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Reinhard Houben im Interview : "Das BIP ist das BIP"

Der FDP-Wirtschaftsexperte über einen Neustart nach der Krise, die Neuvermessung des Wohlstands und weniger Regulation.

30.01.2023
2024-03-04T12:10:04.3600Z
5 Min
Foto: picture alliance/dpa | Philipp Znidar

FDP-Politiker Reinhard Houben am Rednerpult im Deutschen Bundestag.

DP: Herr Houben, der Jahreswirtschaftsbericht bringt positive Neuigkeiten: Statt wie zunächst angenommen, kommt es wohl nicht zu einer Rezession, sondern sogar zu einem - wenn auch minimalen - Wachstum. Heißt das also, es gibt Entwarnung, die Krise ist vorbei?

Ich bin nicht der Meinung, dass man jetzt schon Entwarnung geben kann. Ich muss aber der Koalition und der Bundesregierung ein Kompliment machen; wir haben relativ kurzfristig viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, die offensichtlich das Schlimmste verhindert haben. Aber dass wir uns in einer besonderen Situation befinden und dass wir mit Milliardenbeträgen Strom- und Gaspreise subventionieren, kann ja kein Normalzustand sein, vor allem für einen Liberalen.

DP: Trotz der nun doch glimpflichen Lage bleiben viele Herausforderungen - was sind die größten Hürden für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr?

Alles steht und fällt natürlich mit der Entwicklung in der Ukraine. Wenn zu für die Ukraine akzeptablen Konditionen ein Frieden gefunden oder zumindest ein Waffenstillstand vereinbart werden könnte, würde das der Wirtschaft weltweit helfen und davon würden natürlich auch die deutsche und die europäische Wirtschaft profitieren. Aber das haben wir nun nicht in der Hand und deswegen wird dies ein Jahr voller Risiken werden.

DP: Welche Risiken sehen Sie da genau?

Da ist erstens einmal der Krieg als solcher. Zweitens sind das die Auswirkung des Krieges auf die Lieferketten, angefangen beim Gas über das Öl und die unterschiedlichsten Metalle und Rohstoffe bis hin zur Lebensmittelsituation in der Dritten Welt, die von Lieferungen aus der Ukraine abhängt.

DP: Deutschland hat ein Jahr voller Tiefpunkte hinter sich: Die höchste Inflation seit 1951, zeitweise explodierende Energiepreise, Krieg in Europa - kann sich die deutsche Wirtschaft davon wieder komplett erholen?

Natürlich haben wir große Chancen, wenn die Rahmenbedingungen wieder so sind, dass die Wirtschaft sich entwickeln kann. Dazu gehört auch, dass wir als Bundestag unsere Hausaufgaben vernünftig erledigen. Für mich erschließt es sich beispielsweise nicht, dass wir LNG-Terminals in einem halben Jahr genehmigen und bauen können, aber bei der Verkehrsinfrastruktur, ob das nun Straße, Schiene oder Wasserstraße ist, immer noch so einen Stau an Genehmigungen haben. Wenn wir das mal alles abräumen würden, würde das zum einen eine Konjunktur für die Bauwirtschaft bedeuten. Außerdem hängt jedes Unternehmen in Deutschland, ob klein oder groß, von der Infrastruktur unseres Landes ab.

DP: Dass mit einem Plus zu rechnen ist, hängt auch mit den massiven Hilfspaketen zusammen. Waren Gas- und Strompreisbremse, Dezemberhilfe und Co. die richtigen Entscheidungen - auch wenn sie eine Neuverschuldung bedeuten?

Wir hatten ja das Glück, dass im Wirtschaftsstabilisierungsfonds noch Geld vorhanden war. Das ist nun verwendet worden, um die Gas- und Strompreisbremse zu finanzieren. Aber natürlich gibt es auch neue Schulden. Wir können spekulieren und hoffen, dass die Nachfrage nach Unterstützung vielleicht nicht so groß ist, wie wir projiziert haben, aber am Ende werden wir Schulden machen und das kann uns nicht glücklich machen. Deshalb ist es auch so wichtig, zumindest für den Kernhaushalt die Schuldenbremse einzuhalten. So wie wir in Deutschland strukturiert sind, mit vielen mittleren und kleinen Unternehmen, ist meiner Meinung nach ein Neustart vor allen Dingen dann zu erreichen, wenn wir mehr Abschreibungen ermöglichen, als Förderung zu verteilen. Wenn man der Wirtschaft die Möglichkeit gibt, Investitionen schneller abzuschreiben, dann bedeutet das am Ende für den Staat keinen Verlust an Steuereinnahmen, sondern nur eine Verschiebung der Liquidität. Das ist meiner Meinung nach einfacher, billiger und bietet mehr Anreiz als irgendwelche Förderprogramme, für die man irgendwelche komplizierten Formulare ausfüllen muss.

DP: Sind Sie sich da einig mit dem grünen Koalitionspartner? Wirtschaftsminister Habeck hat eine weitere Förderung auch an ein nachhaltigeres Wirtschaften geknüpft und von einer "transformativen Angebotspolitik" gesprochen.

Ich finde es schwierig, nur einige wenige Investitionen herauszupicken. Denn damit werden ja all jene benachteiligt, die sich schon vorher um das Thema gekümmert haben. Derjenige, der schon vor zwei Jahren eine Solaranlage angebracht hat, bekommt dann keine Abschreibung mehr, aber der, der es jetzt erst gemerkt hat, bekommt eine besonders gute Förderung.

DP: Der Jahreswirtschaftsbericht enthält nun zum zweiten Mal ein Sonderkapitel zum nachhaltigen Wohlstand. Wie sehr sollten diese Indikatoren Ihrer Meinung nach Einfluss haben auf die Bewertung der Wirtschaftslage nach bislang traditionellen Parametern?

Ich habe es in der Debatte im vergangenen Jahr schon so formuliert: Am Ende ist das BIP das BIP. Es ist natürlich kein Fehler, zu wissen, was sonst noch an Faktoren aufgenommen wurde. Das schadet nicht, aber die individuelle Frage, ob man sich als wohlhabend empfindet oder nicht, das hat ja eine riesige Spanne. Das BIP ist und bleibt der entscheidende Faktor, weil wir uns auch nur so mit anderen Ländern vergleichen können.

DP: Aber hat die vielzitierte Zeitenwende, hat der Krieg in Europa, nicht auch dazu geführt, dass viele Menschen hierzulande jetzt Wohlstand anders einschätzen, unabhängig von finanziellen Mitteln?

Der Krieg und die Zeitenwende haben natürlich dazu geführt, dass die Menschen in Deutschland und Europa anders auf ihr Leben und die Gesellschaft schauen. Viele Selbstverständlichkeiten stellt man auf einmal fest, sind gar nicht selbstverständlich. Zum Beispiel die Frage: Wie gehe ich mit Energie um? Und es hat vielleicht zu einem realistischeren Blick geführt auf das, was wichtig ist. Jetzt gehört zum Wohlstand schon, dass man es zu Hause warm hat, sich satt essen und frei leben kann.

DP: Ihr Parteichef und Finanzminister Christian Lindner hat kürzlich davon gesprochen, dass man sich die Rahmenbedingungen für neuen Wohlstand anschauen müsse. Was meint er damit?

Wirtschaftlicher Wohlstand ist für uns, dass wir ein Wirtschaftssystem haben, das es jedem Menschen ermöglicht, in Eigenverantwortung zu erwirtschaften, was er meint, zum Leben zu brauchen. Da wären wir bei der berühmten Debatte der Leistungsgerechtigkeit. Und wir müssen uns fragen, ob wir uns nicht tot regulieren in unserem Land. Machen wir es uns nicht zu schwer im wirtschaftlichen Umfeld? Stimmen die Verhältnisse noch? Regeln wir Dinge so durch, dass wir uns selbst blockieren?

DP: Aber braucht der Umbau der Wirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft, wie von der Bundesregierung angestrebt, nicht auch Regeln?

Wir in der FDP wollen die Wirtschaft nicht umbauen, sondern wir möchten, dass wir zu einer Energieerzeugung und zu einem Energieverbrauch kommen, der eine möglichst geringe CO2-Belastung bedeutet. Was das Unternehmen sonst macht, das interessiert mich eigentlich nicht und geht mich auch nichts an. Deswegen ist unser Ansatz: CO2 muss bepreist werden, das haben wir ja auch eingeführt. Energie muss einen Preis haben, sie darf auch nicht zu billig sein, sonst wird nicht ökonomisch gehandelt. Unser Ziel ist, über eine Preisfindung zu erreichen, dass wir so wenig CO2 wie möglich produzieren. Wir haben doch in dieser schwierigen Situation gemerkt, dass wir viele Dinge viel schneller ändern können mit viel weniger Regulierung. Lasst uns die Dinge einfach schneller und einfacher regeln. Das schlägt dann nicht nur auf die Wirtschaft durch, sondern auch auf das Leben der Menschen.