Editorial : Wer soll nach Deutschland kommen?
Eine Debatte lebt davon, alle Meinungen zuzulassen. Doch nicht alle müssen kritiklos hingenommen werden. Das gilt auch für den Streit um die Zuwanderung.
Dass beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Nancy Faeser (Innen) und Hubertus Heil (Arbeit) gleich zwei Bundesminister im Bundestag das Wort ergreifen, hat schon Tradition und ist bei einem parlamentarischen Thema doch ungewöhnlich. Es gibt nicht viele Fragen, die zwei Ressorts gleichermaßen berühren, bei Zuwanderungsfragen ist dies so und auch dies unterstreicht ihre große Bedeutung. In einem Land, das keine Bodenschätze hat, hängt der Wohlstand ausschließlich an seinen Fachkräften. Und die suchen Unternehmen in Deutschland schon heute fast verzweifelt.
Zahl der offenen Stellen so hoch wie nie
Ob in der IT-Branche, der Produktion und Dienstleitung, im Handwerk oder dem Bau, der Kinderbetreuung, der Gesundheit oder der Pflege; trotz einer durchaus größeren Reform der Fachkräfteeinwanderung vor vier Jahren, lag die Zahl der offenen Stellen 2022 bei rund zwei Millionen und damit so hoch wie noch nie. Dabei kommt das dicke Ende erst noch, denn ab Mitte des Jahrzehntes gehen die geburtenstarken Jahrgänge der so genannten Baby-Boomer in Rente.
So einhellig wie die Bestandsaufnahme, dass Deutschland dort ein Problem hat, so umstritten sind regelmäßig die Debatten hierzu. Gewarnt wird vor einer Migration in prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wie durch die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Susanne Ferschl, im Interview auf Seite 2. Die AfD warnt vor der Absenkung der Einwanderungshürden und die Union sieht das Problem in der täglichen Praxis: Zuwanderung von Fachkräften würde oft an den bürokratischen Hürden deutscher Auslandsvertretungen scheitern.
Regierung will modernes Einwanderungsrecht. Union kritisiert Bürokratiezuwachs.
Deutschland muss den Rückstand auf klassische Einwanderungsländer aufholen. Doch die Politik tut sich trotz lauter Hilferufe von Wirtschaftsverbänden schwer.
Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl über die Notwendigkeit der Fachkräfteeinwanderung und mögliche Gefahren für den Arbeitsmarkt.
Der Ansatz der Ampelkoalition, der nun in den Ausschüssen beraten wird, setzt auf eine Stärkung der Willkommenskultur. Obwohl ausdrücklich Fachkräfte gesucht werden, muss ein ausländischer Berufsabschluss nicht mehr in Deutschland anerkannt sein, alle sind willkommen, die Berufserfahrung oder Potenzial mitbringen. Rednerinnen und Redner der Ampel mahnten zudem, dass nicht nur ein neues Gesetz nötig sei, ausländische Fachkräfte würden im Alltag oft diskriminiert und auch so manche Meinung in der Debatte sei ein Grund dafür, dass sie zu oft einen Bogen um Deutschland machten. Ein Vorwurf, der beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz ebenfalls Tradition hat. Dort gilt wohl zweierlei: Eine Debatte lebt davon, alle Meinungen zuzulassen. Man muss aber nicht jede kritiklos hinnehmen.