Piraten im Visier
MANDATE Bundestag debattiert Verlängerung der Nato-Einsätze im östlichen Afrika und im Mittelmeer
Weitgehende Einigkeit bei Atalanta, gemischte Gefühle bei der Operation Active Endeavour: Am Mittwoch diskutierte das Plenum in zwei aufeinanderfolgenden Debatten die Mandatsverlängerung der EU-geführten Mission Atalanta vor der Küste Somalias und der Nato-Mission Operation Active Endeavour (OAE) im Mittelmeer. Grundlage waren zwei entsprechende Anträge der Bundesregierung (17/7742, 17/7743), die im Anschluss an die Debatte an die Ausschüsse überwiesen wurden.
Demnach soll die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Atalanta bis Mitte Dezember kommenden Jahres verlängert werden. Die bisherige Obergrenze von 1.400 Soldaten wird beibehalten. Aktuell sind rund 560 im Einsatz. Ziel der vor drei Jahren von der EU gestarteten Mission ist es, die Piraterie vor der Küste Somalias zu bekämpfen. Gleichzeitig soll das Durchkommen der humanitären Hilfe sichergestellt und der zivile Schiffsverkehr auf den Handelswegen geschützt werden. In ihrem Antrag beziffert die Regierung die Kosten der deutschen Beteiligung auf rund 97,1 Millionen Euro. Das ist fast doppelt so viel wie bei der Mandatsverlängerung im vorigen Jahr. Damals rechnete die Bundesregierung mit Ausgaben in Höhe von 50 Millionen Euro.
Gebot der Menschlichkeit
Atalanta sei erfolgreich, sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vor dem Parlament. Seit 2008 hätten über 120 Schiffstransporte des Welternährungsprogramms geschützt werden können, über 700.000 Tonnen Nahrungsmittel seien in Somalia angekommen. Das Land gehöre zu den "größten humanitären Krisengebieten weltweit", betonte er. Laut UN-Angaben seien vier Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. "Es ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit, dass wir die Hilfslieferungen vor Piraterie schützen", sagte Westerwelle. Zugleich sei die Sicherung der Handelswege von unmittelbarem Interesse für Deutschland: Durch den Golf von Aden führe die wichtigste Handelsroute zwischen Europa und Asien.
Atalanta sei "in erster Linie eine zivile und humanitäre Maßnahme", sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich. Seine Fraktion unterstütze daher, was Westerwelle hinsichtlich des "Mandats als Gesamtmission" gesagt habe. Kritik gab es jedoch an den Plänen, private Sicherheitsdienste auf den Schiffen zuzulassen. Im Sommer dieses Jahres hatte die Bundesregierung entsprechende Überlegungen angestellt. Mützenich wollte wissen, ob die Angelegenheit mittlerweile vom Tisch sei oder ob das "staatliche Gewaltmonopol möglicherweise durch derartiges Vorgehen weiter ausgehöhlt werden soll". Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, stimmte den Vorbehalten zu - und erhielt dafür seinerseits Applaus von Abgeordneten der Unions- und der SPD-Fraktion. "Wir bevorzugen solche Lösungen grundsätzlich natürlich nicht", sagte er.
Auch für die Grünen ist eine Beteiligung privater Sicherheitsdienste ein Problem: Sollten sie an Bord gelassen werden, sei das ein Punkt, bei dem seine Fraktion "ernsthaft darüber nachdenken" müsse, die Zustimmung zum Mandat zu verweigern, sagte der Sicherheitsexperte Omid Nouripour. Zugleich betonte er, Atalanta allein löse die Probleme nicht; zentral seien politische Ansätze. "Das, was wir mit der deutschen Marine auf See machen, ist nur ein Bekämpfen von Symptomen", sagte auch Thomas Kossendey (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium.
Auf bedingungslose Ablehnung stieß die Mandatsverlängerung einzig bei der Linksfraktion. Die Strategie der Bundesregierung habe keinen Erfolg, sagte ihre friedenspolitische Sprecherin, Christine Buchholz. Wer Piraterie bekämpfen wolle, müsse die sozialen und politischen Ursachen angehen.
»Überholtes« Mandat
Auch die Mandatsverlängerung der OAE lehnte Die Linke ab. Es gebe keine militärische Bedrohung, gegen die sich der Marineeinsatz im Mittelmeer richten könne, sagte ihr Verteidigungsexperte Paul Schäfer.
Die OAE sei "ein schwieriges Mandat", gab Außenminister Westerwelle zu. Die Notwendigkeit einer umfassenden Bekämpfung des internationalen Terrorismus bleibe aber bestehen. Die OAE sei "sinnvoll und notwendig, und zwar aus sicherheitspolitischen wie aus bündnispolitischen Überlegungen", betonte Westerwelle.
Die Nato-geführte OAE ist eine Präsenz- und Überwachungsoperation und soll die Seewege gegen terroristische Anschläge sichern. Sie war 2001 eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September. Der Regierungsantrag sieht vor, das Mandat bis Ende 2012 unter Beibehaltung der Obergrenze von 700 Soldaten zu verlängern. Die Kosten sollen von vier Millionen bei der Mandatsverlängerung 2010 auf rund sechs Millionen Euro steigen. Derzeit sind etwa 210 Soldaten im Mittelmeerraum im Einsatz.
Die Fraktionen von SPD und Grüne zweifelten die völkerrechtliche Legitimation des Einsatzes an. Zudem stehe er weder im zeitlichen noch im geographischen oder inhaltlichen Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade Center, sagte Katja Keul (Grüne). Für eine Mission, die ausschließlich auf Präsenz und Informationsgewinnung ausgelegt sei, müsse kein Kampfauftrag für Soldaten formuliert werden, meinte Ullrich Meßmer (SPD). Das Mandat sei überholt.
Mit ihrer Kritik trafen sie auf den Widerstand der Koalition. Kossendey betonte den präventiven Charakter der OAE, sagte aber, dass militärische Aktivitäten nicht auszuschließen seien. An der völkerrechtlichen Legitimation gebe es "überhaupt keinen Zweifel", betonte Mißfelder. Der Bundestag wird in der nächsten Sitzungswoche über die Mandate abstimmen.