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Politik vor Geologie?

gorleben War der Standort geeignet, war er es nicht? Und welche Gesetze waren für die Erkundung maßgeblich? Im Untersuchungsausschuss gibt es mehr Fragen als…

21.06.2010
2023-08-30T11:25:59.7200Z
4 Min

Es war eine Gesprächsnotiz aus dem Kanzleramt, welche die Abgeordneten aufhorchen ließ: Geologisch sei Gorleben der beste Standort, zitierte der Sachverständige Detlev Möller aus der Notiz vom 15. Dezember 1976 - da freuten sich Vertreter der Koalition. Und, schob der Historiker nach, "das niedersächsische Wirtschaftsministerium bevorzugte laut dieser Notiz Gorleben, weil der Ort innenpolitisch am leichtesten durchzusetzen sei" - zu dünn besiedelt, landwirtschaftlich geprägt. Die Abgeordneten der Opposition spitzten die Ohren, einige lächelten.

Auf die Waagschale

Im Gorleben-Untersuchungsausschuss am vergangenen Donnerstag sollten die Sachverständigen nur eine Einführung geben. Sie sollten die rechtlichen Grundlagen und den historischen Werdegang der Suche nach einem atomaren Endlager skizzieren. Aber nahezu jede Äußerung legten die Ausschussmitglieder auf die parteipolitische Waagschale; hat das Gremium doch zu klären, ob die Entscheidung der Bundesregierung im Jahr 1983, sich bei der Suche nach einem Endlager auf Gorleben zu konzentrieren, mehr politisch-strategische als wissenschaftliche Gründe hatte. Ein Verdacht, den die Koalition schnell abzustreifen sucht. Und für die Opposition eine Chance, dem nicht gerade erfolgsverwöhnten schwarz-gelben Regierungsbündnis einen Schlag zu versetzen. Der Ausschuss geriet zur Arena, mittendrin die Sachverständigen.

Henning Rösel erläuterte, warum das Bergrecht für die Vorbereitungen zur Erkundung des Salzstocks bei Gorleben herangezogen wurde. "Das Atomgesetz von 1959 kannte keine Regelung über eine Endlagerung", sagte der ehemalige Vize-Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz. In den 1970er Jahren war der damalige Projektleiter an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) mit den Vorarbeiten beauftragt worden. Die Bundesregierung habe 1974 ein Konzept zur Endlagerung vorgelegt, "1976 wollte das Kabinett dann mit dem Beginn des Planfeststellungsverfahrens Flagge zeigen".

Geltendes Recht sei damals das Preußische Bergrecht von 1865 gewesen - mit der Sonderregelung aus dem Hannoverschen Königreich, wonach die Eigentümer von Grund über Salzböden auch über das Salz verfügen könnten. "Erst durch die Öffentlichkeitsarbeit der PTB erfuhren die Besitzer von diesem Umstand. Diese Ehrlichkeit brachte uns einige Schwierigkeiten ein", sagte er; einige von ihnen verweigern bis heute Erkundungsarbeiten in ihrem Grund.

Auf Nachfrage erklärte Rösel, dass ein Planfeststellungsverfahren nach Atomrecht auch möglich gewesen wäre, "unter Einbau des Bergrechts". Atomrecht indes sieht mehr Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit vor. "Eine formelle Bürgerbeteiligung hat es nicht gegeben", sagte Rösel. "Wir haben aber in sehr umfänglichem Stil die Bevölkerung informiert." Er sei in manchen Arbeitswochen an vier Abenden abends in der Region zu Vorträgen unterwegs gewesen.

Rösels Äußerungen sorgten bei den Fraktionen für gänzlich unterschiedliche Schlussfolgerungen. "Es gab gar keine Rechtsgrundlage im Atomrecht, auf deren Grundlage die Erkundung des Salzstocks Gorleben hätte erfolgen können", sagte Unions-Obmann Reinhard Grindel. "Insoweit musste nach den Bestimmungen des Bergrechts vorgegangen werden."

Grünen-Obfrau Sylvia Kotting-Uhl sieht das anders. "Rösel hat ausgeführt, dass ohne Schwierigkeiten und ohne großen Aufwand eine Gesetzesänderung dahingehend möglich gewesen wäre, dass nach Atomrecht hätte erkundet werden müssen", sagte sie. "Damit hätte eine frühzeitige Bürgerbeteilung erfolgen können." Daher zeichne sich ab: "Es war eine rein politische Entscheidung, die Beteiligung der Bürger bei der Erkundung von Gorleben auszuhebeln."

Dass die Erkundung Gorlebens indes viele Köche kannte, erläuterte Rösel in seinen Ausführungen zu den behördlichen Zuständigkeiten. "Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Forschung und Technologie war das Bundesinnenministerium zuständig", sagte er. Die PTB sei indes eine nachgeordnete Behörde des Bundeswirt-schaftsministeriums gewesen, welches Mitspracherechte beansprucht habe. Das Bundesbauministerium verlangte vom PTB, sich an den ministeriumseigenen Richtlinien zu orientieren. Eine Sonderrolle habe zudem das Bundeskanzleramt eingenommen. "Bei fast allen Sitzungen war das Amt anwesend", sagte Rösel. Zuweilen habe das Kanzleramt bei Dissens unter den vier beteiligten Bundesministerien entschieden.

Hier sieht die Koalition eine Möglichkeit, die SPD mit in die Haftung zu nehmen - residierte im Kanzleramt seinerzeit doch Helmut Schmidt (SPD). "Das Vorgehen in der Endlagerfrage wurde maßgeblich von der SPD mitverantwortet", sagte FDP-Obfrau Angelika Brunkhorst. "Heute versucht die SPD sich einen schlanken Fuß zu machen."

Erkenntnis durch Akten

Weiteren Aufschluss wird der Ausschuss nur durch eigenes Aktenstudium - der nächsten Phase - erhalten. Historiker Möller stellte dar, dass bei der Entscheidung für einen Standort rasch der Landkreis festgelegt worden sei. "Es zählte der Landkreis, nicht der Salzstock." Dazu SPD-Obfrau Vogt: "Das bedeutet Politik vor Geologie." Untersuchungsausschüsse sind für Obleute oft Bewährungsproben, manchmal dienen sie der Rehabilitation. Erzielen sie für ihre Fraktionen politische Punkte, winken höhere Aufgaben. Die Obleute des Ersten Untersuchungsausschuss Gorleben legen sich mächtig ins Zeug.