Eine Lobby bräuchten sie, wie die Bienen. "Da haben wir irgendwann begriffen, dass wir sie brauchen." Das Blatt ist voll, es ist halb sieben am Abend. Für das, was an Anliegen vor ihm liegt in den kommenden Jahren, braucht er noch eine Menge Papier.