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Slowenien: Gastland der Frankfurter Buchmesse : Südlicher Flair zwischen Adria und Alpen

Slowenien blickt auf eine wechselreiche Geschichte. Aktuell kämpft das Land mit den Folgen der Flutkatastrophe vom August.

14.10.2023
2024-02-06T12:11:12.3600Z
5 Min

Im August ist eine Katastrophe über Slowenien hereingebrochen. Sintflutartige Regenfälle brachten binnen Stunden Bäche und Flüsse zum Überlaufen. Ein Staudamm des Flusses Mur brach, Gerölllawinen gingen an den steilen Hängen der Südalpen ab. Sechs Menschen kamen ums Leben, Zehntausende Haushalte wurden teils über Tage vom Strom abgeschnitten, insgesamt waren 147 der 212 Gemeinden des Landes zwischen Alpen und Adria betroffen. Die Schäden gingen in die Milliarden Euro. Es war, als hätte sich das Unglück im Ahrtal über zwei Drittel von Rheinland-Pfalz erstreckt.

Foto: picture-alliance/Zoonar/Gunter Kirsch

Blick auf die Altstadt und die mittelalterliche Festung der slowenischen Hauptstadt Ljubljana.

Es war die schlimmste Naturkatastrophe in der noch jungen Geschichte Sloweniens als eigenständiger Staat. In den Wendejahren, in denen überall in Mittel- und Osteuropa das Joch der kommunistischen Diktaturen abgeschüttelt wurde, lösten sich die Slowenen zugleich aus dem jugoslawischen Staatsverband. 1990 fanden erstmals freie Wahlen in der damaligen Teilrepublik statt, aus denen die demokratischen Kräfte als Sieger hervorgingen. Im gleichen Jahr sprach sich eine klare Mehrheit der Slowenen für die Unabhängigkeit aus, die 1991 mit einem Parlamentsbeschluss vollzogen wurde. Eine Intervention durch die jugoslawische "Volksarmee" wurde in einem kurzen Krieg abgewehrt, dem ersten und mit 75 Todesopfern noch relativ wenig blutigen militärischen Konflikt im zerfallenden Jugoslawien.

Städte atmen südliches Flair

Damit hatten die Slowenen erstmals einen eigenen Staat, will man nicht das slawische Fürstentum Karantanien aus dem 7. nachchristlichen Jahrhundert im Raum des heutigen Kärntens als solchen bezeichnen. Im Mittelalter war das Land im Adriaraum von Venedig geprägt, wovon so manches Löwenwappen in den malerischen Städtchen zeugt. Später war Slowenien Teil des Habsburgerreichs. Städte wie Laibach (Ljubljana), die heutige Hauptstadt, oder Marburg an der Drau (Maribor) atmen südliches Flair, verleugnen baulich aber auch nicht das habsburgische Erbe. Nach dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn 1918 wurde das Gebiet Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, das zunehmend von Serbien dominiert wurde und später Jugoslawien hieß. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Staat unter Jozip Broz Tito unter kommunistischem Vorzeichen wieder hergestellt.

Heute hat Slowenien rund 2,1 Millionen Einwohner. Das Durchschnittsalter ist mit 44,5 Jahren - ähnlich wie in Deutschland - im weltweiten Vergleich hoch. Durch Zuwanderung nimmt die Bevölkerungszahl dennoch zu. Die meisten Einwanderer stammen aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens und können sich wegen der Verwandtschaft der südslawischen Sprachen leicht verständigen. Sie sind als Arbeitskräfte gefragt. Traditionell hat Slowenien eine starke Industrie, wirtschaftlich dominierte die kleine Teilrepublik schon zu jugoslawischen Zeiten den Rest des Staates. Nicht von ungefähr konnte Slowenien schon 2004 der Europäischen Union sowie der NATO beitreten und bald auch den Euro als Währung einführen.

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Während es angestammte Minderheiten nur in geringer Zahl gibt - anerkannt sind Ungarn, Italiener und Deutsche -, lebt eine beträchtliche slowenische Diaspora in den Nachbarländern, vor allem in Österreich. Große Teile Kärntens und der Steiermark haben einst slawische Dialekte gesprochen, die im 16. Jahrhundert erstmals durch den protestantischen Prediger Primoz Trubar als Slowenisch aufgezeichnet wurden. Besonders Kärnten war nach 1918 zwischen Österreich und Slowenien umstritten, durch Volksabstimmungen wurden die heutigen Grenzen bestätigt. Durch Assimilierung ist die Zahl der Kärntner Slowenen inzwischen auf einige Zehntausend gesunken. Die Spannungen zwischen Teilen der deutschsprachigen Mehrheit und der slowenischen Minderheit, Stichwort Ortstafelstreit, dauerten bis in dieses Jahrhundert fort. Sie sind inzwischen durch einen vorbildlichen Versöhnungsprozess weitgehend beigelegt. Trotzdem rief die Grünen-Abgeordnete Olga Voglauer im österreichischen Nationalrat noch 2019 einen Eklat mit der rechten FPÖ hervor, als sie eine Rede auf Slowenisch einleitete.

Quereinsteiger sind Regelfall in Sloweniens Politik

Politisch hat Slowenien ein parlamentarisches System mit einem Staatsoberhaupt, das überwiegend repräsentative Aufgaben hat. Präsidentin Natasa Pirc Musar ist die erste Frau im Amt, aufgestellt wurde die Journalistin und Rechtsanwältin von einer linken Initiative mit Piratenpartei und Grünen. Ministerpräsident ist der Liberale Robert Golob (Freiheitsbewegung). Er war zuvor lange Jahre als Chef eines Energieversorgungsunternehmens tätig. Dass Quereinsteiger mit neuen, auf sie zugeschnittenen politischen Formationen aus dem Stand ins Parlament und auch an die Regierungsspitze kommen, wie es dem 56 Jahre alten Golob gelang, ist beinahe schon eine Regel. Zuvor haben bereits ein Rechtsanwalt, ein Kommunalpolitiker und Fernsehkomiker dieses Kunststück fertiggebracht.

Diesem Trommelwirbel an linksliberalen Shooting Stars steht auf der konservativen Seite Janez Jansa als Kontinuum gegenüber. Seit 35 Jahren ist er eine politische Figur. 1988, noch vor dem Fall des Kommunismus in Europa, wurde der damalige Jugendfunktionär bekannt mit regimekritischen Artikeln. Dafür wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt. 1989 war Jansa an der Gründung der Slowenischen Demokratischen Union beteiligt, später diente er dem jungen Nationalstaat als Verteidigungsminister und hatte einen Anteil am erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg.

Der 65 Jahre alte Jansa ist eine wichtige, aber auch polarisierende politische Figur. Dreimal hat er das Amt des Ministerpräsidenten in Wahlen errungen und dreimal wieder abgeben müssen. Kritiker halten ihm seine konservativen Positionen, angebliche autoritäre Tendenzen und eine Nähe zum ungarischen Regierungschef Viktor Orbán vor. Er selbst sieht sich als Opfer alter kommunistischer Seilschaften an. 2014 verpasste er wegen einer Haftstrafe eine Wahl. Später stellte das Verfassungsgericht fest, dass seine Verurteilung wegen Korruption zu Unrecht erfolgte.

Foto: picture alliance/EPA

Der neue Ministerpräsident von Slowenien: Robert Golob.

Waffenstillstand im Innern

Nach der Jahrhundertflut im August ist etwas geschehen, das in der slowenischen Politik ausgesprochen ungewohnt ist: Die Parteien legten ihren Streit bei. Von einem "Waffenstillstand" war die Rede. Golob und Jansa traten gemeinsam im Fernsehen auf. Jansa kündigte die Unterstützung seiner christdemokratischen SDS für ein Notfallgesetz der Regierung an, damit es möglichst schnell in Kraft treten konnte. Es sah unter anderem eine unbürokratische Sofortzahlung für betroffene Haushalte vor. Im Übrigen konnten die Slowenen sehen, dass nicht nur im Inneren zusammengerückt wurde, sondern auch die Nachbarländer, die EU und die Nato unverzüglich Hilfe leisteten.

Die Regierung hat ihre Position dank des beherzten Handelns in der Katastrophe wieder etwas stabilisiert. Sie war seit Jahresbeginn 2023 in den Umfragen kontinuierlich abgesackt. Golob konnte bei seinen wichtigsten Versprechen wie Steuer- und Gesundheitsreform, höhere Renten und leistbares Wohnen, wenig Erfolge vorweisen. Mit seinen steigenden Umfragen dürfte allerdings auch das baldige Ende des innenpolitischen "Waffenstillstands" eingeläutet sein.

Der Autor ist politischer Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für Österreich und Ungarn.