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Parlamentarisches Profil : Das frische Gesicht: Nadine Müller

12.07.2010
2023-08-30T11:26:00.7200Z
3 Min

Ihr Blick wanderte über die Bänke, als wollte sie die Abgeordneten hypnotisieren. Wortmeldungen, gar Anträge? Kerzengerade, ja bedeutungsvoll verfolgte die Schriftführerin die Plenardebatte. Von der Tribüne aus ist ihr Piercing nur erahnbar. Nun, einige Tage später im Büro, funkelt der Ring aus dem linken Ohr der Abgeordneten Nadine Müller. "Krass", sagt sie, schlägt die Beine übereinander, lehnt sich erschrocken zurück, als sie hört, dass manche Parlamentsneulinge monatelang auf ihr Büro warten mussten. Dieses Wort sagt sie oft. "Ich habe diese Räume zum Glück von meinem Wahlkreisvorgänger übernommen", sagt sie; und auch das Sekretariat, das für die und eine Fraktionskollegin arbeitet. "So werden Ressourcen effektiver genutzt", sagt sie, legt die Hand an den Hinterkopf und den Arm auf die Sessellehne - bequem scheint sie sich zu fühlen in der derzeit einzigen Bürogemeinschaft im Bundestag.

Dass man sie Nesthäkchen nennt, hört Müller nicht gern. Schließlich blickt sie trotz ihrer 26 Jahre auf sechs Jahre parlamentarische Berufserfahrung zurück: 2004 war die CDU-Politikerin aus Lebach in den saarländischen Landtag eingezogen, als Nachrückerin. Überrascht hatte sie das damals. "Bis dahin hatte ich Politik nur nebenher aus Spaß betrieben", sagt sie. Ihr Jurastudium, das sie mittlerweile mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen hat, sollte die Grundlage für ihr eigentliches Berufsziel Journalistin legen. Doch der Landkreis St. Wendel suchte ein frisches Gesicht. "Es war nicht so, dass es keine geeigneten Kandidaten gegeben hätte", erinnert sich Müller. Die Jungunionistin fiel auf, dynamisch erschien sie der alten Garde, die ihr die Kandidatur antrug: Mit 15 Jahren hatte die Tochter eines Polizisten und einer Krankenschwester begonnen, sich für Politik zu interessieren, sie engagierte sich für einen Basketballplatz. Der praktische, eher ideologiefreie Politik-Ansatz ist ihr geblieben. Auf der eigenen Website informiert Müller beispielsweise über Finanzierungsmöglichkeiten für mittelständische Unternehmen durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand; das tun die wenigsten Abgeordneten auf ihren Seiten. Dafür findet sich bei Müller wenig Grundsätzliches; um so üppiger ist ihre Internetpräsenz, sei es bei "Twitter", "Flickr" oder "Wer-kennt-wen?"

In den Bundestag kam sie, weil ihr Vorgänger nach nur einer Legislatur aus privaten Gründen aufhörte. Dort hat man ihr einiges aufgehalst. Zum Schriftführertum verdonnern die Landesgruppen gern junge Neulinge. Müller wollte in den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - "Saarland ist im Strukturwandel, das ist das wichtigste Politikthema in meiner Region" -, und dafür willigte sie ein, auch in den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu ziehen. "Das passt, schließlich hat die CDU dort unheimlich viel angestoßen", sagt sie. Zu den Konservativen gehört sie nicht. Die Kritik am geplanten Betreuungsgeld könne sie "nachvollziehen": "Vorschläge wie der der Frauen-Union, die 150 Euro wahlweise in die Renten- oder Pflegeversicherung einzuzahlen oder für Weiterbildungsangebote zu nutzen, finde ich sehr charmant."

Müller steht für die Öffnung der CDU zur Mitte. In die Union geriet sie, weil Lafontaines SPD ihr 1998 verstaubt vorkam. In der Mitte ist Müller geblieben, durch Engagements in einem Sozialzentrum. Damit liegt sie im Trend: Immer mehr wendet sich die CDU potenziellen Kandidaten zu, die mehr durch ihre gesellschaftliche Verankerung auffallen als durch ihr Wirken in der Partei. Müller ist sich auch nicht zu schade, als Vorsitzende des Vereins "Initiative sicherer Landkreis St. Wendel" mit anderen Ehrenamtlichen jene Graffiti von Häuserwänden zu kratzen, die unwesentlich Jüngere dort hinterlassen haben.

Ein Handwerker betritt das Büro. Er soll ein Bild aufhängen, das bisher einzige im Büro. Gern suchen sich Abgeordnete aus dem Parlamentsfundus Gemälde aus. Müller hat sich für eine Fotomontage entschieden, sie zeigt ihre Wahlkämpfer daheim in St. Wendel. Noch müsse sie sich zurechtfinden, sagt sie, im Dreieck zwischen Berlin, Wahlkreis und Privatem. "Weiter will ich gar nicht denken. Ich will erstmal meine Aufgabe ausfüllen." Und nimmt das Bild fest in den Arm.