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Jugendbegegnung : Die "vergessenen" Opfergruppen

Anlässlich der jährlichen Jugendbegegnung des Bundestages zum Holocaust-Gedenktag befassen sich 59 junge Erwachsene mit der Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit.

30.01.2023
2024-01-04T16:36:10.3600Z
3 Min

Ein dunkelgrauer Kubus steht am Rand des Berliner Tiergartens. Auf der einen Seite ist ein kleines Fenster eingelassen. Nach und nach werfen die jungen Menschen, die sich dort versammelt haben, einen Blick in das Innere. Und schauen auf eine Videoleinwand, die eine Liebesszene zwischen zwei Frauen zeigt. Es fühle sich fast so an, als dringe man in die Privatsphäre des Paares ein, sagt einer der Teilnehmenden. Dadurch, dass die Szene im Inneren verborgen ist, soll die Lebensrealität vieler queerer Menschen gezeigt werden, erklärt ein Mitarbeiter der Denkmal-Stiftung: "Viele konnten sich nur im Verborgenen frei entfalten". Die Gefahr, entdeckt und verhaftet zu werden, sei in der NS-Zeit ihr ständiger Begleiter gewesen.

Dass die Informationstafel zu dem "Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen" einige Meter entfernt außerhalb des Tiergartens aufgestellt wurde, kritisiert Kai Nehnes. Der 19-Jährige absolviert gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr in der KZ Gedenkstätte in Dachau. Er finde das Denkmal sehr gelungen, es brauche aber vor Ort auch eine historische Einordnung und Kontextualisierung. "Die Menschen verstehen ansonsten vielleicht gar nicht, worauf das Denkmal abzielt", befürchtet er.

Volles Programm für 59 junge Erwachsene

Nehnes war einer von 59 jungen Erwachsenen, die vergangene Woche an der diesjährigen Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages teilgenommen haben. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar lädt der Bundestag jedes Jahr junge Menschen ein, sich näher mit einem Aspekt der NS-Zeit zu beschäftigen. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf der damaligen Verfolgung sexueller Minderheiten.

Es sei erstaunlich, wie wenig dieses Thema bis heute in der Schule behandelt wird, sagte Maya Leidinger (18). Die Saarländerin war in der Landesschülervertretung aktiv und setzt sich für Demokratieförderung ein.

Vor der Gruppe lag ein volles Programm. Bis in den späten Abend hinein besuchte sie Dokumentations- und Gedenkstätten, setzte sich in Workshops mit Einzelschicksalen auseinander und diskutierte mit Experten sowie Zeitzeugen.

Das Schicksal verfolgter lesbischer Frauen 

Um das Schicksal verfolgter lesbischer Frauen besser zu verstehen, besuchte die Gruppe die Gedenkstätte Ravensbrück, das ehemals größte Frauen-Konzentrationslager der NS-Zeit. Das Gelände liegt rund 90 Kilometer von Berlin entfernt, direkt am Schwedtsee in der Uckermark.

Trotz der eisigen Temperaturen und kahlen Bäume wirkte der Ort friedlich. Vielen Teilnehmenden fiel es schwer, die Idylle mit dem Leid in Verbindung zu bringen, das sich wenige Meter entfernt hinter der Mauer des damaligen Konzentrationslagers abgespielt hat. "Rassenschande", "Verbrechen gegen das Volksempfinden", "Kuppelei", "Prostitution": Die Gründe, weshalb Frauen nach Ravensbrück gebracht wurden, waren vielfältig. Insgesamt 110.000 Frauen waren von 1939 bis 1945 hier inhaftiert. Sie wurden als Zwangsarbeiterinnen rekrutiert. Hunger, Krankheit und Tod waren ihr ständiger Begleiter. Vom Appellplatz des Lagers sieht man den Schornstein des Krematoriums, das bis heute erhalten ist.

Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung sei stark mit dem KZ Ravensbrück verbunden, sagte die Leiterin der Gedenkstätte. So steht beispielsweise die Abkürzung "LL" für "lesbische Liebe" auf einigen Einweisungskarten.

Lange hielt sich die Überzeugung, dass lesbische Frauen in der NS-Zeit nicht verfolgt wurden. Schließlich bezog sich der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs nur auf Männer. Auch habe es im KZ keine eigene Kategorisierung für lesbische Frauen gegeben, während Männer den rosa Winkel tragen mussten. Dadurch dass homosexuelle Menschen auch nach Kriegsende sozial geächtet wurden, haben auch viele der inhaftierten Frauen geschwiegen, ihr Schicksal niemandem mitgeteilt. Erst seit dem vergangenen Jahr erinnert eine Gedenkkugel an die lesbischen Frauen und Mädchen von Ravensbrück und macht diese Opfergruppe dadurch ein Stück sichtbarer.