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Autos als Datenkraken? : Smartphone auf vier Rädern

Chinesische Hersteller machen das Auto zum Smartphone auf Rädern. Fortbewegung ist dabei nur noch eine von vielen Funktionen - das besorgt Datenschützer zunehmend.

18.07.2024
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5 Min

Das Auto als ständiger Wegbegleiter, der wie das Smartphone mit allen Lebensbereichen des Alltags verknüpft ist - sieht so die Zukunft aus? Das alleinige Wettrennen um Hubraum und Pferdestärken ist jedenfalls vorbei. Heute wollen Hersteller sich gegenseitig über eine möglichst nahtlose Verknüpfung mit dem digitalen Leben übertrumpfen. Und seit neuestem auch mit künstlicher Intelligenz (KI). Besonders in China gehören die sogenannten Connected Cars, die mit verschiedenen Apps, anderen Fahrzeugen sowie der Infrastruktur kommunizieren können, längst als unverhandelbarer Standard zum Leben dazu. Städte wie Shanghai oder Shenzhen sind längst Vorreiterinnen der Weiterentwicklung des Autos hin zum smarten Alltagshelfer.

Chinesische Firmen führen bei digitalen Extras

Hatte ursprünglich noch der US-Autobauer Tesla den Ton in der Branche gesetzt, haben mittlerweile chinesische Firmen die technologische Führungsrolle übernommen. Auch die europäischen Hersteller kommen laut Experten und Vergleichen der Fachpresse nicht an das Niveau der Autos aus China heran, wenn es um die digitalen Extras geht.

Foto: picture-alliance/CFOTO

Vorsprung durch Technik: Besucher bestaunen auf der internationalen Automesse im chinesischen Nanning ein Fahrzeug des Herstellers Nio aus Shanghai.

"Die Chinesen sind innovativ bei Software und spielen diese Stärke als First Mover natürlich auch auf dem Automarkt aus", sagt Fabian Schmidt-Schröder, Automobilexperte und Principal der Managementberatung Horváth. "Dafür haben chinesische Hersteller oft noch Probleme bei der Qualität, da trumpft Europa auf."

Der technologische Vorsprung zeigt sich auch in einer Auswertung der Beratung von Anfang des Jahres: Abgesehen von Tesla dominieren die chinesischen Hersteller Nio, Xiaomi und Xpeng den Markt der "softwaredefinierten Fahrzeuge". Neben den technologischen Aspekten wurden auch organisatorische in der Auswertung betrachtet. Das Resümee der Studie mit Blick auf die deutschen Automobilhersteller: Auf dem Weg zum digitalisierten Fahrzeug braucht es mehr Entschlossenheit, Wagnis und Tempo.


„Autobauer haben Benchmarkflächen, auf der die Fahrzeuge anderer Marken im Detail analysiert werden.“
Automobilexperte Fabian Schmidt-Schröder

Was in China passiert, haben die europäischen Autobauer aber genau im Blick. "Autobauer haben Benchmarkflächen, auf der die Fahrzeuge anderer Marken im Detail analysiert werden", erklärt Schmidt-Schröder. "Da werden natürlich auch die chinesischen Fahrzeuge untersucht." Der Vorteil: Die jetzt nachziehenden Automarken könnten sich so auch Fehler ersparen, die den Chinesen in der Entwicklung bereits unterlaufen sind, sagt der Automobilexperte. Schließlich bedeute Innovieren auch Trial and Error.

Zumindest in einem Thema hebt sich ein deutscher Autobauer ab, und zwar beim sogenannten In-Car-Payment. Seit März 2023 können Mercedes-Fahrer zusammen mit Visa in mehreren Modellen digitale Dienste oder Hardware-Upgrades aus dem konzerneigenen Shop direkt mit dem Auto bezahlen. Ein Extra, das sich offenbar viele in Europa wünschen: Bereits 2022 sagten 74 Prozent in einer im Auftrag von Mastercard durchgeführten Studie, dass sie sich vorstellen können, mit dem Auto beim Parken zu bezahlen.

Die Konkurrenz auf dem deutschen Markt wächst

Doch das ist nur eines von vielen möglichen Features. Schließlich drängen chinesische Hersteller auf den deutschen Markt und zeigen, was möglich ist. Die Konkurrenz steigt. Und wenn die Kundschaft aus Deutschland erst einmal sieht, was so ein Auto alles an Bord hat, könnte auch hierzulande der Anspruch an die Softwarelösungen und damit die Absatzzahlen der chinesischen Fahrzeuge steigen. Die Produkte aus der Volksrepublik könnten also auch in Deutschland bald den Takt vorgeben.

Dabei arbeitet man in China bereits am nächsten Technologiesprung. Im Zentrum vieler Hersteller scheint die Vision des Autos als KI-gesteuerte Plattform zu stehen. Baidu, Chinas Antwort auf Google, und der Automobilhersteller Geely haben dafür das Joint-Venture Ji Yue gegründet. Im Cockpit ihres als "KI-Robo-Auto" angepriesenen Modells gibt es keine Knöpfe. Alles läuft per Sprachassistenz, eine KI steuert das autonome Fahren und lernt aus dem Verkehr. Insgesamt 31 Sensoren, darunter verschiedene Kamera-Systeme, analysieren Innen- und Außenwelt und versorgen die KI mit Informationen.

KI steuert Klimaanlage, Fenster und das autonome Fahren

Auch bei den Nio-Fahrzeugen ist bereits fortschrittliche KI integriert. Die Sprachassistenz Nomi ist mit der Cloud-Plattform Microsoft Azure und dem Chatbot ChatGPT verknüpft und steuert im Auto nicht nur Klimaanlage, Fenster, Lichter, Navigation und Smartphone, sondern hilft auch mit Wettervorhersagen oder übernimmt das Musikprogramm.


„Alle neuen Autos sind heute Albträume für die Privatsphäre auf Rädern, die riesige Mengen an persönlichen Daten sammeln.“
Jen Caltrider, Leiterin der Datenschutz-Studie der Mozilla Foundation

Ein weiterer chinesischer Hersteller, Xpeng, stellte ebenfalls schon 2022 seinen "City Navigation Guided Pilot" vor. Dieser Fahrassistent nutzt KI für autonomes Fahren in komplexen städtischen Umgebungen. Und BYD, einst als Batteriehersteller gestartet, automatisiert mit seinem "DiSus Intelligent Body Control System" die Fahrwerktechnik. Dieses KI-gesteuerte System passt die Fahrzeugaufhängung in Echtzeit an Straßenbedingungen und Fahrstil an. Das soll bequemer und sicherer sein.

Automotive Health: Fahrzeug überprüft Gesundheitszustand des Fahrers

Doch die Autos der Zukunft spielen nicht nur DJ, Navigator und Animateur, sie können bald auch den Gesundheitszustand ihres Trägers auslesen. Was jetzt schon möglich ist, zeigt zum Beispiel der koreanische Zulieferer Hyundai Mobis. Der entwickelte schon 2022 ein integriertes Steuergerät, den sogenannten "Smart Cabin Controller". Dieser erfasst mithilfe von vier Sensoren Gesundheitsdaten der Insassen: Eine 3D-Kamera analysiert die Körperhaltung, ein EKG-Sensor am Lenkrad misst die Herzfrequenz und zwei weitere Sensoren sollen sogar Gehirnströme erfassen sowie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und den Kohlendioxidgehalt im Auto. Das System kann auf dieser Basis zum Beispiel den Wechsel in den autonomen Fahrmodus empfehlen, wenn der EKG-Sensor einen hohen Stresspegel feststellt. Es öffnet die Fenster, wenn der CO2-Wert zu hoch ist. Künftig könnten solche Systeme im Notfall, etwa bei einem Herzinfarkt, das Auto automatisch zur nächstgelegenen Notaufnahme fahren.

Datenschützer warnen vor Sammelwut der Konzerne

Doch so praktisch und unterhaltsam manche dieser Extras klingen: Datenschützer warnen schon länger vor den Gefahren. Schlagzeilen machte beispielsweise vergangenes Jahr eine Studie der Mozilla Foundation, die die Sammelwut 25 verschiedener Automarken untersucht hat. "Alle neuen Autos sind heute Albträume für die Privatsphäre auf Rädern, die riesige Mengen an persönlichen Daten sammeln", so Jen Caltrider, Leiterin des Tests. Wer demnach einen Nissan in den USA kauft und den Datenschutzbestimmungen zustimmt, erlaubt dem Unternehmen, Daten über "sexuelle Aktivität" zu erheben und weiterzugeben. Private Räume sind Autos damit nicht mehr.

Schon länger warnt in Deutschland der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). In einem Trendbericht zu Connected Cars im Jahr 2017 verwies der VZBV auf detaillierte Bewegungs- und Nutzungsprofile. Teilweise ließen sich sogar Schlüsse über den "sozialen Status des Fahrers und seiner Beifahrer" ziehen: Fahrgewohnheiten, Wohnort, persönliche Vorlieben.

Bessere gesetzliche Regelungen angemahnt

Grundsätzlich ist das Erheben, Verarbeiten und Nutzen solcher personenbezogenen Daten nach deutschem Recht nur erlaubt, wenn dies rechtlich explizit genehmigt ist oder Betroffene eingewilligt haben. Was in der Theorie gut klingt, ist praktisch aber oft nicht so einfach zu verstehen. Denn Datenmengen und Art der Erfassung sind oft komplex. "Es besteht die Gefahr, dass Betroffene zum Beispiel bei Vertragsschluss oder Abgabe einer Einwilligung die Folgen beziehungsweise die Tragweite ihrer Entscheidung nicht allumfänglich einschätzen können", heißt es im VZBV-Bericht.

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Um diesen Herausforderungen zu begegnen, fordern Datenschützer daher klare gesetzliche Regelungen und mehr Transparenz. Die Verbraucherzentrale und der ADAC forderten schon vergangenes Jahr die Bundesregierung auf, sich aktiv auf EU- Ebene für verbraucherfreundliche Regeln starkzumachen. Die Frage ist am Ende also auch: Wie viel sind uns die eigenen Daten im Austausch gegen das smarte Auto wert?

Dass chinesische Hersteller so im Bereich Connected Car glänzen, könnte neben technologischem Knowhow also auch daran liegen, dass Datenschutz in China nicht die höchste Priorität hat. Autobauer können dort zunächst freier entwickeln, während europäische Entwickler von Beginn an hohe Anforderungen erfüllen müssen. Eine Ausrede für mangelnde Innovation darf das aber auch nicht sein 

Die Autorin ist Journalistin bei der Finanz- und Wirtschaftsredaktion Wortwert.