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Klare Regeln

RECHTSSTAAT Extremistische Parteien dürfen teilweise gezielt ausgegrenzt und an den Pranger gestellt werden

16.07.2012
2023-08-30T12:17:34.7200Z
5 Min

Deutschland ist eine Parteiendemokratie. Doch nicht alle Parteien sind wohlgelitten. Extremistische Parteien und ihre Mitglieder gelten nicht als Stützen des Staates, sondern als Gefahr. Können sie trotzdem Gleichbehandlung verlangen?

Das Grundgesetz ist eine parteienfreundliche Verfassung. "Die Parteien wirken bei der Willensbildung des Volkes mit", heißt es in Artikel 21. Die Parteien sind also Mittler zwischen Bevölkerung und Staat. Halb gehören sie noch zur Zivilgesellschaft, halb sind sie schon Verfassungsorgane. Grundsätzlich verlangt das Grundgesetz eine Gleichbehandlung der Parteien.

Parteienverbot:

Die schärfste Sanktion, die das deutsche Recht gegenüber Parteien kennt, ist im Grundgesetz vorgesehen: das Parteienverbot. Demnach sind Parteien zu verbieten, die darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Weil nur das Bundesverfassungsgericht eine verfassungswidrige Partei verbieten darf, spricht man auch vom Parteienprivileg.

Der erste Anlauf, die NPD zu verbieten, hat auch einige Probleme offengelegt. So erklärte das Bundesverfassungsgericht 2003, dass Politiker in der Führung einer Partei, die verboten werden soll, nicht zugleich als bezahlte V-Männer für den Verfassungsschutz arbeiten dürfen. So sei kein rechtsstaatliches Verbotsverfahren möglich. Vor Einleitung eines Verbotsverfahrens müssen deshalb solche Spitzel "abgeschaltet" werden, was die Innenminister von Bund und Länder inzwischen auch beschlossen haben.

In den vergangenen Monaten wurde aber noch eine weitere Hürde deutlich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert als Voraussetzung für ein Parteiverbot, dass die betroffene Partei eine "unmittelbare Gefahr" für die Demokratie darstellen muss, sie müsse das "reale Potenzial" haben, die Macht zu ergreifen. Das wird man im Fall der NPD derzeit kaum behaupten können.

Parteienfinanzierung:

Als Alternative zu einem Parteienverbot wird immer wieder ein Ausschluss extremistischer Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung gefordert. Meist ist die NPD das Ziel derartiger Diskussionen. CSU-Politiker haben jedoch auch schon die Streichung von Zuschüssen für Die Linke gefordert. Das Bundesverfassungsgericht hat indes 2004 klargestellt, dass dies verfassungswidrig wäre. Das Grundgesetz "verbietet jede staatliche Bekämpfung einer Partei, solange das Bundesverfassungsgericht sie nicht durch Urteil für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst hat", hieß es in einem Beschluss zur Finanzierung kleiner Parteien.

Wenn aber das Grundgesetz eine Diskriminierung der NPD verbietet, dann muss eben das Grundgesetz geändert werden, sagte sich 2008 der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) und ließ sich die Zulässigkeit dieses Wegs durch ein Gutachten des Rechtsprofessors Volker Epping bestätigen. Allerdings ist die Zulässigkeit einer derartigen Grundgesetzänderung umstritten. Sie könnte gegen die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes verstoßen, die unter anderem eine Einschränkung der Demokratie verbietet. Immerhin rechnete das Bundesverfassungsgericht die Chancengleichheit der Parteien zur "freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Derzeit gäbe es aber auch keine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine derartige Grundgesetzänderung.

Wahlrecht:

Wegen der konstitutiven Bedeutung für die Demokratie gilt im Wahlrecht dem Bundesverfassungsgericht zufolge ein "strikter" Grundsatz der Gleichbehandlung. Parteien dürfen daher bei der Gewährung öffentlicher Leistungen nicht benachteiligt werden, etwa bei der Zuteilung von Werbetafeln im Straßenraum oder bei Wahlspots im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nur wenn Strafgesetze verletzt werden, darf extremistische Wahlwerbung zurückgewiesen werden.

Dass etablierte Parteien im Wahlkampf besser sichtbar sind, hat einen anderen Grund. Aus Praktikabilitätsgründen haben die Gerichte längst ein Konzept "abgestufter Chancengleichheit" entwickelt. Nur gleich bedeutende Parteien müssen auch gleich behandelt werden. Und die Bedeutung einer Partei wird dabei vor allem nach den Wahlergebnissen bei früheren Urnengängen bemessen. Dieses Konzept hält auch die Wahlwerbung extremistischer Parteien in Grenzen, darf aber nicht darauf ausgerichtet sein.

Staatliche Räume:

Wenn eine extremistische Partei ihren Parteitag in einer öffentlichen Stadt- oder Sporthalle abhalten will, so hat sie einen Anspruch auf einen Mietvertrag - wenn die Kommune die Räume auch anderen Parteien zur Verfügung stellt.

Sparkassenkonten:

Der Bundesgerichtshof entschied im Jahr 2000, dass öffentlich-rechtliche Banken, zum Beispiel Sparkassen, keine Konten der NPD kündigen dürfen, nur weil die Bankverbindung zu Imageschäden führen kann. Auch öffentlich-rechtliche Banken müssen die Grundrechte, zum Beispiel auf Gleichbehandlung, beachten.

Privatrechtliche Verträge:

Wenn extremistische Parteien Räume in privaten Gaststätten mieten wollen oder versuchen, ein Konto bei einem privaten Kreditinstitut zu eröffnen, können sie sich nicht direkt auf die Grundrechte berufen. Schließlich gelten Grundrechte unmittelbar nur gegenüber dem Staat. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt nicht vor Diskriminierung der Weltanschauung im Geschäftsverkehr. Kurz vor Beschlussfassung im Bundestag war ein entsprechender Passus 2006 gestrichen worden, um zu verhindern, dass Rechtsradikale sich darauf berufen können.

Verfassungsschutz:

Auch Parteien dürfen durch den Verfassungsschutz beobachtet und in den Verfassungsschutz-Berichten von Bund und Ländern erwähnt werden, wenn sie als extremistisch gelten. Das Bundesverfassungsgericht lässt die damit verbundene Pranger- und Stigmatisierungswirkung auf bestimmte Parteien ausdrücklich zu. Sie sei eine "geeignete Vorkehrung zur Aufklärung der Öffentlichkeit und zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen".

Selbst Parteien, bei denen nur ein Verdacht besteht, extremistisch zu sein, dürfen im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden. Allerdings muss dann nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2005 kenntlich gemacht werden, dass es sich um einen "Verdachtsfall" handelt. So ist im Bundesbericht 2010 etwa die extrem rechte Wahlbewegung "Pro Köln" als Verdachtsfall ausgewiesen.

Grundsätzlich darf der Verfassungsschutz auch gewählte Abgeordnete und ihre Parlamentsfraktionen überwachen. Das im Grundgesetz garantierte "freie Mandat" stelle hierfür keine Sperre dar, entschied 2010 das Bundesverwaltungsgericht, sondern werde vom Prinzip der "wehrhaften Demokratie" eingeschränkt.

Umstritten ist dies vor allem im Fall der Partei Die Linke, die gegen ihre Überwachung durch den Verfassungsschutz klagte, jedoch in der gleichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine Niederlage erlitt. Es gebe "Anhaltspunkte", dass Teile der Linkspartei die parlamentarische Demokratie und die Grundrechte beseitigen wollten, urteilte das Gericht. Konkret wurde zum Beispiel die Kommunistische Plattform genannt. Diese strebe eine sozialistische Revolution mit nachfolgender "Diktatur des Proletariats" an. Der Verfassungsschutz dürfe aber die gesamte Partei beobachten, da deren Entwicklung noch offen sei und ihre eigenen oft vagen programmatischen Aussagen ein "Nährboden" und eine "Ermunterung" für Linksradikale sein könnten. Die Gesamtentwicklung einer Partei könne nur verlässlich verfolgt werden, wenn auch ihre Spitzenpolitiker überwacht werden. Damit rechtfertigten die Richter auch die Beobachtung des wenig revolutionären Thüringer Oppositionsführers Bodo Ramelow. Mit dem Fall will sich in diesem Jahr auch das Bundesverfassungsgericht befassen.

Berufsverbote:

Dass politische Extremisten in Deutschland nicht Beamte sein können, ist jahrzehntelange Praxis. Der Radikalenerlass aus den 1970er Jahren führte ergänzend hierzu nur eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz ein, die vor jeder Einstellung vorgenommen werden musste. Diese Regelanfrage haben alle Bundesländer spätestens nach dem Zusammenbruch der DDR wieder abgeschafft. Es bleibt aber dabei: Beamte dürfen sich auch in ihrer Freizeit nicht extremistisch betätigen, also auch nicht in einer extremistischen Partei.

Der Ausschluss von Extremisten aus dem öffentlichen Dienst wurde 1975 vom Bundesverfassungsgericht gebilligt. Danach kann auch die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei ein solchen Ausschluss begründen, selbst wenn diese noch nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. 1996 entschied allerdings der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall der niedersächsischen Lehrerin Dorothea Vogt, dass die bloße Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei wie der DKP keine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben darf. Es müsse schon eine konkrete dienstliche Verfehlung hinzukommen.

Seit 2009 fordert Mecklenburg-Vorpommern von Bewerbern für Bürgermeister- und Landratswahlen, dass sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Mehrere NPD-Mitglieder wurden nicht zu Wahlen zugelassen. Gerichte bestätigten die Praxis.

Der Autor arbeitet als

freier Journalist in Freiburg.