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Globale Flüchtlingspolitik : Schrumpfende Budgets, steigender Bedarf

Die Krisen nehmen weltweit zu. Doch das UN-Flüchtlingskommissariat ist dramatisch unterfinanziert - mit gravierenden Folgen.

14.08.2023
2024-02-26T14:43:29.3600Z
4 Min

Die Zahlen zeigen deutlich: Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR ist seit Jahren dramatisch unterfinanziert - doch 2023 könnte die Finanzlücke besonders groß werden. Zumindest lassen die Daten des UNHCR das befürchten.

Mit der zunehmenden Zahl schwerer Krisen steigt auch die Anzahl der Geflüchteten weltweit. 2022 verzeichnete das UNHCR 112,6 Millionen vertriebene oder staatenlose Menschen - mehr als dreimal so viele wie 2012. Im laufenden Jahr könnten es 117 Millionen sein. Die meisten bleiben im eigenen Land. Doch knapp 30 Millionen haben auf der Flucht staatliche Grenzen überschritten.

Preise für Nahrungsmittel, Treibstoff und Hilfsgüter steigen

Und während die Budgets für humanitäre Hilfe laut UNHCR schrumpfen und der Bedarf zuletzt durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine stetig weiter wuchs, steigen durch Energiekrise und Inflation die Preise für Nahrungsmittel, Treibstoff und andere Hilfsgüter stark an.


„Kürzungen waren 2015 ein Signal: Lasst uns aufbrechen, jetzt oder nie!“
Marcus Engler, Flucht- und Migrationsforscher

Die Folge: Die Unterfinanzierung erreiche "alarmierende Ausmaße" und gefährde die Kapazität des Flüchtlingskommissariats "signifikant", lebenswichtige Hilfe zu leisten. Das schreibt das UNHCR in seinem aktuellen Unterfinanzierungsbericht.

Knapp 9,8 Milliarden Euro benötigt das UNHCR eigenen Angaben zufolge im laufenden Jahr, um Geflüchteten in Not weltweit zu helfen - falls keine weitere Krise die Summe erhöht. Nur etwas mehr als ein Drittel war bis Mitte Juli gedeckt. Wie groß die Finanzlücke letztlich ist, wird man zwar erst am Jahresende wissen. Doch das UNHCR selbst befürchtet, deutlich weniger Geld als 2022 zu erhalten, "sei es aufgrund von Spendenmüdigkeit, Kürzungen in der Entwicklungshilfe oder der Umschichtung der begrenzten humanitären Ressourcen".

Gekürzten Nahrungsrationen gelten als Ursache für die Fluchtbewegung Richtung Europa

Dabei blieben schon im vergangenen Jahr 42 Prozent eines ähnlich hohen Finanzbedarfs ungedeckt. 2021 betrug die Finanzlücke sogar 44 Prozent. Es war der höchste Stand seit 2015 - jenem Jahr, in dem der Geldmangel so groß war, dass die Vereinten Nationen sich gezwungen sahen, ihre Hilfe für syrische Geflüchtete im Libanon, in Jordanien und auch in Syrien drastisch zu senken. Das Welternährungsprogramm (WFP) kürzte seine Nahrungsmittelrationen in Syrien schon ab Oktober 2014 um 40, in den Nachbarländern um bis zu 30 Prozent.

Hunderttausende machten sich daraufhin auf den Weg in Richtung Europa. Die gekürzten Rationen gelten als eine wesentliche Ursache für diese Fluchtbewegung. Vermutlich aber waren sie nur der letzte Auslöser, sagt Marcus Engler, Flucht- und Migrationsforscher am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM): "Die Lage der Menschen in Syrien und den Nachbarländern war schon vorher immer prekärer geworden", sagt Engler. "Die Kürzung der Lebensmittelrationen war dann wie ein Signal: Jetzt wird uns auch hier nicht mehr geholfen, und unsere Ersparnisse gehen zur Neige. Lasst uns aufbrechen, jetzt oder nie!"

Prekäre Lage in Krisengebieten ohne internationale Aufmerksamkeit 

Derzeit reduziert das WFP die Rationen in Syrien und anderswo erneut. Das UNHCR beschreibt in seinen Berichten schon seit einigen Jahren, was der Geldmangel bedeutet: Aus manchen Hilfsprojekten müsse man sich komplett zurückziehen, anderswo könne nur noch die allerwichtigste Hilfe geleistet werden. In Zukunft könnte es passieren, dass 2,5 Millionen Menschen keine Decken, Schlafmatten oder Kochsets mehr erhalten. Die lebensnotwendige Bargeld-Hilfe für 1,4 Millionen Menschen könnte gestrichen werden. Für Hunderttausende würden keine Notunterkünfte mehr gebaut, und sie hätten auch keinen Zugang zu medizinischen Sprechstunden, Rechtsberatung oder Unterstützung im Falle von geschlechtsbezogener Gewalt.


„Wenige Staaten zahlen den Löwenanteil des Budgets - und bestimmen. “
Max-Otto Baumann, IDOS

Besonders prekär ist die Lage in Krisengebieten, die wenig internationale Aufmerksamkeit erhalten. Laut Care International beispielsweise erhalten die Menschen im kenianischen Dadaab - einem der größten Flüchtlingscamps der Welt - nur 80 Prozent der empfohlenen Lebensmittelrationen, und sie könnten weiter gekürzt werden.

Für Fluchtforscher Engler lässt sich die gegenwärtige Lage dennoch nicht mit 2015 vergleichen. Versorgungsengpässe müssten nicht zwangsläufig dazu führen, dass viele Menschen auf der Suche nach einer besseren Zukunft weiterziehen, sagt er. Ein wesentlicher Unterschied zu 2015: "Damals gab es diesen Moment, in dem viele EU-Regierungen akzeptiert haben, dass die Menschen kommen, und wollten helfen. Heute will man Migration eher mit allen Mitteln unterbinden."

Strukturelle Finanzierungsschwierigkeiten der Hilfsorganisationen

Benjamin Schraven, assoziierter Forscher des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), sagt, Deutschland und andere EU-Länder hätten durchaus Lehren aus der damaligen Situation gezogen. So gäben sie zum Teil deutlich mehr Geld für die Versorgung von Geflüchteten in den Nachbarstaaten Syriens als noch vor 2015. "Die strukturellen Finanzierungsschwierigkeiten der Hilfsorganisationen aber würden dadurch nicht gelöst, sagt Schraven. "Für manche Länder und Krisen muss das UNHCR immer wieder betteln gehen".

Die Arbeit des Flüchtlingskommissariats hänge eben stark von seinen Geldgebern ab, erklärt Max-Otto Baumann, der am IDOS die Finanzierung der Vereinten Nationen erforscht, denn die Beiträge an das UNHCR seien fast ausschließlich freiwillig. "Am Ende zahlen deshalb recht wenige Staaten den Löwenanteil des Budgets - und wofür sie Geld geben, richtet sich häufig auch nach ihren eigenen Prioritäten."

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Baumann ist dafür, alle UN-Mitgliedstaaten entsprechend ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten zu Zahlungen zu verpflichten. Doch die Chance dafür sei gering: "Die Geberländer befürchten, dann ihren Einfluss auf die Verwendung der Mittel zu verlieren."

Die Autorin ist freie Journalistin.