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Foto: picture-alliance/imageBROKER/Franz Christoph Robiller
Auf der Suche nach dem natürlichen Reservoir für gefährliche Viren sind Forscher mehrfach auf Fledertiere gestoßen. Fledermäuse oder Flughunde können die Keime auf andere Tiere übertragen.

Zoonosen : Gefährliche Nähe

Wenn Erreger von Tieren auf Menschen überspringen, kann eine Pandemie die Folge sein.

02.01.2023
2024-03-14T13:47:13.3600Z
7 Min

Als die Handelsschiffe im Jahre 1347 den Hafen von Messina auf Sizilien erreichen, ist der größte Teil der Besatzung tot. Die Überlebenden dürfen die angsteinflößenden Schiffe mit den mysteriösen Leichen nicht verlassen. Diese Schutzvorkehrung der Stadt erweist sich jedoch als nicht erfolgreich, weil das eigentliche Problem verkannt wird: Schiffsratten laufen ungehindert an den Leinen entlang von Bord. Von Sizilien aus verbreitet sich in den nächsten Jahren die gefürchtete Pest über ganz Europa.

Die unsichtbaren Passagiere, die den Tod bringen, sind zu der Zeit noch völlig unbekannt. Erst 1894 gelingt dem Schweizer Arzt und Bakteriologen Alexandre Yersin (1863-1943), das Pest-Bakterium zu isolieren. Es wird 1970 nach dem Entdecker Yersinia Pestis genannt. Mit Antibiotika kann die Pest, die einst Millionen Tote forderte und ganze Landstriche entvölkerte, heute gut behandelt werden.

Virus in Australien stellt Ärzte vor Rätsel

Mehr als sechs Jahrhunderte später, im Jahre 1994, trauen die Pferdewirte in Hendra, einem Vorort von Brisbane in Australien, ihren Augen nicht. Einige der austrainierten Rennpferde wirken seltsam schlapp und sehen krank aus, sie wollen nicht fressen und können sich kaum auf den Beinen halten. Haben sie giftige Pflanzen gefressen? Die Tiere gehen trotz aller Bemühungen von Tierärzten und -pflegern ein.

Zur selben Zeit erkranken auch zwei auf der Farm beschäftigte Männer, einer stirbt nach einer Woche im Krankenhaus, der andere überlebt. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel, bis ein damals unbekanntes Virus in der Leiche entdeckt wird, das zur Familie der Paramyxoviridae zählt und heute schlicht Hendra-Virus genannt wird. Als natürliches Reservoir für die Viren werden Flughunde vermutet. Zum Glück kann das Virus in der Region eingegrenzt werden.

Alarm in China: Neuer Erreger aus der Familie der Coronaviren

Weitere 25 Jahre später, im Dezember 2019, wird die renommierte chinesische Virologin Shi Zhengli, die in der Großstadt Wuhan in der Provinz Hubei in einem Viruslabor arbeitet und gerade in Shanghai an einer Konferenz teilnimmt, von ihrem Chef alarmiert. Sie solle alles liegenlassen und sich sofort mit einem akuten Verdachtsfall auf einen neuen Erreger aus der Familie der Coronaviren befassen.

Shi ist Expertin für Fledermäuse, Kollegen haben ihr den Spitznamen "Bat Woman" verpasst, weil sie seit Jahren in Fledermaushöhlen auf Virenjagd geht. Der Verdacht: Das neue, sehr ansteckende Coronavirus könnte von Fledermäusen übertragen werden. Später mutmaßen Virologen, das Virus sei womöglich sogar aus dem Shis Labor entwichen, was sich nicht bestätigt.

Die Aufregung ist nur zu berechtigt, denn das neue Coronavirus verbreitet sich schnell: Das von Wuhan ausgehende Virus Sars-Cov-2 hat bis heute mehr als 650 Millionen Menschen weltweit infiziert und mehr als 6,6 Millionen Tote gefordert. Die Corona-Pandemie gehört damit zu den tödlichsten Seuchen der Menschheitsgeschichte und ist noch nicht vorbei.

In allen drei Fällen handelt es sich um sogenannte Zoonosen, Infektionskrankheiten, deren Erreger zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. Neben Viren und Bakterien können sich auf diese Weise auch Pilze, Parasiten und sogenannte Prionen, pathogene Varianten eines Proteins, verbreiten. Unterschieden werden Zooanthroponosen, bei denen Erreger vor allem von Tieren auf Menschen übertragen werden, Anthropozoonosen, wo die Übertragung in erster Linie von Menschen auf Tiere stattfindet und Amphixenosen mit wechselseitiger Übertragung. Wenn Erreger von einer Art auf die andere überspringen, sprechen Wissenschaftler von einem "Spillover".

Vektoren: Weitergabe der Erreger von einem Organismus auf einen anderen

Zoonosen verbreiten sich durch Schmierinfektionen, Bissverletzungen, kontaminierte Nahrungsmittel sowie Mücken, Fliegen, Flöhe oder Zecken. Diese sogenannten Vektoren geben die Erreger von einem Organismus auf einen anderen Wirtsorganismus weiter und fungieren als Zwischenwirt. Bei der Pest sind es Rattenflöhe, bei der Schlafkrankheit die Tsetsefliege, bei Malaria die Anophelesmücke. Die verschiedenen Malaria-Subtypen werden durch Plasmodien übertragen, einen Parasiten. Natürliche Wirte zeigen keine Symptome, sie sind an die Erreger angepasst, Zwischenwirte hingegen können ebenfalls erkranken. So stellt Yersin bei seinen Recherchen in Asien fest, dass der Pest-Erreger auch für das Rattensterben in Hongkong verantwortlich ist.

Wissenschaftler fahnden beim Ausbruch einer Infektion immer nach dem Erregerreservoir, jener ökologischen Nische, in der sich der Keim zunächst vermehrt hat, bei Zoonosen also Wirtstiere. In seinem Buch "Spillover" von 2012 beschreibt der Wissenschaftsjournalist David Quammen die schwierige und langwierige Suche nach dem Reservoir des gefürchteten Ebola-Fiebers im Kongo, dem nicht nur Menschen zum Opfer fallen, sondern nach seinen Recherchen auch Tausende Menschenaffen. Bisweilen, berichtet Quammen, verschwinde das Virus für eine Zeit, dann tauche es plötzlich wieder auf. Er notiert: "Zoonotische Erreger können sich verstecken. Das macht sie so interessant, so kompliziert und so problematisch."

Fledertiere etwa (Flughunde; Fledermäuse) sind bei verschiedenen gefährlichen Virentypen als mögliches Reservoir bekannt, so bei SARS, Ebola oder Nipah. Forscher der Universität von Kalifornien in Berkeley fanden heraus, dass Fledermäuse durch ihr hochreguliertes Immunsystem effektiv gegen Erreger geschützt sind, viel besser als Menschen. Zugleich warnen Biologen davor, Fledermäuse als virale Ungeheuer darzustellen. Fledermäuse seien harmlos und selbst eine bedrohte Wildtierart, die es zu schützen gelte, argumentieren sie.

Die immer größere Dichte an Menschen auf der Erde, inzwischen laut UN mehr als acht Milliarden, die globalen Handelsströme und Reisebewegungen, der Klimawandel, der Eingriff von Menschen in geschlossene Ökosysteme mit ihrer Artenvielfalt und die industrielle Landwirtschaft begünstigen Infektionskrankheiten, die sich im schlechtesten Fall zu Pandemien entwickeln können und eine immense Bedrohung darstellen.

Besonders gefürchtet: RNA-Viren

Nach Angaben des Biodiversitätsrats (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES) handelt es sich bei 70 Prozent der neuen Erkrankungen sowie fast allen bekannten Pandemien um Zoonosen. Ob sich eine Zoonose zu einer Pandemie entwickelt, hängt wesentlich davon ab, wie effektiv sich ein Erreger nach der Übertragung vom Tier von Mensch zu Mensch verbreitet. Zwar sind "Spillover"-Ereignisse relativ häufig, jedoch verpuffen viele Ausbrüche wieder, weil sich die Erreger schlecht unter Menschen verbreiten.

Von Entwarnung kann deswegen nicht die Rede sein, denn die IPBES-Wissenschaftler gehen davon aus, dass geschätzt rund 1,7 Millionen Virentypen in Säugetieren und Vögeln leben, von denen mehr als 800.000 auch Menschen infizieren könnten. Demnach ist das virale zoonotische Risiko noch weitgehend unbekannt. Die wichtigsten Reservoire für Krankheitserreger mit pandemischem Potenzial sind nach Angaben der Forscher wilde Säugetiere, darunter vor allem Fledermäuse, Nagetiere und Primaten, Wasservögel sowie Nutztiere wie Schweine, Kamele oder Geflügel.

Viren und Bakterien prägen die Evolution maßgeblich mit. So sind Bakterien in uralten Stromatolithen (Sedimentgesteine) in Australien gefunden worden, deren Alter auf 3,6 Milliarden Jahre geschätzt wird. Belege über das Alter von Viren auf der Erde gibt es nicht. Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel und werden daher nicht zu den klassischen Lebewesen gezählt. Sie sind bei ihrer Vermehrung auf einen Wirt angewiesen. Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit sind besonders sogenannte RNA-Viren gefürchtet.

Disease X steht für alle noch nicht entdeckten Pathogene

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2018, also vor der Corona-Pandemie, eine Prioritätenliste erstellt mit Krankheiten und Erregern, von denen ein potenzielles globales Gesundheitsrisiko ausgeht, weil keine Therapieoption verfügbar ist und die deswegen besser erforscht werden müssten. Auf der Liste standen damals: das Kongo-Fieber, Ebola-Fieber, Marburg-Fieber, Lassa-Fieber, MERS, SARS, das Nipah-Virus, das Rift-Valley-Fieber (RVF), Zika und Disease X. Der Eintrag Disease X steht stellvertretend für alle noch nicht entdeckten Pathogene, die eine globale Gesundheitskrise auslösen könnten. Quammen spricht von dem "Next Big One", das kommen werde, und vermutet ein Virus. Seit 2019 wissen wir, dass er richtig lag.

Verlust der Biodiversität: Einfluss auf die Fähigkeit eines Ökosystems

Nach Einschätzung der Tropenwaldstiftung Oro Verde ist die Erhaltung von Biodiversität der Schlüssel im Kampf gegen Pandemien. Biodiversität fuße auf genetischer Vielfalt, Artenvielfalt und Vielfalt der Lebensräume. Mit dem Verlust der Biodiversität verringere sich die Fähigkeit eines Ökosystems, die Ausbreitung von Krankheiten zu regulieren, schreibt die Naturschutzorganisation in einem Fachbeitrag. Besonders problematisch sind Änderungen in der Landnutzung zugunsten eines von Menschen dominierten Ökosystems. In dem Fall kommt es zu einem vermehrten Aufeinandertreffen von Wildtieren und Menschen und in der Folge zu einem höheren Risiko für die Übertragung gefährlicher Keime. Mit großer Sorge werden Eingriffe in Tropenwälder gesehen. Allein 2020 sind nach Angaben von Oro Verde 12,2 Millionen Hektar Tropenwaldfläche verloren gegangen, darunter 4,2 Millionen Hektar feuchttropische Primärwälder, die besonders bedeutsam für die Biodiversität seien.

Die Umweltorganisation WWF mahnt, die Covid-19-Pandemie sei letztlich Folge einer tiefgreifenden ökologischen Krise. Menschen hätten fast die Hälfte der Waldfläche auf der Erde schon vernichtet, der Lebensraum für Wildtiere werde dadurch kleiner. "Das Problem sind nicht die Wildtiere, sondern unser enger Kontakt mit den Tieren, der es möglich macht, dass Krankheiten von Tieren auf den Menschen überspringen", sagt der WWF-Artenschutzexperte Arnulf Köhncke.

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Forscher befürchten, dass entlegene Siedlungen im Amazonas-Regenwald Ausgangspunkt für eine neue Pandemie sein könnten. Um die Verbreitung von Keimen zu vermeiden, müssen nach Ansicht von Wissenschaftlern zudem auf Wildtiermärkten, insbesondere in Asien, die Hygienevorschriften viel strenger werden.

Nach der Beobachtung Quammens treten gefährliche Infektionen immer häufiger auf. Er schreibt: "Täuschen wir uns nicht: Die aufeinanderfolgenden Krankheitsausbrüche hängen zusammen. Und sie stoßen uns auch nicht einfach nur zu, sondern sie sind die unbeabsichtigten Folgen dessen, was wir tun."