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Zierckes "Erfolg"

NSU-AUSSCHUSS Die Löschung von Verfassungsschutz-Akten und die Thesen des BKA-Chefs sorgen für Irritationen

02.07.2012
2023-08-30T12:17:34.7200Z
3 Min

Der Verfassungsschutz löscht Akten und der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) präsentiert gewagte Thesen. Die Aufklärung der Verantwortlichkeiten für das Versagen der Ermittlungsbehörden im Fall der Mordserie an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin kam in der vergangenen Woche nicht wirklich weiter. Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Referatsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Anweisung zur Vernichtung von sieben Akten mit Informationen über thüringische Rechtsextremisten gegeben hat. Und das wenige Tage, nachdem bekannt wurde, dass die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) für die bundesweite Mordserie verantwortlich sein sollen.

Abgeordnete aller Fraktionen reagierten empört. Von einem "unglaublichen Vorgang" sprach Hartfrid Wolff (FDP). Eva Högl (SPD) nannte es einen "Skandal", den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) aufklären müsse. Der Ressortchef selbst sagte am Donnerstag in der Debatte über die Verbunddatei gegen Rechtsextremismus (siehe Beitrag rechts unten), er habe BfV-Chef Heinz Fromm beauftragt, "eine lückenlose Aufklärung vorzunehmen und einen Bericht vorzulegen". Sobald dieser vorliege, werde er den zuständigen Bundestagsgremien zur Kenntnis gebracht.

Kompromiss verteidigt

Zuvor hatte BKA-Präsident Jörg Ziercke vor dem NSU-Untersuchungsausschuss grundsätzlich ein Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Mordserie eingeräumt. Persönliche Fehler sah er indes nicht, im Gegenteil: Dass nämlich die Morde mit fremdenfeindlichen Hintergrund nach dem Tod des Kiosk-Betreibers Mehmet Kubasik 2006 ein Ende fanden, begründete Ziercke auch mit der von ihm unterstützten Schaffung einer Steuerungsgruppe unter Beteiligung des BKA. Damit stellte sich der BKA-Chef gegen seinen ehemaligen Stellvertreter Bernhard Falk, der vor dem Ausschuss erklärt hatte, die Organisation der Ermittlungsarbeit sei "kriminalfachlich stümperhaft" gewesen. Es sei falsch gewesen, auch nach dem neunten Mord auf zentrale Ermittlungen durch das BKA zu verzichten, hatte Falk kritisiert.

Ziercke bewertete dies anders. Zwar habe auch er 2006 den Ländern eine Übernahme der Ermittlungen durch das BKA vorgeschlagen. "Am Ende stand ein Kompromiss, wie man ihn im föderalen System immer mal machen muss", sagte er und verwies auf das Grundgesetz, wonach Polizeiangelegenheiten Ländersache seien. Da in dem Kompromiss 80 Prozent des eigentlichen BKA-Vorschlages enthalten gewesen seien, sei die Steuerungsgruppe richtig gewesen, betonte Ziercke und fügte hinzu: "Der Erfolg hat mir Recht gegeben." Verantwortlich für diesen "Erfolg" seien neben der Schaffung der Steuerungsgruppe auch die Auslobung der ungewöhnlich hohen Summe von 300.000 Euro als Belohnung für Hinweise und die Verfolgung der Profiler-Theorie, wonach eventuell infrage kommende Täter aus dem rechtsextremen Bereich stammen könnten. Damit habe man "für Wirbel in der Szene gesorgt", urteilte Ziercke.

Seiner Schlussfolgerung wollten sich die Mitglieder des Ausschusses nicht anschließen. Angesichts der Äußerungen Falks überzeuge ihn diese These nicht, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD). Auch Clemens Binninger (CDU) konnte nicht erkennen, dass die von Ziercke angeführten Gründe verantwortlich für das Ende der Mordserie gewesen sein sollten. Er fragte, warum nicht schon nach dem Nagelbomben-Attentat in Köln 2004 in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde. Damals, sagte Ziercke, sei der Pfad zur Organisierten Kriminalität "allen sinnvoll" erschienen. Auch seien 2004 "keine rechtsextremen Strukturen zu erkennen gewesen".

Den von Wolfgang Wieland (Grüne) erhobenen Einwand, 2004 hätten mehrere Länder das BKA um Übernahme der Ermittlungen gebeten, ließ Ziercke nicht gelten. Wenn überhaupt, sei darüber auf Arbeitsebene gesprochen worden. "Wenn ein Land das Verfahren abgeben möchte, muss es aber auch mit mir darüber reden." Ob bei Lagebesprechungen mit dem Innenministerium über die Möglichkeit rechtsextremistischer Täter gesprochen worden sei, wollte Petra Pau (Linke) wissen und bezog sich auf Falk, der diese Frage verneint habe. Ziercke entgegnete, er habe persönlich auf diese Möglichkeit hingewiesen. Auf Nachfrage Wolffs, ob auch beim BKA Akten gelöscht worden seien, antwortete er: "Ich habe keine Anweisung zur Vernichtung von Akten gegeben."

Neben Ziercke vernahm der Ausschuss auch den Leitenden Kriminaldirektor beim Polizeipräsidium Nordhessen, Gerald Hoffmann. Er beklagte sich über mangelnde Unterstützung des Landesamtes für Verfassungsschutz bei den Ermittlungen zur Ermordung des Internet-Cafe-Betreibers Halit Yozgat 2006. Pikantes Detail hier: Ein Verfassungsschützer soll seinerzeit am Tatort gewesen sein, sich aber nicht als Zeuge zur Verfügung gestellt haben. Laut Hoffmann wurden in der Folge Anträge auf Einsicht in Unterlagen oder Befragung von V-Leuten abgelehnt.