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Eine Frage des Wissens

GORLEBEN Wurden missliebige Wissenschaftler übergangen? Ein Ausschussprotokoll

15.11.2010
2023-08-30T11:26:09.7200Z
3 Min

Frischluft, sagt der Volksmund, macht friedlich, und wohl deshalb startete der Gorleben-Untersuchungsausschuss recht harmonisch in den vergangenen Donnerstag. "So viel Sauerstoff gehabt am Wochenende", sagt Linken-Obfrau Dorothée Menzner, als sie sich zu Beginn der Sitzung einen Kaffee holt. "Ich bin noch müde." War sie doch Blockieren gegen die Castor-Transporte im Wendland.

Zeuge eines Paradoxons wird der Ausschuss in diesen Tagen. Das ganze Land diskutiert über Atom. Vor Gorleben demonstrieren Zehntausende. Aber der gleichnamige Ausschuss tagt eher unbemerkt. Nur anfangs lassen sich einige Korrespondenten blicken, dann ist die Politik nach einer halben Stunde wieder unter sich; dabei ist dieser Ausschuss eher im Auge des Sturms: Wer keine Antwort auf die Endlagerfrage gibt, weist auch keinen Weg aus den Verkeilungen auf, in die sich die Gesellschaft beim Streit um Für und Wider der Kernkraft manövriert hat

Aktualitätsfrage

Zwar erörtern die Abgeordneten im Saal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses wieder nur einmal die Vergangenheit der Gorleben-Entscheidung, aber sie behandeln heute eine Frage ungeschmälerter Aktualität: Wie lagert man Atommüll sicher? Geladen haben sie zwei Wissenschaftler. Heraus kommt ein Lehrstück, wie Wissenschaft und Politik sich zueinander verhalten.

Den Anfang macht Michael Langer, ehemals Abteilungsleiter und Projektleiter Endlagerung bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Sogleich geht es an die Kernfrage, ob bei der Regierungsentscheidung 1983, sich bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle auf Gorleben zu begrenzen, die Politik Einfluss auf die Gutachter genommen hat. "Eine Weisung hätte man nie akzeptiert", sagt Langer. Frühere Zeugen hatten indes im Ausschuss von einem Treffen am 11. Mai 1983 berichtet, wo sie von Ministeriumsvertretern eine Weisung erhalten hätten, in ihrem Bericht nicht für die Erkundung weiterer Standorte einzutreten.

Allerdings: Langer räumt ein, bei diesem Treffen nicht anwesend gewesen zu sein. "Aus meiner Erinnerung war das aber nicht so dramatisch." Wegen der zeitlichen Enge habe es bei der Vorbereitung des Treffens keine Abstimmung zwischen den Wissenschaftlern gegeben, vermutet er. "Alle Beteiligten waren davon überzeugt, dass Gorleben untertägig erkundet werden sollte."

Dann beschreibt Langer Salz als geeignete Lagerform für Atommüll. Standortspezifisch gesehen sei Salz als Wirtsgestein vorzuziehen. Gleichwohl meint der 77-Jährige, dass die Suche nach einem "besten" Salzstock wissenschaftlich nicht möglich sei.

Der Auftritt des von der Koalition benannten Zeugen endet. Die Tür geht auf, und wieder ein Wissenschaftler von der BGR tritt ein, aber damit enden die Gemeinsamkeiten: Heinz Nickel ist als Gorleben-Kritiker bekannt, er soll über das Ignorieren und Verwischen seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse berichten. So wünscht es die Opposition, und so erlebt die heutige Ausschusssitzung ein Crescendo.

Gekürzter Bericht

Nickel hatte zwischen 1958 und 1992 in der BGR gearbeitet. Unter anderem hatte der Physiker eine Radiowellenmethode entwickelt, mit der sich Laugeneinflüsse, Gasvorkommen oder Wasser aufnehmendes Anhydrit auffinden lassen, allesamt kritische Faktoren für ein Endlager. Bei seinen Messungen habe er ein elektrisches zechstein-untypisches Verhalten vorgefunden, "wie ich es noch nie erlebt habe". Es seien mehr Wellen vom Gestein absorbiert worden als erwartet. "Das kann ein Hinweis auf Einlagerungen sein", sagte Nickel. "Das kann Zweifel an der Eignungshöffigkeit wecken." Tatsächlich aber seien seine Ergebnisse nicht für den besagten Zwischenbericht 1983 verwendet worden. "Zuerst musste mein Bericht mehrmals gekürzt werden, dann erschien nicht einmal meine einseitige Fassung", sagt Nickel.

Gravierender sei ihm indes ein Eingriff in einen Bericht vorgekommen, den er für das Geologische Jahrbuch der BGR 1991 verfasst hatte. "Alle Gorleben-kritischen Passagen zu meinen Messungen von 1983 sind in der Druckfassung gestrichen worden - ohne, dass man mich vorher davon informiert hat", sagt Nickel.

Langer sagt, Nickel habe bei seinen Messungen nicht genug herausgefunden, seine Ergebnisse seien für den Zwischenbericht von 1983 nicht relevant gewesen. Nickel sagt, Gorleben trage bis heute die von ihm aufgeworfenen offenen Fragen mit sich.

Acht Stunden sind inzwischen vergangen. Die Luft im Sitzungssaal ist nicht mehr ganz so frisch - und der Ausschuss putz-munter. So viel Widerspruch zwischen den Zeugen, das fordert die Abgeordneten heraus. "Sie machen falsche Vorhalte", kritisiert SPD-Obfrau Ute Vogt ihren Counterpart Reinhard Grindel von der CDU/CSU-Fraktion. Der erwidert ihr darauf: "Ihre Wahlkampfpropaganda ist widerlegt." Und dann ist der Ausschuss wieder vereint mit dem ganzen Land - im Streit.