Kurz notiert
Gerade erst hat das Kriminalgericht in Berlin-Moabit den Dschihadisten Yusuf O. zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Der junge Deutsch-Türke aus Berlin gehörte im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan den "Deutschen Taliban Mudschahidin" (DTM) an, einer Terrorgruppe, die auch mit Anschlägen in Deutschland drohte. Später schloss er sich Al Qaida an und kehrte nach Europa zurück, um neue Anhänger zu rekrutieren. Sein Beispiel zeigt, wie aktuell das Buch des Journalisten Wolf Schmidt bleibt. In "Jung, deutsch, Taliban" geht der Redakteur der Tageszeitung "taz" der Frage nach, wie junge Männer - und auch Frauen - aus Deutschland zu Dschihadisten werden, die bereit sind, für ihren Glauben zu töten und zu sterben.
Bislang ist dieses Phänomen in Deutschland noch recht unerforscht. Schmidt beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Er hat Prozesse verfolgt, Moscheen besucht, mit Sicherheitsbehörden gesprochen und Eltern interviewt. Auch wichtige Fachliteratur nimmt er auf. Entstanden ist so ein akribisch recherchiertes Buch, das in verständlicher Sprache einen tiefen Einblick in die Abläufe und Szene gibt. Schmidt bleibt dabei stets differenziert und hütet sich vor einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Für ihn sind die jungen Dschihadisten "gefährliche Dilettanten", die in vielen Fällen eher zufällig in den gewaltbereiten Islam abgleiten. Könnte man sie davon auch abhalten? Zurecht kritisiert Schmidt, dass die Prävention in Deutschland noch immer vernachlässigt wird. Es fehlt auch an Anlaufstellen für Betroffene wie Familienangehörige oder Lehrer. Anders als in Großbritannien oder den Niederlanden habe die Politik hierzulande vor allem mit schärferen Gesetzen reagiert, moniert Schmidt. Für nötig hält der Journalist jedoch "keine rein sicherheitspolitische Lösung von oben, sondern ein Einmischen von unten". Es sei Aufgabe aller, einer Radikalisierung vorzubeugen. Lehrer, Imame und Zivilgesellschaft brauchen dafür aber Hilfe - und die muss nicht zuletzt vom Staat kommen.
Jung, deutsch, Taliban.
Ch. Links Verlag, Berlin 2012; 206 S., 16,90 €
"in die Parlamente schmeißt die Handgranate rein"; "lasst die Messer flutschen in den Judenleib"; "Kanaken zerhacken": Hunderte Male hörte der Undercover-Journalist Thomas Kuban die Lieder der Neonazi-Rockgruppen, dutzende Male besuchte er ihre streng konspirativen Konzerte in Deutschland und im Ausland. Seit 2003 filmte Kuban diese Events. Im Falle seiner Enttarnung musste er damit rechnen, zum Krüppel geschlagen zu werden.
Inzwischen wurden seine mit Spionagetechnik aufgenommen Dokumentationen von politischen Fernsehmagazinen wie "Spiegel TV", "Stern TV" und "Panorama" ausgestrahlt. Auf diese Weise geriet die internationale Neonazi-Musikszene erheblich unter Druck. Die einzigartigen Erfahrungen aus seiner langjährigen Recherchearbeit veröffentlichte Thomas Kuban jetzt in einem informativen Buch. Er beschreibt, wie sich die neonazistische Jugendkultur international ausbreitet: in Deutschland, Österreich, Italien, Ungarn, Polen, Frankreich, Belgien, England und der Schweiz. Über sogenannte "Nationale Info-Telefone" - es handelt sich um Anrufbeantworter - werden Nachrichten in der rechtsextremistischen Szene verbreitet. So erfuhr auch der Autor, wo das nächste "Hüttenwochenende", Rechtsschulungen, Demonstrationen oder Mahnwachen stattfanden. Perfekt passte sich Kuban der Szene an: er kleidete sich wie ein Neo-nazi und rasierte sich eine Glatze. Für seine Recherchen benutzte er bis zu 40 verschiedene Identitäten.
Kuben beschreibt die Skinhead-Musikszene als wichtigsten Rekrutierungsort der Szene: dort werden junge Leute für den militanten Neonazismus begeistert. Zudem konnte er die engen Verbindungen von NPD-Mitgliedern zur rechtsextremistischen Musikszene nachweisen. Auch in den NSU-Bekennervideos wurde die Musik dieser Gruppen gespielt. Bis heute existiert in Deutschland eine Grauzone um deren Konzerte, in der Rechtsextremisten frei agieren können. Dazu gehören auch Großveranstaltungen der NPD, die die "Freien Kameradschaften" für Auftritte nutzen.
Blut muss fließen. Undercover unter Nazis.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2012; 317 S., 19,95 €