Inhalt

Contra
James Brückner
Nicht um jeden Preis

Wenn die Arterhaltung dem Tierschutz übergeordnet wird, wird es problematisch

Die qualitativen Unterschiede bei der Tierhaltung sind in den geschätzt über 800 Zoos und zooähnlichen Einrichtungen in Deutschland durchaus gravierend. Doch nach wie vor findet man in nahezu jedem Zoo Haltungen vor, die unzureichend oder veraltet sind oder nicht einmal den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen!

Wenn Gehege, Fütterung, Sozialstruktur und Beschäftigungsmanagement nicht optimal auf die Bedürfnisse der jeweiligen Tiere angepasst sind, muss nachgebessert oder auf die Haltung verzichtet werden.

Keine Eisbären und Delfine Tierarten, deren anspruchsvollen Bedürfnissen man in Gefangenschaft grundsätzlich nicht gerecht werden kann, haben heutzutage in Zoos nichts (mehr) verloren. Dazu zählen Eisbären oder Delfine. Auch sollten wir uns die ethische Frage stellen, inwiefern wir Menschenaffen, unsere nächsten Verwandten, weiter zur Schau stellen wollen. Oft sind es aber genau diese "exotischen" Säugetierarten, die den Zoos als Besuchermagneten dienen. Ihre Haltung wird häufig damit gerechtfertigt, dass sie als Botschafter ihrer Art die Menschen für den Artenschutz und den Schutz des Lebensraums sensibilisieren sollen. Es darf allerdings stark bezweifelt werden, dass dieser Weg erfolgversprechend ist. Kaum jemand wird durch einen Zoobesuch nachhaltig das eigene Konsumverhalten ändern, Energie sparen oder sich verstärkt für Artenschutz einsetzen. Die Idee von Eisbären als Klimabotschafter, um ein prominentes Beispiel zu nennen, verfängt aus Tierschutzsicht nicht. Hinzu kommt: Obwohl Zoos insbesondere den Artenschutz als eine ihrer bedeutsamsten Aufgaben anführen, sind viele Tierarten gar nicht für eine Wiederauswilderung vorgesehen - darunter beliebte "Vorzeigearten" wie Elefanten, Tiger, Pinguine, Kängurus oder Giraffen. Weltweit konnten gerade einmal 50 Tierarten, die in freier Wildbahn bereits ausgestorben waren, durch gezielte Erhaltungszucht mit der Hilfe von zoologischen Einrichtungen bewahrt werden.

Auch wenn jeder Bartgeier, Feldhamster oder Wisent, der wieder in freier Wildbahn zu beobachten ist, einen Erfolg darstellt, sollte man dies in Relation sehen: Angesichts von jeweils zig Tausenden Arten von Amphibien, Reptilien oder Säugetieren, die nach Einstufung in der Roten Liste der IUCN weltweit als gefährdet gelten und etwa einer Million Arten, die gemäß dem letzten Bericht des Weltbiodiversitätsrats dem Aussterben entgegengehen, kann Erhaltungszucht in Zoos kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein.

Ruhelose Runden Problematisch wird es vor allem dann, wenn der Artenschutz dem Tierschutz übergeordnet wird. Häufig auftretende Verhaltensstörungen - etwa, wenn Eisbären und Tiger ruhelos die immer selben Wege ablaufen oder Menschenaffen ihre Nahrung erbrechen und erneut aufnehmen - sind deutliche Zeichen dafür, dass man trotz jahrzehntelanger Erfahrung von einer problemlosen Haltung dieser Tierarten meilenweit entfernt ist. Wenn Vögel auf Freianlagen flugunfähig gemacht werden, beraubt man sie wesentlicher Verhaltensweisen. Anstatt die Haltungsumgebung den Bedürfnissen der Tiere anzupassen, werden die Tiere ihrer Haltung angepasst. Ein No-Go. Und wenn Populationsmanagement bedeutet, dass man Tiere erst vermehrt und die "unbrauchbaren" oder überzähligen dann tötet, so müssen wir als Gesellschaft darüber reden, ob das im Namen des Artenschutzes zulässig sein kann.

Keine Museumstiere Die Rettung von Arten ist ein hehres Ziel, kann und darf aber nicht alles rechtfertigen, insbesondere nicht das Zufügen von Leid oder das Ignorieren von Einzelschicksalen. Statt in Zoos nur Museumstiere zu "erhalten", müssen wir Artenvielfalt vor allem in der Natur bewahren und die Triebkräfte des Biodiversitätsverlusts eindämmen. Zoos können hier an der einen oder anderen Stelle sicher unterstützen, solange eine artgerechte Tierhaltung gewährleistet ist und jedes Erhaltungszuchtprogramm mit einem konkreten Projekt "in-situ" verbunden wird. Artenschutz im Zoo ist zu unterstützen, aber nicht um jeden Preis!

James Brückner ist Leiter des Artenschutzreferats beim Deutschen Tierschutzbund.

Aus Politik und Zeitgeschichte

© 2023 Deutscher Bundestag