Untersuchungsausschuss : Kein Zugang zur Blackbox USA
Zeugen berichten im Untersuchungsausschuss von US-Alleingang vor Truppenabzug aus Afghanistan.
Die Enttäuschung war groß als das Doha-Abkommen zwischen den USA und den radikalislamistischen Taliban im Februar 2020 unterzeichnet wurde. Nicht nur die übergangene afghanische Regierung und die Vertreter der Zivilgesellschaft waren empört. Die Partner der USA in Afghanistan fühlten sich ebenfalls übergangen.
Nun werfen Zeugenaussagen vor dem 1. Untersuchungsausschuss des Bundestages ein Licht auf das, was in den letzten Monaten des Afghanistan-Einsatzes der Nato hinter den Kulissen passiert ist. Das Bild, das allmählich Gestalt annimmt, bestätigt fast alles, was Beobachter bereits geahnt hatten: Die westlichen Verbündeten der USA, unter ihnen auch Deutschland, standen vor vollendeten Tatsachen und einem ohne jede Konsultation mit den Verbündeten abgeschlossenen Vertragswerk, das sie jedoch alle und auch die afghanische Regierung in die Pflicht nahm.
Geringe Erwartungen an die USA
Die Erwartungen im Auswärtigen Amt (AA) im Vorfeld gingen offenbar ohnehin nicht sehr weit. Denn in Washington regierte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses "eine sehr spezifische US-Regierung", wie es der ehemalige Leiter des Referats Afghanistan/Pakistan im Auswärtigen Amt vor dem Ausschuss ausdrückte. Gemeint ist die US-Administration unter Donald Trump.
Mit Hilfe einer auf Konfliktlösung spezialisierten Stiftung aus Deutschland hätten deutsche Diplomaten außerdem die Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft beraten, die an den Verhandlungen mit Taliban teilnahm.
Parallel dazu hätten die Nato-Partner versucht, die USA umzustimmen. Sie seien am Anfang der Gespräche einer Bitte Washingtons nachgekommen und hätten einen symbolischen Teilabzug als vertrauensbildende Maßnahme vollzogen. Bei einer Ministertagung der Nato habe Außenminister Maas nach diesem ersten Abzug gefordert, "kein Automatismus bei Truppenreduzierung hinzunehmen".
Zusammen mit anderen Staaten habe sich Deutschland für eine gemeinsame Bewertung des Abkommens eingesetzt, so der frühere Außenamtsmitarbeiter. Außerdem hätten sie die weiteren Schritte gemeinsam entscheiden wollen. Beim Abzug sollte der zeitorientierte Ansatz im Vertrag einem konditionsbasierten Ansatz weichen. Doch Washington sei stur geblieben.
Biden als letzte Hoffnung
Die letzte Hoffnung sei daher die neue US-Administration unter Präsident Joe Biden gewesen. Mit ihr habe es Anknüpfungspunkte gegeben, um auf die Einhaltung des Geistes des Abkommens zu drängen, erinnerte sich der frühere AA-Referatsleiter. Die Bundesregierung habe versucht, eine Kopplung des Militärischen mit dem Zivilen zu erreichen. Damit sei sie aber nicht besonders erfolgreich gewesen. Die neue US-Administration habe sich zwar nach der Sicht der Verbündeten erkundigt. Die Entscheidung über den Totalabzug der Truppen sei jedoch wieder allein in Washington gefallen. Das Resümee des Referatsleiters: "Die Entscheidungsfindung auf der amerikanischen Seite ist für uns ein Blackbox gewesen."
Laut einem ehemaligen Referenten der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der Nato habe man dennoch gehofft, dieses Abkommen könnte die Tür für "eine politische Lösung für den militärischen Konflikt" öffnen. Umso größer sei die Überraschung gewesen, als bekannt wurde, wie "schwammig" der Text des Abkommens formuliert war. Dass dieser keine konkreten Konditionen für den Abzug der internationalen Truppen vorsah, halten beide Zeugen aus dem AA für einen Geburtsfehler des Vertrages.
Drängen auf Transparenz
Den Zeugen zufolge begann damit eine schwierige Zeit für deutsche Diplomaten. Sie erkannten im Text zwar keine konkreten Schritte, aber zumindest mit dem Geist des Abkommens konnten sie etwas anfangen - obwohl sie schnell merkten, dass die Taliban sich nicht daran hielten.
Das Referat Afghanistan/Pakistan habe dem damaligen Außenminister Heiko Maas (SPD) die Empfehlung gegeben, trotz der Probleme zu versuchen, den politischen Prozess zu unterstützen, berichtete der einstige Leiter der Abteilung. Es sei dabei primär darum gegangen, auf mehr Transparenz zu drängen und einen inklusiven Friedensprozess zu unterstützen.