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WEHRBEAUFTRAGTER Die Grenzen der Belastbarkeit

BUNDESWEHR Der Wehrbeauftragte mahnt in seinem neuen Jahresbericht eindringlich ungelöste Dauerprobleme an

04.02.2013
2023-08-30T12:23:53.7200Z
5 Min

Als Broschüre für die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr hat der jährliche Bericht des Wehrbeauftragten wahrlich noch nie getaugt. Jahr für Jahr legt er offen, wo in den Streitkräften der Schuh drückt, wo es an Ausrüstung, Ausbildung oder medizinischer Versorgung mangelt, wo Vorgesetzte sich gegenüber den Soldaten im Ton vergreifen, sie gar drangsalieren oder es zu sexistischen Übergriffen gekommen ist. All dies fällt in den Zuständigkeitsbereich des Wehrbeauftragten des Bundestages, an den sich jeder Soldat vom Rekruten bis zum General - auch unter Umgehung des Dienstweges - mit seinen Nöten und Sorgen wenden kann. Und der Wehrbeauftragte hat das Recht, selbstständig zu ermitteln, wenn er die Dinge aus dem Ruder laufen sieht. Von Seiten des Verteidigungsministeriums wird deshalb gerne darauf hingewiesen, dass dessen Jahresbericht "natur- gemäß ein Mängelbericht" sei.

"Tiefgreifende Verunsicherung"

Doch der Jahresbericht 2012, den der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus in der vergangenen Woche an Bundestagsprädident Norbert Lammert (CDU) übergab und der Öffentlichkeit präsentierte, ist dann doch mehr als nur ein Mängelbericht. Er spricht sehr grundlegende Probleme an. Königshaus zog vor der Presse eine recht schonungslose Bilanz über den Zustand der deutschen Streitkräfte. Die Truppe habe insbesondere bei der Dienst- und Einsatzbelastung "vielfach die Grenzen der Belastbarkeit erreicht, teilweise bereits überschritten". Überall stoße man bei den Soldaten aller Dienstgradgruppen auf "gedrückte Stimmung und eine tiefgreifende Verunsicherung". Die Soldaten fühlten sich bei der Umsetzung der Bundeswehrreform "nicht mitgenommen, nicht eingebunden und nicht ausreichend informiert".

Immerhin hat Königshaus auch Positives zu berichten. So habe die Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen seit dem 11. Juni 2011 keinen Toten mehr beklagen müssen. Und auch die Zahl und Schwere der Verwundeten sei zurückgegangen. Er führt dies unter anderem auch auf die verbesserte Ausrüstung und Ausbildung vor allem der deutschen Isaf-Soldaten in Afghanistan zurück.

Sorge bereitet hingegen die unverändert große Zahl von Soldaten, die traumatisert aus ihren Auslandseinsätzen zurückkehren. Inzwischen leiden 1.143 von ihnen an einer Postraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Ein neuer Höchststand. Gleichzeitig fehlt es nach Angaben des Wehrbeauftragten an Psychologen und Psychotherapeuten, um die erkrankten Soldaten zu behandeln. Und während er sich lobend darüber äußert, dass die Universitäten der Bundeswehr mit ergänzenden Studienangeboten auf die Situation reagiert haben, muss er gleichzeitig von neuen beunruhigenden Erkenntnissen berichten. Erste Ergebnisse der "Dunkelfeldstudie" der Universität Dresden besagen, dass etwa die Hälfte aller Soldaten, die mit einer PTBS aus dem Einsatz zurückkehren, offenbar schon vor ihrer Auslandsverwendung erkrankt waren. Das wirft neue Fragen nach der Qualität der einsatzvorbereitenden Untersuchungen auf.

Zunehmende Probleme bereiten den Soldaten die in der Praxis zu kurzen Regenerationszeiten zwischen den viermonatigen Auslandseinsätzen. Zwischen zwei Einsätzen sollen nach einer Vorgabe des Verteidigungsministerium eigentlich 20 Monate liegen. Doch bei spezialisierten Einheiten wie den Kampfmittelräumern oder den Spezialpionieren bleibt dies oft Theorie, bei ihnen betragen die Regenerationszeiten neun und weniger Monate. Zwischen den Einsätzen müssen die Soldaten dann oftmals noch zu Schulungen und Ausbildungen fern des Wohnortes, was die Trennungsphase von den Familien erneut verlängert. Und so fordert Königshaus auch deutlich, dass bei der Diskussion über zukünftige Auslandseinsätze nicht nur die Frage der politischen Wünschbarkeit, sondern eben auch der militärischen Machbarkeit stärker berücksichtigt wird. Personalengpässe in den Einsätzen könnten nicht immer wieder "auf dem Rücken der Soldaten" ausgetragen werden.

Natürlich weiß auch Königshaus, dass die Bundeswehr "kein Leben wie auf dem Ponyhof bietet", wie es Verteidigungsminister Thomas de Maizère (CDU) formulierte. Allerdings sind viele der beanstandeten Defizite nicht neu, in weiten Teilen ähneln die Mahnungen des Wehrbeauftragten denen aus seinem Bericht des Vorjahres. Schon vor einem Jahr hatte er auf die schlechte Stimmung in der Truppe hingewiesen. Inzwischen wurde dieser Befund von zwei unabhängig voneinander in Auftrag gegebenen Studien bestätigt. Eine vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr im Auftrag des Verteidigungsministeriums und eine zweite der Technischen Universität Chemnitz im Auftrag des Deutschen Bundeswehrverbandes. Und so stellte Königshaus denn auch in der vergangenen Woche fest: "Eine Verbesserung der Stimmung in der Truppe zeichnet sich nicht ab."

Probleme an der Heimatfront

Ein besonderes Augemerk richtet Königshaus wie bereits im vergangenen Bericht auf die familiäre Situation der Soldaten. Seit der Öffnung der Bundeswehr für Frauen, gewinnt dieses Thema zunehmend an Brisanz. Wo Frauen sind, sind auch Kinder. Zwar ist die Bundeswehr mit einem Frauenanteil von durchschnittlich 9,95 Prozent noch weit von ihrer anvisierten Quote von 15 Prozent entfernt, doch das Thema Kinderbetreuung gewinnt auch in der Truppe zunehmend an Bedeutung. So zeigt denn Königshaus auch kein Verständnis, warum dieses Problem nicht entschiedener angepackt wird: "Das ist unverständlich, vor allem, weil die Bundesregierung die Arbeitsgeber der zivilen Wirtschaft dazu auffordert, eigene Betriebskindergärten einzurichten und dies auch durch ein spezielles Förderprogramm unterstützt."

Soldatenfamilien leiden unter besonderen Belastungen. Da sind zum Einen die Trenungsphasen wegen der Auslandseinsätze und Kommandierungen zu Lehrgängen. Verschärft wird dieses Problem durch die Schließung vieler Standorte im Zuge der Bundeswehrreform. Etwa 70 Prozent der rund 198.000 Soldaten und Soldatinnen führen nach Angaben des Wehrbeauftragten ein Leben als Wochenendpendler zwischen Dienst- und Wohnort. Das tut keiner Ehe oder Beziehung auf Dauer gut. Die Trennungs- und Scheidungsraten sind bei Deutschlands Soldaten überdurchschnittlich hoch, weiß Königshaus zu berichten.

Hinzu kommen die Konflikte am Arbeitsplatz mit Kameraden, wenn Soldatinnen und Soldaten in Elternzeit gehen wollen. Die Bundeswehr verfügt derzeit über keine Vertretungsreserven, die Königshaus für Schwangerschaften und Elternzeiten einfordert. Sprich: Die Arbeit muss vom Stammpersonal übernommen werden. Das führt auch zu erheblichen Spannungen unter den Soldaten. "Musst Du schon wieder schwanger werden." Diesen Spruch müssen sich Soldatinnen mitunter schon mal anhören. Die Auswirkungen auf das Familienleben spiegelt sich im Jahresbericht des Wehrbeaufragten auch in einer steigenden Zahl von Eingaben zu diesem Thema.

Viele der anstehenden Probleme der Bundeswehr haben sich über Jahre hinweg aufgestaut. Faktisch befindet sich die Truppe seit der Wiedervereinigung in einem Zustand der Dauerreform. Galt es zunächst, Teile der Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr zu integrieren bei gleichzeitigem Truppenabbau, rückte die Truppe seit Mitte der 1990er Jahre in ihre ersten Auslands- und Kampfeinsätze. Die nächste Herausforderung brachte die Öffnung der Bundeswehr für die Frauen mit sich. Im Sommer 2011 verabschiedete sich Deutschland dann von der Wehrpflicht und leitete die größte Reform seit Bestehen der Bundeswehr ein, begleitet von einem weiteren Personalabbau. Gleichzeitig binden Einsätze wie in Afghanistan seit zwölf Jahren Kräfte und Gelder. Bislang haben die Soldatinnen und Soldaten diese "Operation am offenen Herzen" bewerkstelligen können.

Doch nicht nur der Wehrbeauftragte warnt davor, dass die Streitkräfte jetzt an einer Belastungsgrenze angekommen sein könnten. Harsche Worte kamen in der vergangenen Woche einmal mehr vom Deutschen Bundeswehrverband. Dessen Vorsitzender, Oberst Ulrich Kirsch, forderte einen "Krisengipfel" ein: Kanzlerin Angela Merkel müsse die Bundeswehrreform endlich zur Chefsache erklären.