Piwik Webtracking Image

Initialzündung

GESCHICHTE Bundestag erinnert an Proteste gegen die gefälschten Kommunalwahlen in der DDR vor 25 Jahren

12.05.2014
2023-08-30T12:26:14.7200Z
4 Min

Vermeintlich waren es "nur" Kommunalwahlen. Und wenn es am 7. Mai 1989 nach dem Willen der Staatsführung der DDR gegangen wäre, dann hätten diese Wahlen mit dem gleichen Ergebnis geendet wie alle anderen Wahlen zuvor in der Geschichte der DDR - mit einem Ergebnis von weit über 90 Prozent für die Einheitsliste der Nationalen Front, sprich die SED und die sogenannten Blockparteien. Als Vorsitzender der Wahlkommission verkündete Egon Krenz dann auch das gewünschte "amtliche" Ergebnis: 98,89 Prozent entfielen auf die Nationale Front bei einer Wahlbeteiligung von 98,77 Prozent. Doch die Kommunalwahlen vor 25 Jahren unterschieden sich grundlegend von alle anderen Wahlen zuvor und leiteten in letzter Konsequenz den Zusammenbruch der sozialistischen Diktatur ein. Noch am Wahlabend demonstrierten rund 1.000 Bürger gegen die all zu offensichtliche Manipulation der Wahlen.

Wahlbeobachtung

In vielen Wahllokalen hatten Bürger von ihrem im Wahlrecht verbrieften Recht Gebrauch gemacht, der Stimmenauszählung beizuwohnen. Und diese Beobachter kamen zu ganz anderen Ergebnissen als dem verkündeten: So hatten nach ihren Berechnungen durchschnittlich bis zu sieben Prozent der Wähler gegen die Einheitsliste gestimmt. In manchen Wahllokalen lag die Ablehnungsquote sogar bei bis zu 20 Prozent.

In den Tagen nach der Wahl erhoben Bürgerrechtler massenhaft Einspruch gegen die Wahlen und stellten gar Strafanzeige wegen Wahlfälschung. Doch der Justizapparat lehnte die Anfechtungen auf Weisung von Oben ab. Der Wahlbetrug trieb zunehmend mehr DRR-Bürger auf die Straßen. Am 4. September kam es in Leipzig im Anschluss an das Friedensgebet in der Nikolaikirche zur ersten Montagsdemonstration. Am 9. Oktober demonstrierten bereits 70.000 Menschen in Leipzig - obwohl oder gerade weil die Polizei am 7. September äußerst brutal gegen Demonstranten auf dem Berliner Alexanderplatz vorgegangen war. Dort kam es am 4. November schließlich auch zur größten nichtstaatlichen Massendemonstration in der Geschichte der DDR mit mehreren hundertausend Teilnehmern. Fünf Tage später fiel die Mauer.

Anlässlich des 25-jährigen Jahrestages der Kommunalwahl von 1989 gedachte der Bundestag in der vergangenen Woche in einer Debatte der Ereignisse. Fraktionsübergreifend bezeichnten alle Redner die gefälschte Kommunalwahl als "Ausgangspunkt" und "Initialzündung" für die friedliche Demonstration des Jahres 1989 in der DDR, die schließlich zum Ende des SED-Regimes und der Deutschen Einheit führte. "Der heutige Tag ist Anlass, uns der fundamentalen Bedeutung freier, allgemeiner, gleicher und ungestörter Wahlen für die Demokratie in Erinnerung zu rufen", betonte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Ein Blick auf die Welt und die aktuellen Ereignisse in der Ukraine offenbare, dass freie Wahlen entgegen der Wahrnehmung vieler Deutscher eben keine Selbstverständlichkeit seien, sagte de Maizière.

Wahlaufruf

Iris Gleicke (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, appellierte an die Bürger, von ihrem Wahlrecht deshalb auch Gebrauch zu machen: "Wer diejenigen wirklich ehren will, die vor 25 Jahren mutig darauf bestanden haben, eine echte Wahl zu haben, der geht wählen und der wählt eine demokratische Partei." Die sei "das Erbe des 7. Mai 1989". Zugleich übte Gleicke scharfe Kritik an "renommierten Journalisten" wie Gabor Steingart, die sich in ihren Büchern öffentlich zum Nichtwählen bekennen. Solches "Geschwätz könnte zu einem bösen Erwachen führen". Sie wolle jedenfalls keine Neonazis in den Parlamenten sehen. Sie habe kein Verständnis dafür, "dass Leute es schick finden, nicht wählen zu gehen".

In die Debatte mischten sich jedoch auch nachdenkliche Töne. Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass sich viele Hoffnungen der DDR-Bürger an die Demokratie nicht erfüllt hätten. Auch sie habe oft an "unserer Demokratie gezweifelt" und sei "teilweise verzweifelt", räumte die Parlamentarierin ein. "Ich glaube, dass keine und keiner sich 1989 und auch nicht 1990 hat träumen lassen, dass wir 25 Jahre nach der friedlichen Revolution in unserem Lande darüber diskutieren, wie wir die Totalüberwachung unserer elektronischen Kommunikation beenden können", mahnte Lemke. Sie sei allerdings überzeugt, "dass die Freiheit auch in dieser Frage siegen wird".

Schuldzuweisungen

Beim CDU-Abgeordneten Michael Kretschmer stieß Lemke mit ihrer Rede jedoch auf Unverständnis: Er verstehe nicht, wie man über Internetüberwachung reden kann, "ohne sich Gedanken darüber zu machen, was eigentlich gewesen wäre, wenn die DDR über diese Möglichkeiten verfügt hätte". Kretschmer übte zugleich scharfe Kritik an der Linkspartei als Nachfolgerin der SED. Die Linke habe sich nie bei den Opfern der SED-Diktatur entschuldigt und auch das Unrecht in der DDR nie anerkannt. Um so wichtiger sei es, dass die DDR und ihre "wirklich schlimme, linke, kommunistische sozialistische Ideologie" nicht in Vergessenheit gerät, mahnte Kretschmer.

Zuvor hatte André Hahn (Linke) diesen Vorwurf zurückgewiesen und umgekehrt gegenüber der CDU erhoben. Seine Partei habe sich "wesentlich intensiver und vor allem selbstkritischer" mit der Rolle der SED auseiandergesetzt als etwa die ehemalige Blockpartei der Ost-CDU. Hahn erinnerte daran, dass der heutige Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (CDU), als Ergebnis der gefälschten Kommunalwahl in den Kreistag Kamenz eingezogen sei. "Das werfe ich ihm nicht vor, den Umgang mit seiner eigenen Biografie aber schon", sagte Hahn. Umgekehrt sei es der jetztige Linken-Fraktionschef Gregor Gysi gewesen, der im Mai 1989 im Auftrag des Bürgerrechtlers Rainer Eppelmann Strafanzeige gegen die Wahlfälschungen erhoben habe.

Monika Lazar (Grüne) hielt daraufhin sowohl Kretschmer als auch Hahn entgegen, dass weder die CDU noch die Linke die Erben der Bürgerrechtsbewegung in der DDR seien. "Die Erben waren, wenn überhaupt, Bündnis 90 und die Grünen sowie die Ost-SPD."