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Millionen ante portas

MIGRATION Vertreibung, Armut, Umweltschäden: Die Zahl der Flüchtlinge bleibt auf lange Sicht hoch

07.03.2011
2023-08-30T12:16:39.7200Z
3 Min

Ob mit Einreisepapieren auf offiziellen Wegen oder auf Booten im Mittelmeer: Hundertausende Afrikaner versuchen jedes Jahr, nach Europa zu kommen. Das ist nicht erst seit den Aufständen in den nordafrikanischen Staaten so, mit deren Hilfe Europa Auswanderungswilligen bisher eine Grenze zog.

Wohl nirgendwo auf der Welt existiert ein größeres Wohlstandsgefälle in unmittelbarer Nachbarschaft wie im Mittelmeerraum. Der Wanderungsdruck von Afrika nach Europa ist hoch - und er wird weiter zunehmen, so das Fazit einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In ihrem Bericht mit dem Titel "Vor den Toren Europas?" machen die Autoren eine ganze Reihe von sich wechselseitig bedingenden Faktoren dafür aus. Vertreibung, Armut, Umweltschäden - all das sind Gründe für Millionen Afrikaner, ihre Heimat zu verlassen.

Im Jahr 2009 hat die afrikanische Bevölkerung die Milliardengrenze überschritten, bis 2050 dürfte sie die zweite Milliarde erreicht haben. Grund dafür ist die höchste Geburtenrate der Welt. In Europa liegt sie bei 1,5 Kindern, in Afrika bei 4,6 Kindern je Frau. Das Durchschnittsalter beträgt etwa 19 Jahre. "Die wirtschaftliche Entwicklung hält in Afrika nicht Schritt mit der demographischen Entwicklung", sagt der Geograph Heinz Fassmann, der dem Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Migration und Integration angehört. Gerade in den Maghreb-Staaten seien die Jahrgänge zwischen 15 und 35 Jahren besonders stark, bei denen erhöhte Auswanderungsbereitschaft und fehlende Beschäftigungsperspektiven aufeinandertreffen würden.

Einen Zusammenhang zwischen Demographie und Wirtschaft sieht auch die Studie des BAMF. Viele Staaten Afrikas könnten ihre "demographische Dividende" nicht nutzen. Es fehle an Rahmenbedingungen, die jungen Menschen Bildung und Berufsperspektiven bieten könnten. Die Hälfte aller erwerbstätigen Afrikaner hätten höchstens einen Dollar täglich zum Leben zur Verfügung. Der Wohlstand des benachbarten Europa wirkt angesichts solcher Zahlen geradezu als Magnet. Und das Erreichen einer sogenannten Migrationsschwelle, also einer Wohlstandshöhe, ab der die Abwanderung aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr lukrativ erscheint, gilt laut Studie angesichts nach wie vor instabiler politischer Verhältnisse und gewaltsamer Konflikte in und zwischen zahlreichen afrikanischen Staaten als wenig wahrscheinlich.

Klimaflüchtlinge

Auch in der Klimadebatte gerät der Kontinent allzu oft aus dem Blick. Zwar ist Afrika der Kontinent mit den niedrigsten Schadstoffemissionen, es wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach am härtesten vom Klimawandel betroffen sein. Wassermangel, Dürren und Wüstenbildung, die Erosion von Ackerland und Überschwemmungen dürften mehr Menschen zur Abwanderung zwingen als bisher - was insbesondere die indigenen Völker trifft.

Allerdings macht die BAMF-Studie deutlich, dass der überwiegende Teil der afrikanischen Migration heute auf dem Kontinent selbst stattfindet. Nicht jeder träumt von Europa: So sind insbesondere politisch stabile Länder oder solche mit höherem Pro-Kopf-Einkommen Ziele der Migration innerhalb des Kontinents.

Nach Europa kommen jährlich knapp 400.000 registrierte Zuwanderer aus Afrika. Die Studie geht davon aus, dass sich diese Zahl deutlich erhöhen wird. Die Vereinten Nationen schätzen das Migrationspotential in ganz Afrika auf 18,5 Millionen Menschen bis zum Jahr 2050.

Heute leben in der EU etwa fünf Millionen afrikanische Staatsbürger. Die Mittelmeeranrainer Frankreich, Italien und Spanien sind und bleiben nach der Studie die bevorzugten Zuwanderungsländer. In diesen drei EU-Staaten lebten 2007 zwischen 500.000 und 1,5 Millionen afrikanische Staatsangehörige, die meisten stammen aus Marokko, Algerien und Tunesien. Für Deutschland schätzen die Autoren das Zuwanderungspotential als vergleichsweise niedrig ein: sie rechnen mit einem Zuzug zwischen 20.000 und 35.000 Menschen im Jahr - vor allem im Rahmen von Familienzusammenführungen und Ausbildungsaufenthalten. 2009 lebten in Deutschland knapp 270.000 afrikanische Staatsbürger (siehe Grafik).

Entwicklungspolitik

Eine deutlichere Sprache sprechen die Zahlen der irregulären Einwanderung: Nach Angaben des International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) migrieren jährlich etwa 830.000 Menschen aus Afrika nach Europa, wovon rund 120.000 das Mittelmeer überqueren. Eine Festungsmentalität hilft hier nicht weiter: So plädieren die Autoren der Studie dafür, die Ursachen der Migration zu bekämpfen: heranwachsende Afrikaner sollen Lebensperspektiven in ihren Heimatregionen finden. Dazu zählten neben die Förderung von Bildung, Gesundheit, Demokratie und Investitionen in Afrika im Rahmen der Außen- und Entwicklungspolitik auch die stärkere Einbindung des Kontinents in den Weltmarkt durch freie und faire Handelsbeziehungen.

"Europa ist zu zögerlich", sagt Heinz Fassmann. Projekte wie die Mittelmeerunion müssten konsequenter verfolgt werden. "Es fehlen klare Signale der Zusammenarbeit bei Demokratie und Marktwirtschaft. Es fehlen Signale an jene Menschen, die jetzt in Nordafrika auf der Straße gehen, dass sich ihre Situation verbessern kann."