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Gastkommentare : Ist der Kanzler zu vorsichtig? Ein Pro und Contra

Deutschland ist bei Panzerlieferungen an die Ukraine zu zögerlich - oder zu Recht zurückhaltend? Julia Weigelt und Kerstin Münstermann im Pro und Contra.

23.01.2023
2024-02-23T09:58:01.3600Z
2 Min

Pro

Vertrauensverlust

Foto: Inga Sommer
Julia Weigelt
ist als freie Journalistin tätig.
Foto: Inga Sommer

Natürlich ist es gut, bei wichtigen Entscheidungen alle Argumente besonnen abzuwägen. Doch diese Phase ist bei der Panzerfrage seit Monaten vorbei. Wir wissen, dass der russische Präsident Putin die ukrainische Kultur und Nation auslöschen will. Wir sehen von Russland ausgeübte Kriegsverbrechen, etwa gezielte Angriffe auf Wärme-‒ und Stromversorgung sowie auf ukrainische Kulturstätten. Warum unterstützt Deutschland die Angegriffenen also nicht umfassend? Will Bundeskanzler Scholz Kampfpanzer-Lieferungen so lange hinauszögern, wie bündnispolitisch gerade noch vertretbar, um seinen linken Partei-Flügel zu besänftigen?

Die Bundesregierung kündigt seit Jahren an, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, ja, sogar zu führen. Und ja, ‒Verantwortung ist mehr, als Panzer zu liefern. Dazu gehören auch effektiver Klimaschutz und faire Wirtschaftspolitik. Und jetzt eben auch Panzer. Wenn "Führung übernehmen" bedeutet, sich gegen Waffenlieferungen so lange zu sperren, bis anderen Bündnispartnern der Geduldsfaden reißt und sie Einzellieferungen ankündigen, geht erneut Vertrauen verloren.

Die Bundesregierung muss von ihrem Deutschland-first-Kurs weg, für den nicht nur der viel zu späte Stopp von Nord Stream 2 ein Beispiel ist. Auch preistreibende Käufe auf dem internationalen Gasmarkt gehören dazu. Vertrauen ist schnell zerstört und schwer wieder aufzubauen. Dabei helfen: Aufrichtigkeit in Bezug auf wahre Handlungsmotivation, Fehler bedauern und es zukünftig besser machen. Denn weiteren Vertrauensverlust kann sich Deutschland in einer Zeit sich überlagernder und gegenseitig verstärkender Krisen nicht mehr leisten.

Contra

Breite Zustimmung

Foto: RP/Andreas Krebs
Kerstin Münstermann
ist Chefredakteurin bei der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf.
Foto: RP/Andreas Krebs

Die Gretchenfrage dieser Tage lautet: Liefert Deutschland der Ukraine Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 oder nicht? Oder erteilt es zumindest die Erlaubnis dazu, dass Länder wie etwa Polen Kampfpanzer an die Ukraine liefern können?

Olaf Scholz bleibt in dieser Frage zurückhaltend. So nutzte er etwa die Rede auf dem Weltwirtschaftsforum nicht zu einer klaren Positionierung in dieser Frage. Die Botschaft: Er lässt sich nicht von der öffentlichen Meinung treiben. In Interviews bekräftigte er stets sein Mantra: Die Ukraine so lange unterstützen, wie es notwendig ist, nicht alleine, sondern nur mit Partnern zusammen. Und alles dran setzen, um zu vermeiden, dass die Nato-Verbündeten in einen direkten Konflikt mit Russland hineingezogen werden.

Außerdem weiß Scholz vieles auf der Haben-Seite: Deutschland hat bereits Raketenwerfer, Gepard-Flak-Panzer, das Abwehrsystem Iris-T, Marder-Schützenpanzer, das Luftverteidigungssystem Patriot geliefert oder Zusagen dafür gemacht. Viele Millionen Euro wurden für die zivile Unterstützung aufgebracht. Scholz will die Führungsfrage im Westen zur Recht nicht an einzelnen Waffengattungen festmachen. Und er setzt vor allem auf die Unterstützung aus den USA. Ohne enge Abstimmung mit US-Präsident Joe Biden werde man keine Schritte unternehmen, so das Mantra aus dem Kanzleramt.

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Die Vorsicht des Kanzlers trifft auf breite Zustimmung in der Bevölkerung. Die Angst vor einer Beteiligung am Krieg ist größer, als mancher in Berlin das sehen mag. Die Solidarität der Deutschen darf Scholz nicht aufs Spiel setzen. Auch wenn er sich dafür den Vorwurf der Zögerlichkeit einfängt.