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SERIE ÜBER ABGEORDNETENBÜROS: ZU BESUCH BEI… : »Hunger auf Kultur«

14.06.2011
2023-08-30T12:16:44.7200Z
2 Min

In den zwanziger Jahren war Sent M'ahesa eine der bekanntesten Ausdruckstänzerinnen in Europa. Schmal und feingliedrig, mit hohen Wangenknochen und nachdenklicher Blick: So porträtierte Max Beckmann 1921 die ungewöhnliche Künstlerin. Heute hängt ihr Bildnis im Büro einer anderen Frau mit einer bemerkenswerten Vita: Lukrezia "Luc" Jochimsen, Abgeordnete und kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, promovierte Soziologin, bis 2001 Fernseh-Chefredakteurin beim Hessischen Rundfunk.

In der Nachbarschaft dieses Bildes zu arbeiten, sei für sie ein großes Privileg, sagt Jochimsen. "Ich bin von ihm vollkommen hingerissen." Zu dem Künstler selbst hat die 75-Jährige eine besondere Beziehung: "Max Beckmann ist einer der Maler meiner Jugendzeit. Eine ganz große Entdeckung!" In Frankfurt am Main aufgewachsen, habe sie seine Werke schon als Schülerin im "Städel" bewundert. Dort, wo Beckmann als Professor gearbeitet hatte, bevor er 1933 auf Druck der Nationalsozialisten fristlos entlassen wurde.

Das "Bildnis der Tänzerin Sent M'ahesa" ist nicht das einzige Bild in Jochimsens Büro. Wer sie besucht, sieht sofort, dass bei ihr Kunst und Kultur den Ton angeben. Schon draußen auf dem Flur säumen Ausstellungsplakate den Weg zu ihrer Tür, drinnen ist jede freie Wand mit Zeichnungen, Collagen oder Ölbildern aus der Kunstsammlung des Bundestages geschmückt. Maler des 20. Jahrhunderts wie eben Beckmann und Lovis Corinth treffen auf zeitgenössische Künstler wie Udo Lindenberg oder Anka Kröhnke, deren Collage "Las Vegas on my mind" aus geflochtenen, zerschnittenen Getränkedosen sofort ins Auge fällt. "Kröhnke ist eine hervorragende Künstlerin", sagt Jochimsen. Für den Ankauf dieses Werks habe sie als Mitglied des Kunstbeirats des Bundestags "heftig plädiert".

Seit ihrer Wahl zur Bundestags-Abgeordneten 2005 setzt sich Jochimsen für den Schutz der Kultur ein - der kulturellen Infrastruktur, aber insbesondere auch der Künstler: "Die kulturelle Wirtschaft wächst zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige. Doch die Kreativen sind so arm wie das Proletariat des 19. Jahrhunderts", moniert sie. Das sei ein zentrales Thema gerade für ihre Fraktion, findet Jochimsen.

Die Auseinandersetzung mit Kunst begleitet sie aber nicht erst, seit sie Kulturpolitikerin ist, sondern von Kindesbeinen an. Ihre Mutter sei eine "sehr kunstinteressierte Frau" gewesen, habe Theater und Museen geliebt, erzählt Jochimsen, die 1936 in Nürnberg zur Welt kam, ihre Kindheit aber auch in Wien, Budapest und Düsseldorf verbrachte. An die Zeit des "kulturellen Aufbruchs" nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Jochimsen mit der Familie in Frankfurt "überlebte", erinnert sie sich gut: "Jazz, die neuen Autoren Tennessee Williams und Arthur Miller, die Inszenierungen des großartigen Theaterintendanten Harry Buckwitz - ich bin da so eingetaucht", erzählt sie und fügt hinzu: "Ich hatte diesen Hunger auf Kultur, und er hat mich mein ganzes Leben begleitet."