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Editorial : Das Glas ist halb voll

Es ist weniger schlimm als befürchtet, gut ist es aber noch lange nicht.

30.01.2023
2023-09-26T14:05:12.7200Z
2 Min

Die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, scheint leicht zu beantworten. Wenn der Jahreswirtschaftsbericht von Robert Habeck (Grüne) statt einer Rezession nur eine Stagnation befürchtet, passt noch einiges ins Glas. Und doch liest sich dieser Ausblick beruhigend, zumal er wohl nicht nur für Deutschland gilt. Die Finanzfachleute des Internationalen Währungsfonds werden am 31. Januar in ihrem Weltwirtschaftsausblick zu einem ähnlichen Ergebnis kommen. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hat in Davos bereits angedeutet: 2023 werde "weniger schlimm" als befürchtet.

Ob Konsumbarometer oder Geschäftsklimaindex, in Deutschland hellt sich die Stimmung auf. Sie war aber auch am Boden und die Zahlen sind es zum Teil immer noch. Der Geschäftsklimaindex besteht aus zwei Komponenten, der Beurteilung der aktuellen Lage und den Geschäftserwartungen. Letztere kommen vom Tiefpunkt, zuletzt waren sie im Corona-Crash so schlecht. Bei den Erwartungen sind die Unternehmen heute optimistischer, aber die Beurteilung der aktuellen Lage hat sich nicht verbessert. Auch hier also dieselbe Botschaft: Es ist weniger schlimm als befürchtet, gut noch lange nicht.

Richtig füllen mögen das Glas auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nicht. Der BDI formuliert akute und strukturelle Sorgen für den Industriestandort Deutschland. Gas und Strom kosten zigmal so viel wie bei der Konkurrenz in den USA, die Preisbremsen hierzulande könnten viele Firmen nicht nutzen. Dazu machen die Dauerbrenner Steuern und Bürokratie zu schaffen. Und die KfW, für Alarmismus nicht bekannt, warnte eindringlich, dass durch den Mangel an Fachkräften ein langanhaltender Abstieg drohe, das Fundament des Wohlstands bröckele.

Hinzu kommt die Inflation von 7,9 Prozent im Jahr 2022. Das macht nicht nur der Wirtschaft zu schaffen. Rechnerisch bedeutet dies, dass die Menschen fast ein Monatsgehalt verloren haben. Doch dass es bei all dem nicht nur um Zahlen geht, hat der Bundeswirtschaftsminister in seiner Rede vorangestellt: Man kommt nicht umhin, die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf unseren Wohlstand ins Verhältnis zu dem Epochenbruch und dem Leid zu setzen, das der russische Überfall auf die Ukraine ausgelöst hat. Wer es so betrachtet, vor dem steht ein halbvolles Glas.