Nach dem Jahr 2000 gingen die Berichte über den Bundestag in den Medien im Vergleich zu den 1990er Jahren signifikant zurück: genau um die Hälfte. Betroffen von dieser Entwicklung sind allerdings nicht nur das Fernsehen oder die Boulevardpresse, sondern auch Qualitätszeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine" und die "Süddeutsche Zeitung". Der Dresdener Politikwissenschaftler René Jainsch geht in seiner empirischen Forschungsarbeit zur Berichterstattung über den Bundestag und das britische House of Commons den Ursachen für diese Entwicklung auf den Grund.
Die wichtigste und länderübergreifend zu beobachtende Entwicklung betrifft nach Jainsch die Kommerzialisierung und Boulevardisierung der Medien. Dies führe zu einem Wandel der politischen Berichterstattung in Richtung Unterhaltung. Zudem attestiert er den Parlamenten in Europa einen allgemeinen Bedeutungsverlust. Im Zuge der europäischen Integration hätten die Volksvertretungen zunehmend nationale Kompetenzen an Brüssel und Straßburg abgegeben. Außerdem würden politische Entscheidungen heute weniger mit dem Parlamentsgeschehen in Verbindung gebracht, sondern eher mit Koalitionsrunden. Parallel dazu hätten sich in einem inflationären Ausmaß Polit-Talkshows in der Fernsehlandschaft etabliert. Mit ihnen sei ein konkurrierendes Forum geschaffen worden, das ein deutlich größeres Publikum erreiche als etwa eine Bundestagsdebatte. All dies erschwere es den Parlamenten, den Weg in die Berichterstattung zu finden, resümiert der Politikwissenschaftler.
Mit Hilfe einer umfassenden Codierung wertete Jainsch die Inhalte der Berichterstattung aus. Sein Fazit: Die Parlamentsberichterstattung ist heute weniger vielfältig, weniger tiefgehend und weniger authentisch. Bemerkenswert sei, dass die Abgeordneten mit der Professionalisierung ihrer strategischen Kommunikation durch Fernsehauftritte, Pressekonferenzen und Interviews selbst zum Bedeutungsverlust der Parlamente beitragen.
Im Schatten der Talkshows?
Nomos Verlag, Baden-Baden 2012; 175 S., 29 €