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Wettbewerbsrecht : Immer noch das beste Angebot?

Der Markt funktioniert nur durch Wettbewerb, stellte Ludwig Erhard fest. Knapp 70 Jahre später sorgt die Ampel mit der GWB-Novelle für einen Paradigmenwechsel.

30.12.2023
2024-01-24T17:01:22.3600Z
5 Min

"'Wohlstand für alle' und ,Wohlstand durch Wettbewerb' gehören untrennbar zusammen; das erste Postulat kennzeichnet das Ziel, das zweite den Weg, der zu diesem Ziel führt." Ludwig Erhard, der in Deutschland als der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft (siehe Text unten) gilt, hat 1957 mit diesen Worten einen klaren Zusammenhang zwischen dem Funktionieren des Marktes und dessen Regulierung hergestellt.

Die Wettbewerbsregulierung gilt als "scharfes Schwert", das 1956 geschmiedet und nun, fast 70 Jahre später, in diesem Jahr mit der elften Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) weiter geschärft wurde. Man habe nun ein Wettbewerbsrecht "mit Klauen und Zähnen", konstatierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), als der Bundestag über das Gesetz abgestimmt hatte. Für ihn ist die Novelle nicht weniger als die "größten Reform des Wettbewerbsrechts seit Ludwig Erhard". Justizminister Marco Buschmann (FDP) sprach davon, dass das für die Überwachung zuständige Bundeskartellamt nun eine "Wettbewerbsbehörde mit Biss" sei.

Foto: picture-alliance/dpa

Lautstark werben für das beste Angebot: Walter Giller als Marktschreier im Film "Rosen für den Staatsanwalt" von Wolfgang Staudte (1959).

Doch warum gerade jetzt? Zum einen hatte die Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP die Novellierung des GWB bereits 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart: "Wir werden das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) evaluieren und weiterentwickeln. Wir werden prüfen, wie das Bundeskartellamt gestärkt werden kann, um bei erheblichen, dauerhaften und wiederholten Verstößen gegen Normen des wirtschaftlichen Verbraucherrechts analog zu Verstößen gegen das GWB Verstöße zu ermitteln und diese abzustellen."

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hatte die Debatte um ein verschärftes Kartellrecht aber deutlich beschleunigt. Die aus dem Krieg resultierenden Folgen für die deutsche Wirtschaft und Bevölkerung, allen voran die massiv gestiegenen Preise für Energie, Heizen und Treibstoff hatten die Regierung zum Handeln gezwungen.

Mehr Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher

Die daraufhin rasch eingeführte, umgangssprachlich als "Tankrabatt" bezeichnete dreimonatige Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe war ein Eingriff der Regierung in die Preisgestaltung, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. Wirtschaftsfachleute kritisierten dies jedoch als Schritt, der wenig bringe: Es handele sich dabei um eine "Umverteilung von unten nach oben", sagte beispielsweise Clemens Fuest, Chef des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo). "Zum Fenster herausgeschmissenes Geld" nannte es der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf. Eine Prüfung des Mineralölmarktes wurde eingeleitet, den Konzernen konnte jedoch letztlich kein Kartellrechtsverstoß nachgewiesen werden.

Doch der Wunsch nach stärkeren Kontrollmechanismen blieb. "Angesichts der aktuellen Krisen müssen wir die großen Stärken des Wettbewerbs konsequenter nutzen", sagte Habeck. Wettbewerb sei dabei das beste Mittel, um Verbraucherinnen und Verbrauchern vor ungerechtfertigten Preissteigerungen zu schützen.

Bislang sah das GWB unter anderem das Verbot der Bildung von Kartellen, die Missbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle vor; das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb unter anderem das Verbot unwahrer Werbung. So kann auf die Wettbewerbsituation Einfluss und damit faire Bedingungen geschaffen werden, die den Unternehmen und am Ende den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu Gute kommen. Zuständig für das Erarbeiten und die Kontrolle der Wettbewerbsbeschränkungen ist in Deutschland das Bundeskartellamt und auf europäischer Ebene die Europäische Kommission.

Wirtschaftsnahe Verbände sehen Novelle kritisch

Mit der Novelle hat die Ampel nun dem Bundeskartellamt als Wächterin über den Wettbewerb mehr Befugnisse eingeräumt. So wurde die Wirksamkeit sogenannter Sektoruntersuchungen im Kartellrecht erhöht. Mit diesen Untersuchungen werden die Strukturen und Wettbewerbsbedingungen in bestimmten Wirtschaftszweigen analysiert. Gibt es den Verdacht, dass der Wettbewerb in einem ganzen Sektor, wie beispielsweise im oben genannten Kraftstoffmarkt, eingeschränkt ist, werden die Wettbewerbsbedingungen geprüft. Stellt die Behörde Verstöße fest, darf das Kartellamt selbst tätig werden und "verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen anordnen". Außerdem soll die Kartellbehörde wirtschaftliche Vorteile, die durch Kartellrechtsverstöße erlangt wurden, leichter abschöpfen können. Doch wo endet der Schutz des Marktes, der Unternehmen und der Verbraucher, und wo droht ein zu starker Eingriff des Staates? Wirtschaftsnahe Verbände sehen die neue Machtposition des Kartellamtes kritisch.

So fürchtet der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), dass der Wirtschaftsstandort Deutschland durch die GWB-Reform geschwächt werden könnte: Wenn Unternehmen das strenge Wettbewerbsrecht in hierzulande fürchteten, könnten "wichtige Investitionen in Innovationen und Marktwachstum unterbleiben", so Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung.

"Heulen und Zähneklappern" statt "Klauen und Zähne"

Einen "Paradigmenwechsel hin zur staatlichen Marktgestaltung als letztes Mittel" sieht Stephan Wernicke, Chefjustiziar der Deutschen Industrie und Handelskammer. Rechtmäßiges Handeln schütze Unternehmen nicht mehr vor staatlicher Intervention, sobald das Bundeskartellamt in seinem weiten Ermessen den Wettbewerb über einen längeren Zeitraum als gestört ansieht. Damit verlasse die Bundesregierung die bewährten Grundprinzipien des Europäischen Wettbewerbsrechts, so Wernicke.

Zu "Heulen und Zähneklappern" führe die GWB-Novelle mit "Klauen und Zähnen", konstatiert dann auch Rupprecht Podszun, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die Gesetzesänderung mit den ausgebauten Rechten für das Bundeskartellamt sei ein Paradigmenwechsel; da stimmt Podszun mit dem DIHK-Experten Wernicke überein.

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Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen, wie sie Plöger befürchtet, sieht der Wissenschaftler jedoch nicht: Falls das Kartellamt wirklich für mehr Wettbewerb sorge, so führt Podszun in der Neuen Juristischen Wochenschrift aus, schade das den Unternehmen nicht: "Wer sich auf den Heimatmärkten bewähren muss, ist fit fürs internationale Geschäft." Unbestreitbar sei aber, dass die Macht des Kartellamts wachse: "Gerade diese Behörde sollte ein Gespür dafür haben, dass Macht zum Missbrauch verführt", so Podszun. Dass eine Überarbeitung des Wettbewerbsrechts notwendig wurde, sei unbestritten. In einer Anhörung des Bundestages zur Novelle hatte Podszun im Juni gesagt, dass es hierzulande eine "strukturelle Wettbewerbsarmut" gebe, die sich über Jahre und Jahrzehnte verfestigt habe.

Klagen sollen effektiver werden

Einen Ausblick darauf, dass die 11. GWB-Novelle noch nicht das Ende der Pläne für eine Reform des Wettbewerbsrechts ist, gibt Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: "In der zweiten Hälfte der Legislatur wollen wir die Agenda fortentwickeln, damit der Wettbewerb weiter gestärkt und gleichzeitig die Wirtschaft unterstützt und entlastet wird", kündigt Giegold an.

So soll das Bundeskartellamt künftig auch bei der Durchsetzung des Verbraucherschutzes gestärkt und gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung privater Kartellschadensersatzklagen effektiver gemacht werden. Derzeit wertet das Bundeswirtschaftministerium die Ergebnisse einer Konsultation aus, bei der Organisationen, Unternehmen, Verbände und Bürgerinnen und Bürger Ideen zur Reform einbringen konnten.