Streit um Ziele und Zusagen
ENTWICKLUNGSPOLITIK Die Fraktionen sorgen sich um den Erfolg der Millenniumsziele
Eigentlich müssten die Voraussetzungen nach zwei Dritteln der Strecke gut sein. Bei den acht so genannten Millenniumsentwicklungszielen, kurz MDGs, verabschiedet von 189 Staats- und Regierungschefs im Spätsommer 2000 auf der UN-Generalversammlung in New York, gab es in den ersten Jahren sichtbare Fortschritte. Wie in der Agenda formuliert, sank die Zahl der extrem Armen weltweit deutlich, mehr Kinder bekamen Zugang zu Grundschulbildung, mehr Menschen wurden mit sauberem Wasser versorgt, mehr Aids-Kranke mit antiviralen Medikamenten. Zudem sank die Schuldenlast der Länder des Südens durch Tilgungsverzicht aus dem Norden. Doch dann kam die Krise.
Sie hat, zusammen mit der Nahrungsmittelkrise von 2008, dazu geführt, dass wieder deutlich mehr Menschen von weniger als 1,25 Dollar pro Tag leben - also unter der offiziellen von den UN definierten Armutsgrenze - als vor zwei Jahren. Die tatsächlichen Auswirkungen der Krise seien allerdings noch gar nicht abzusehen, wie der UN-Diplomat Thomas Stelzer am vergangenen Mittwoch in einer Anhörung des Entwicklungsausschusses bemerkte. Nur "unter bestimmten Bedingungen" könnten die Ziele bis 2015 noch verwirklicht werden.
"Es ist fünf vor zwölf - und es ist fünf Jahre vor 2015 -, wenn wir die Milleniumsentwicklungsziele erreichen wollen", betonte auch der entwicklungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sascha Raabe, einen Tag darauf in der Bundestagsdebatte zum Thema. Er forderte die Bundesregierungauf, mehr in ländliche Entwicklung, Bildung, Gesundheit und in den Aufbau sozialer Sicherungssysteme zu investieren. Wie im Antrag seiner Fraktion (17/2018) verlangte er von der Koalition, einen nationalen Aktionsplan für das Erreichen der MDGs vorzulegen. Einen Entwurf dafür liefern die Sozialdemokraten gleich mit.
Doch nicht nur nur Raabe, auch die Vertreter der anderen Fraktionen äußerten in der Debatte Zweifel an der Erreichbarkeit der MDGs bis zum Zieljahr 2015. Gleichwohl betonten alle unisono, dass es wichtig sei, für einen Erfolg zu kämpfen. Am Vortag hatte der Unterausschuss "Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung" sogar eine fraktionsübergreifende Erklärung zum Thema verabschiedet. Darin fordern die Abgeordneten die Regierung auf, ihre finanziellen Zusagen zum Erreichen der MDGs einzuhalten.
Gerade die Finanzierung der Ziele sorgt immer wieder für Streit. Auch andere Geberländer bemängeln, dass die Bundesrepublik die gemeinsam im EU-Stufenplan vereinbarten Zielvorgaben zuletzt nicht erreicht habe und gegenwärtig wohl auch nicht erreichen werde. So war für 2010 geplant, 0,51 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben - Deutschland erreicht wahrscheinlich etwa 0,40 Prozent. Bis 2015 ist eine Steigerung auf 0,7 Prozent geplant. Ob sie kommt, ist in Zeiten des Sparzwangs ungewiss.
Die liberale Abgeordnete Christiane Ratjen-Damerau versicherte der Opposition, dass die Regierung zu ihren Zusagen stehe. Sie sagte aber auch, dass "viel zu lange einzig und allein auf finanzielle Mittel gebaut" worden sei. Es müsse auch eine breite Beteiligung des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft geben. Dagmar Wöhrl (CSU), die Vorsitzende des Entwicklungsausschusses, erklärte, ihr sei "nicht wohl dabei", dass Deutschland auch 2010 die finanziellen Zielvorgaben verfehle. Angesichts der Haushaltslage könne man aber froh sein, dass die Mittel zumindest nicht gekürzt wurden.
Großes Misstrauen
Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete es dagegen als "moralisch erbärmlich", das Nichteinhalten der Zusagen mit der Krise zu rechtfertigen. Die Entwicklungsländer hätten diese nicht verursacht. "Sie jetzt haftbar zu machen, kann nicht akzeptiert werden." Kekeritz verlangte von der Regierung, einen Finanzstufenplan bis 2015 vorzulegen. In ihrem Antrag (17/2024) fordert seine Fraktion zudem einen "Global Green New Deal": die Finanzmärkte sollen reguliert, Wirtschaft und Welthandel an "ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Zielen" ausgerichtet werden.
Für Niema Movassat (Die Linke) ist Deutschland ein "Weltmeister im Brechen von Versprechen". Immer neue Äußerungen aus der Koalition "legen den Verdacht nahe, dass diese Regierung das 0,7-Prozent-Ziel gar nicht erreichen will". Seine Fraktion will die 0,7-Prozent-Zielvorgabe gesetzlich festschreiben und die Mehrausgaben über eine Flugticketabgabe und eine Finanzmarkttransaktionssteuer finanzieren (17/2024).
Im September wollen die Staats- und Regierungschefs eine Zwischenbilanz nach zehn Jahren MDGs ziehen und weitere Schritte beraten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat bereits betont: Es braucht nicht unbedingt zusätzliche Mittel, um 2015 eine positive Bilanz ziehen zu können. Es reichte schon, wenn die bisher zugesagten Mittel fließen würden.