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Die Nachtschicht

SPANNENDER WAHLABEND Hochbetrieb in Wiesbaden beim Bundeswahlleiter. Fraktionen planen Kennenlerntreffen

16.09.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
6 Min

Die Nachtschicht ist auch diesmal wieder unvermeidlich: Wenn am 22. September die rund 61,8 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland aufgerufen sind, über die Zusammensetzung eines neuen Bundestages abzustimmen, läuft beim Bundeswahlleiter in Wiesbaden ein Sondereinsatzplan an. Sobald am Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale geschlossen werden, beginnt in den Wahlbezirken die mit Spannung erwartete Auszählung. So schnell wie möglich sollen die lokalen Ergebnisse in die Bundeszentrale nach Wiesbaden weitergeleitet werden: ein sowohl technisch wie personell äußerst anspruchsvolles Unterfangen, das schon seit Monaten von den Fachleuten akribisch vorbereitet wird.

Ruckelfreie Technik gefragt

Kevin Kobold erlebt die Wahlorganisation in der Wiesbadener Bundesbehörde zum ersten Mal und stellt sich auf eine ebenso spannende wie lange Nacht ein. Die Auszählung werde sicher bis weit nach Mitternacht dauern. "Eigentlich geht das die ganze Nacht durch", blickt Kobold, der im elfköpfigen Einsatzstab für die "Ergebnisfeststellung" zuständig ist, voraus und sieht darin auch kein Problem. Nur bei Bundestags- und Europawahlen, die dann 2014 anstehen, werde ein solcher Aufwand betrieben. Damit könnten die Mitarbeiter ganz gut leben.

Seit Monaten schon laufen die Vorbereitungen für die Bundestagswahl auf Hochtouren. Im Grunde genommen beginnen die Vorarbeiten sogar schon gleich nach der jeweils letzten Wahl. Im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden laufen alle Fäden zusammen, denn der Präsident der Behörde, seit August 2008 Roderich Egeler, ist traditionell zugleich Bundeswahlleiter.

In der Wiesbadener Behörde sitzen am Wahlabend und in der Wahlnacht über hundert Mitarbeiter, um einen reibungslosen Ablauf der Auszählung zu gewährleisten. Fachleute kümmern sich um die IT-Infrastruktur, die bei den weitgehend automatisierten Meldewegen am Wahlabend möglichst ohne zu ruckeln laufen sollte, aber auch um Presseauskünfte, Anfragen aus der Bevölkerung, die Druckerei und sonstige Aufgaben.

Schnellmeldungen am Abend

Die Stimmauszählung läuft, wenn alles nach Plan zugeht, überall gleich ab: Nach Schließung der Wahllokale, wenn im Fernsehen und Internet bereits die Prognosen und wenig später die ersten Hochrechnungen der Demoskopen zum Wahlausgang verbreitet werden, wird sofort ausgezählt. Das Ergebnis übermittelt der sogenannte Wahlvorsteher, das ist der jeweils Verantwortliche im Wahlbezirk, in Form einer "Schnellmeldung" telefonisch oder elektronisch an die jeweilige Gemeinde.

Diese wiederum sammelt die Ergebnisse ihrer Wahlbezirke und gibt sie an den Kreiswahlleiter weiter. Der übermittelt das vorläufige Wahlkreisergebnis dann an den Landeswahlleiter. Die Schnellmeldungen der Wahlvorsteher, Gemeinden und Kreiswahlleiter orientieren sich dabei an einem festgelegten Muster. Sie beinhalten die Zahl der Wahlberechtigten, der Wähler sowie der gültigen und ungültigen Stimmen.

Gewinner werden informiert

Mit den ersten Wahlkreisergebnissen wird am Sonntag zwischen 20 und 21 Uhr gerechnet. Parallel wird fortlaufend weiter ausgezählt, wobei der Landeswahlleiter die eintreffenden Ergebnisse aus den Wahlkreisen an den Bundeswahlleiter weiterreicht. Wenn in einem Bundesland alle Wahlkreise vollständig sämtliche Erst- und Zweitstimmen gemeldet haben, übermittelt der Landeswahlleiter auch das Landesergebnis an die Bundesbehörde. Und schon in der Wahlnacht erfahren die erfolgreichen Kandidaten, dass sie in den Bundestag einziehen dürfen, allerdings unter Vorbehalt, denn noch ist das Ergebnis nur vorläufig. Erst wenn der Bundeswahlausschuss im Oktober das amtliche Endergebnis festlegt, werden die Landeswahlleiter die erfolgreichen Kandidaten aus der Landesliste informieren und die Kreiswahlleiter die Direktkandidaten.

Immer mehr Briefwähler

Neben den Bürgern, die selbst ein Wahllokal aufsuchen, wird die Gruppe der Briefwähler in Deutschland seit Jahren immer größer. Seit dem Wahljahr 1990 hat sich der Anteil der Briefwähler mehr als verdoppelt, von rund 4,4 Millionen oder 9,4 Prozent auf rund 9,4 Millionen oder 21,4 Prozent bei der Bundestagswahl 2009. Wer seinen Wohnsitz in Deutschland hat, aber im Ausland arbeitet, kommt an der Briefwahl oft gar nicht vorbei. Das gilt etwa für die rund 6.200 Soldaten im Auslandseinsatz. Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums sind die Einheiten verpflichtet, "ihr Personal frühzeitig über die Möglichkeit der Briefwahl zu unterrichten und durch geeignete organisatorische Maßnahmen Sorge dafür zu tragen, dass alle ihr Wahlrecht ausüben können".

So müsse sichergestellt werden, dass die Wahlunterlagen rechtzeitig auf dem Feldpostweg in die Einsatzgebiete weitergeleitet werden. Und natürlich auch wieder zurück. Denn auch die Briefwahlunterlagen der Soldaten und zivilen Mitarbeiter aus dem Auslandseinsatz müssen rechtzeitig bei der Wahlbehörde in der zuständigen Heimatgemeinde eingegangen sein. Dabei ist ganz egal, ob die Unterlagen von deutschen Soldaten aus dem Kosovo oder noch viel weiter aus Afghanistan kommen.

Die Briefwahlunterlagen können noch bis zum 20. September um 18 Uhr beantragt werden, in Ausnahmefällen bis zum Wahltag um 15 Uhr. Der Wahlbrief muss in jedem Fall am Wahlsonntag bis spätestens 18 Uhr in der angegebenen Stelle vorliegen, um bei der Auszählung noch berücksichtigt zu werden.

Auch Obdachlose dürfen wählen

Um eine besondere "Wählerrandgruppe" kümmert sich unter anderem die Sozialeinrichtung Gebewo in Berlin: Hier werden Obdachlose betreut und schon in den Wochen vor der Abstimmung gezielt auf die Möglichkeit hingewiesen, auch ohne festen Wohnsitz wählen zu können. Wie eine Sozialarbeiterin in der Beratungsstelle sagt, wurden dort Infozettel ausgelegt und Formulare der Senatsverwaltung zum Thema Wahlen. Die Obdachlosen können außerdem gleich von der Gebewo aus ihre Briefwahlunterlagen wegschicken. Allein in der Hauptstadt gibt es nach Schätzungen von Fachleuten mehrere Tausend Obdachlose. Wie viele es bundesweit sind und wie viele von ihnen ihre Stimme abgeben, ist reine Spekulation. Unter den Obdachlosen gebe es, merkt die Berliner Sozialarbeiterin vorsichtig an, "eher die Tendenz, sich den näherliegenden Problemen zu widmen". Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung haben sich 2009 in Berlin nur 33 Obdachlose um einen Wahlschein gekümmert. Ein Grund dafür sei "Amtsangst".

Kritische Nachfragen

Mehr als 600.000 ehrenamtliche Wahlhelfer kümmern sich um den reibungslosen Ablauf der Abstimmung in den rund 90.000 Wahl- und Briefwahlbezirken bundesweit. Kleinere Pannen gebe es bei Wahlen immer mal wieder, berichtet Kobold und verweist auf Erfahrungswerte. Wenn etwa ein Wahlkreisergebnis länger ausbleibe oder allgemein etwas merkwürdig erscheine, "dann fragen wir mal nach". Dass ein Wahlvorsteher das Ergebnis nicht übermittle, sondern einfach nach Hause gehe mit den Wahlunterlagen, wie schon einmal geschehen, habe allerdings doch Seltenheitswert.

Zweifelhafte Stimmzettel

Mitten in der Nacht wird dann der Bundeswahlleiter höchstselbst das vorläufige Endergebnis verkünden, das dann auch online auf der Behördenseite abrufbar ist. Voraussichtlich am 9. Oktober wird der Bundeswahlausschuss schließlich das endgültige amtliche Wahlergebnis feststellen, das zumeist nur geringfügig abweicht von den vorläufigen Zahlen. "Ein paar zweifelhafte Stimmzettel sind immer dabei", merkt Kobold in dem Zusammenhang an. Gemeint sind solche Wahlzettel, aus denen "der Wählerwille nicht klar erkenntlich wird". Die Wahlunterlagen werden im Übrigen nicht einfach weggeworfen, sondern in den Gemeinden bis 60 Tage vor der nächsten Wahl aufgehoben und dann erst offiziell zur Vernichtung freigegeben.

Wenn der Wähler gesprochen hat und die Bundestagswahl endgültig gelaufen ist, schlägt dann wieder die Stunde des Parlaments. Die neu gewählten Parlaments-Abgeordneten müssen sich spätestens am 30. Tag nach der Wahl, das wäre der 22. Oktober 2013, zur Konstituierung des 18. Deutschen Bundestags in Berlin einfinden. Am Tag der Konstituierung werden der Parlamentspräsident und seine Stellvertreter gewählt, wobei üblicherweise die stärkste Fraktion den Bundestagspräsidenten stellt und die übrigen Fraktionen jeweils einen Vizepräsidenten nominieren dürfen. Ab diesem Datum sind auch die gewählten Kandidaten aus den Wahlkreisen ganz offiziell Mitglieder des Deutschen Bundestages und die neue Wahlperiode beginnt.

Schon direkt nach der Wahl beginnt in den Fraktionen die Betriebsamkeit wieder. Alle bislang fünf Fraktionen haben schon erste Kennenlerntreffen anberaumt mit den alten und neuen Abgeordneten. Ausscheidende Parlamentarier werden verabschiedet, die neuen Kollegen willkommen geheißen. Die FDP-Fraktion trifft sich gleich am 23. September und will dabei auch den Vorsitzenden wählen. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Linken und Grünen kommen am 24. September zusammen.

Zwei Monate nach der Abstimmung, am 22. November 2013, endet dann die Möglichkeit, beim Bundestag Einspruch einzulegen gegen das festgestellte Wahlergebnis.