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Zähes Ringen

INTERNET-ENQUETE Nach knapp drei Jahren Arbeit bleiben viele Fragen ungeklärt. Zu oft stand die Parteipolitik im Weg

04.02.2013
2023-08-30T12:23:52.7200Z
4 Min

Mehr als 2.000 Seiten an Berichten haben die Mitglieder der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" in ihrer knapp dreijährigen Tätigkeit zusammengeschrieben. zwölf Projektgruppen haben insgesamt 179 Mal getagt. Die Gesamtenquete traf sich zu 20 Sitzungen. Dabei wurde diskutiert, gestritten und nach Kompromissen gesucht. Gefunden wurden sie in den wenigsten Fällen. An der fehlenden Kompetenz der Kommission-Mitglieder lag dies keineswegs. Neben den 17 netzpolitisch interessierten Bundestagsabgeordneten gehörten auch 17 externe Sachverständige zu der auf Antrag aller Fraktionen im März 2010 eingesetzten Kommission. Zudem war schon im Einsetzungsauftrag von einem 18. Sachverständigen - der interessierten Öffentlichkeit - die Rede. Seit Februar 2011 nutzte die Kommission die Online-Beteiligungsplattform Adhocracy zur Bürgerbeteiligung. All das konnte jedoch nicht verhindern, dass bei vielen brisanten Fragen keine gemeinsamen Handlungsempfehlungen gefunden werden konnten.

Machtpolitische Fragen

Für den Blogger Markus Beckedahl, von den Grünen als Sachverständiger in die Kommission entsandt, liegt der Grund darin, dass "machtpolitische Fragen eine größere Rolle gespielt haben als thematische Fragen". Auch der von der Union nominierte Sachverständige Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des IT-Verbandes Bitkom, spricht in seinem Resümee von einer "Lagerbildung entlang der Konstellation im Bundestag", die ihn überrascht habe. Gleichwohl hätten die Berichte "das Zeug, zur maßgeblichen Quelle für Zukunftsentscheidungen und zum Standardwerk zu werden".

Fest steht: Weder in der Frage, ob künftig die Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben werden müsse, noch bei datenschutzrechtlichen Themen wie Frage des Kopplungsverbots, dem Beschäftigtendatenschutz oder den Schadensansprüchen im Datenschutzrecht gibt es eine einheitliche Linie. In den besagten Fällen erhielt weder der Text der Koalition noch jener der Opposition eine Mehrheit, was dazu führte, dass beide Vorlagen als sogenannte Sondervoten in den Bericht eingingen.

Dem gegenüber stehen Einigungen unter anderem im Bereich Medienkompetenz, bei der Nutzung von Open Access in der Wissenschaft und der Forderung nach einer stärkeren Begleitung internationaler Entwicklungen im Internetbereich durch die Bundesregierung.

In der Mehrzahl der strittigen Fälle setzte die Koalition ihre Textvorschläge als Handlungsempfehlungen durch. So auch in der abschließenden Sitzung der Enquete-Kommission in der vergangenen Woche, als die Zwischenberichte der letzten beiden Projektgruppen verabschiedet wurden. Dabei konnte die Projektgruppe "Verbraucherschutz" zu keinem einzigen Thema gemeinsame Handlungsempfehlungen vorlegen, also auch nicht zu der Frage des Umgangs mit Massenabmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen. Das sei für Millionen Menschen ein "massiv relevantes Problem", sagte Konstantin von Notz (Grüne). Es sei ein "Armutszeugnis und ärgerlich", dass die Enquete-Kommission hier "nicht sprechfähig ist". Cornelia Tausch, von der SPD benannte Sachverständige, erinnerte daran, dass auch die Bundesregierung das Problem des "Abmahnungswesens" erkannt habe. Das angekündigte Gesetz sei jedoch nicht verabschiedet worden. "Der Verbraucher bleibt auf der Strecke" urteilte sie. Man habe sich um eine Darstellung der Sachlage, einschließlich der aktuellen Rechtsprechung, bemüht, sagte der von der FDP benannte Sachverständige Wolf Osthaus. Dies habe gezeigt, dass sich "viele Dinge lösen", so Osthaus. "Unseriöse" Inkasso-Unternehmen müssten selbstverständlich "begrenzt" werden, machte er deutlich und forderte zugleich: "Abmahnungen dürfen aber nicht per se ins negative Licht gerückt werden."

Nicht nur Lückenfüller

Ein höheres Maß an Übereinstimmung gab es in der Projektgruppe "Kultur, Medien und Öffentlichkeit". So war man sich unter anderem einig, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkt eine Daseinsberechtigung hat. Unter welchen Bedingungen dessen Angebote im Online-Bereich zulässig sein sollen, war hingegen umstritten. Laut Koalition sollten derartige Angebote nur zulässig sein, "wenn sie im Vergleich zu den Angeboten Privater einen Mehrwert begründen". Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse, "wenigstens im Bereich des Internets", von einem "Vollversorger zu einem Qualitätsversorger" werden, forderte der von der FDP benannte Sachverständige Professor Hubertus Gersdorf. Dieser Paradigmenwechsel sei nötig, da nicht einzusehen sei, "dass mit öffentlichen Gelder etwas bereitgestellt werden soll, was die Zivilgesellschaft und die privaten Anbieter auch generieren", sagte Gersdorf.

Professor Wolfgang Schulz, von der SPD benannter Experte, verwies darauf, dass der Vorschlag der Koalition ignoriere, dass es zwischen Privaten und öffentlich-rechtlichem Rundfunk keine "Arbeitsteilung" sondern einen "publizistischen Wettbewerb" gebe. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf nicht nur eine Lückenfüller-Position haben", warnte Schulz. Die Koalition wolle offenbar das öffentlich-rechtliche Prinzip austrocknen, vermutete Petra Sitte (Die Linke). Es sei zudem völlig unklar, was der angesprochene Mehrwert sein solle.

Ständiger Ausschuss

Bei der Diskussion um den Schlussbericht, der sich mit der Onlinebeteiligung befasst, kam die Kommission nach zähem Ringen zu einer gemeinsamen Forderung. So soll der Bundestag künftig jenen Ausschüssen, die damit arbeiten wollten, Beteiligungswerkzeuge - wie beispielweise Adhocracy - zur Verfügung stellen. Nutznießer könnten in der kommenden Legislaturperiode auch die Netzpolitiker selbst sein. Denn auch in der Forderung nach einem eigenen ständigen Ausschuss "Internet und digitale Gesellschaft" waren sie sich einig. Angesichts des versöhnlichen Abschlusses zog der Vorsitzende Axel E. Fischer (CDU) ein positives Fazit: "Die 2000 Seiten spiegeln ein umfassendes Bild der digitalen Gesellschaft wider: eine bisher beispiellose Beschreibung der Potentiale, der Problemfelder und der Lösungsansätze", befand Fischer.