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Georgiens Weg in die EU : Regierung auf Schlingerkurs

Die Bevölkerung hofft auf einen EU-Beitritt des Landes. Den treibt die Regierung voran, doch zugleich setzt sie NGOs unter Druck und sucht die Nähe zu Russland.

09.11.2023
2024-02-23T11:28:28.3600Z
4 Min

Georgiens Staatspräsidentin Salome Surabischwili war sichtlich bemüht, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen, als sie am Mittwochabend auf die eigens aufgestellte Bühne vor ihrem Amtssitz in Tiflis trat. Gemeinsam mit der Bevölkerung wollte sie in einem rauschenden Fest die Empfehlung der EU-Kommission feiern, Georgien unter Vorbehalt den Kandidatenstatus in Aussicht zu stellen. Doch es kamen nur etwa 300 Menschen - Kameraleute, Journalisten und ausländische Beobachter mitgezählt.Und das, obwohl konstant 80 Prozent der Bevölkerung für eine Mitgliedschaft Georgiens in EU und Nato sind.

Weder Politiker der im Parlament vertretenen Parteien noch Angehörige der Regierung gesellten sich auf die Bühne. Lediglich die Botschafter der 18 EU-Länder, die in Georgien eine Vertretung haben, waren da, unterstützt durch die US-Botschafterin und den Vertreter der EU in Tiflis. Und der mahnte: Es blieben nur noch fünf Wochen, bis die Staats- und Regierungschefs über Georgiens Kandidatenstatus entscheiden. Das Land habe keinen Tag zu verlieren.

Foto: Thomas Franke

Mittagspause in Georgiens Hauptstadt Tiflis in einem Café mit - etwas abgewandelter - EU-Fahne im Hintergrund: 80 Prozent der Bevölkerung sind für eine Mitgliedschaft Georgiens in EU und Nato.

Georgien ist mitnichten auf dem Stand eines Beitrittskandidaten. Es mangelt an so elementaren Dingen wie Pressefreiheit oder der Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen Prozess. In Brüssel betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen denn auch, sie schätze die Zustimmung der georgischen Bevölkerung zur EU. Diese müsse sich aber stärker im Handeln der Regierung widerspiegeln.

Zivilgesellschaft fühlt sich bestätigt

Die Zivilgesellschaft gibt sich trotz allem zufrieden. "Es ist eine große Motivation für unsere Arbeit", sagt etwa Politikberaterin Schorena Garibaschwili, die jahrelang Polizisten schulte, im Sinne der Bürger zu arbeiten. Auch Nasi Janesaschwili, Direktorin der Organisation Courtwatch, freut sich über das Signal aus Brüssel. "Wir fühlen uns bestätigt, weil wir so viel dazu beigetragen haben, Georgien auf diesen Weg zu bringen." Einhellig warnen Nichtregierungsorganisationen (NGO) jedoch vor verfrühtem Optimismus. "Den Kandidatenstatus zu bekommen, ohne die Bedingungen erfüllt zu haben", konstatiert zum Beispiel Wano Tschchikvadze von der Soros-Foundation in Tiflis, "ist, wie ein Diplom zu erhalten, ohne vorher studiert zu haben."

Die NGOs stehen unter Druck. Im März versuchte die Regierungspartei "Georgischer Traum" ein Gesetz durch das Parlament zu bringen, demzufolge sie sich als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen, wenn sie einen Teil ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten. Spontan versammelten sich Zigtausende vor dem Parlament - so ein Gesetz hatte zuvor in Russland dem ohnehin geringen bürgerschaftlichen Engagement den Todesstoß versetzt. "Ich war wirklich überrascht, zu sehen, wie viele Menschen spontan kamen, um das NGO-Gesetz zu stoppen", sagt Nasi Janesaschwili. Die Regierungspartei legte das Gesetzesvorhaben auf Eis, doch es wurde weiter Stimmung gegen NGOs gemacht. An Metrostationen hingen Plakate, auf denen Vertreter wichtiger Organisationen als "Vaterlandsverräter" verunglimpft wurden.

EU-Kommission lobt Fortschritte

Die Kommission hat bei der Vorstellung des Fortschrittsberichts auch einige positive Entwicklungen herausgestellt. So lobte Kommissionpräsidentin von der Leyen, dass die parlamentarische Kontrolle durch die Opposition verbessert und ein Antikorruptionsbüro eingerichtet wurde. Außerdem gebe es einen Plan zur "Entoligarchisierung". Das Land vom Oligarchentum zu befreien, träfe die Machtstruktur allerdings ins Mark. Die Regierungspartei "Georgischer Traum" wird beherrscht von Bidsina Iwanischwili, der sein Geld in den 1990er Jahren in Russland gemacht hat. Seit der Machtübername 2012 hat er Georgien wieder an Russland angenähert und Reformen seines Vorgängers zurückgenommen. Sanktionen der EU gegen Russland unterstützt seine Regierung nicht.

Georgiens Weg in die EU

Aufnahme im März 2022 beantragt: Bereits seit 2016 gibt es ein "Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen" zwischen der EU und Georgien. Im März 2022 hat das Land schli8eßlich die EU-Mitgliedschaft beantragt.

20 Monate später Kandidatenstatus erhalten: Am 8. November 2023 hat die EU-Kommission den EU-Mitgliedstaaten empfohlen, Georgien den Status eines Beitrittskandidaten zu geben. Entscheiden sollen darüber die Staats- und Regierungschefs auf dem nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember.

An Bedingungen geknüpft: Für den Kandidatenstatus muss die Regierung in Tiflis aus Sicht der Kommission aber noch Bedingungen erfüllen, wie etwa freie und faire Wahlen im kommenden Jahr. Zudem soll sich Georgien dem geltenden EU-Sanktionsregime, unter anderem gegen Russland, anschließen.



Ihre Außen- und Sicherheitspolitik an die der EU anzupassen, wie es Brüssel angemahnt hat, war bisher nicht im Sinne des "Georgischen Traums". Dessen Politiker warnen davor, Russland zu provozieren, und sind damit bei Teilen der eigenen Bevölkerung durchaus erfolgreich. Georgien war annähernd zweihundert Jahre unter russischer Kontrolle, und gerade ältere Menschen erinnern sich noch gut an die 1990er-Jahre, als Russland die Kriege und Konflikte in Georgien anheizte. Derzeit hält Russland mit den Separationsgebieten Abchasien und Südossetien de facto 20 Prozent des Territoriums besetzt. 2008 rollten das letzte Mal Panzer in Richtung Tiflis. Die Regierungsvertreter waren am Mittwoch dennoch bemüht, die Brüsseler Entscheidung als ihren Erfolg zu verkaufen. "Das ganze letzte Jahr haben wir 24 Stunden und sieben Tage die Woche gearbeitet, um die Anforderungen zu erfüllen", sagte Premierminister Irakli Garibaschwili. Außenminister Ilija Dartschiaschwili räumte ein, dass keiner der EU-Kandidaten perfekt ist, "wir auch nicht. Aber wir machen weiter. Denn wir haben es eher eilig, die Mitgliedschaft zu bekommen."

"Regierung sabotiert den Prozess"

Lewan Chabeschweili, Abgeordneter der größten Oppositionspartei, wetterte indes gegen die Regierungspartei, die er "Russischer Traum" nannte: "Das georgische Volk hat in der ersten Runde einen Sieg über den 'Russischen Traum' erlangt. Obwohl er den Prozess sabotiert, hat der feste Willen des georgischen Volkes gesiegt. Georgien wird nie wieder eine russische Provinz." Ob Russland das auch so sieht, wird sich zeigen. 

Der Autor ist freier Korrespondent für Osteuropa.