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Gastkommentare : Geht die Neuregelung im Gesetz zu weit?

Geht die Hausrecht-Regel im Selbstbestimmungsgesetz zu weit oder ist der Passus ungenügend? Heide Oestrich und Heike Schmoll im Pro und Contra.

17.11.2023
2024-03-14T14:33:14.3600Z
3 Min

Pro

Diskriminierender Passus sollte verschwinden

Foto: rbb/Gundula Krause
Heide Oestreich
arbeitet beim Rundfunk-Berlin-Brandenburg.
Foto: rbb/Gundula Krause

Bei all der Polemik und Hetze, die in der öffentlichen Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz zu hören war, ist es geradezu verwunderlich, dass der nun in den Bundestag eingebrachte Text dennoch sein Ziel mit Ach und Krach erreicht: Allen Menschen ungeachtet dessen, was sie zwischen ihren großen Zehen tragen, zu ihrem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Selbstbestimmung zu verhelfen.

Dass die Diskussion um geschätzte 0,3 Prozent der Menschheit solche Wellen schlug, zeigt, dass hier grundlegende und identitätsstiftende Elemente der Gesellschaft berührt sind: Wir können uns Menschen nicht als Menschen vorstellen, wenn sie nicht zugleich ein Geschlecht repräsentieren. Dass wir dies an zwei, drei körperlichen Merkmalen festmachen, ist nicht nur Identitätspolitik qua Biologie, es ist eine Identitätszwangsjacke. Die kommt nun endlich in die Mottenkiste.

Neue Freiheiten bringen neue Lernerfahrungen. Einige gesellschaftliche Gruppen, dazu gehören auch einige Feministinnen, dürfen sich nun von einem biologistischen Geschlechterbild verabschieden, das sich einzig an Keimzellen orientiert. Solche Lernerfahrungen blockiert man allerdings wieder, wenn man ins Gesetz schreibt, Hausrecht, Vertrags- und Satzungsfreiheit blieben unberührt von den neuen Regelungen. Das klingt, als dürfe man transidenten Personen den Zugang zur Frauensauna verwehren, nur weil sie andere irritieren könnten. Das darf man natürlich nicht. Diese Nebelkerze aber suggeriert, dass transidente Personen eine Gefahr darstellen. Und schon lugt die Identitätszwangsjacke wieder hervor: Wer nicht reinpasst, gehört nicht dazu. Man kann nur hoffen, dass dieser diskriminierende Passus noch verschwindet. Er ist des Gesetzes nicht würdig.

Contra

Der Gesetzgeber zeigt keine Lösungswege

Foto: Privat
Heike Schmoll
arbeitet bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Foto: Privat

Betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen bleiben die Vertragsfreiheit und das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers sowie das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln unberührt". So heißt es im Selbstbestimmungsgesetz. Offensichtlich sieht der Gesetzgeber, dass es Situationen gibt, in denen es auf das biologische Geschlecht ankommt und nicht auf das empfundene und das juristische Geschlecht. Es ist gut, dass er das so klar erkennt. Aber er zeigt keine Lösungswege.

Denn es geht um konkrete Situationen, die leicht zu Konflikten führen können, um geschützte Räume für Frauen etwa in einer Frauensauna oder einem Frauenhaus. Bleiben Hausrecht und Vertragsfreiheit unberührt, heißt das eigentlich, dass das Gesetz beide nicht einschränkt. In der Begründung heißt es gleichzeitig, dass der Begriff des Geschlechts im Sinne des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) EU-rechtlich determiniert sei.

Offenbar passen aber Gesetzestext und Begründung nicht richtig zusammen. Darin heißt es, dass die getrennte Unterbringung von Männern und Frauen etwa in Justizvollzugsanstalten weiter zulässig ist. Allerdings müssten Gesetze oder Satzungen künftig regeln, dass sie das biologische Geschlecht meinen und nicht das eingetragene. Mehr noch: Sie müssten definieren, was sie unter einer biologischen Frau oder einem biologischen Mann verstehen. Und das ist das Problem: Der Gesetzgeber glänzt mit einer diskriminierungsfreien Regelung. Mit der Umsetzung aber lässt er die Akteure vor Ort allein und delegiert sie an die Betreiber. Die Probleme werden so verschoben, nicht gelöst.

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