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Kurz notiert

10.06.2014
2023-08-30T12:26:15.7200Z
4 Min

Ostfront - bis heute symbolisiert dieses Wort für viele Deutsche die Schrecken des Zweiten Weltkriegs par excellence. Die Kriegsereignisse im Westen erscheinen dagegen oft in einem milderen Licht. Zu Unrecht, wie der deutsche Militärhistoriker Peter Lieb in seinem aktuellen Band über die Landung der Westalliierten in der Normandie vor 70 Jahren darstellt. "Die Kampf- und Schlachtfelder bei der Invasion waren in meinem insgesamt zehnjährigen Kriegserleben zwischen Kaspischem Meer und Atlantik die denkbar schwersten und furchtbarsten", resümierte bereits der deutsche General Leo Geyr. So starben während der Kämpfe um die Normandie zwischem dem Tag der Landung am 6. Juni und Ende August 1944 schätzungsweise 55.000 deutsche und 65.000 alliierte Soldaten sowie 19.000 französische Zivilisten. Hinzu kamen unzählige Verwundete.

Lieb, er lehrt unter anderem an der britischen Militärakademie in Sandhurst, räumt aber auch mit anderen Mythen - etwa dem vom vermeintlich "sauberen" Krieg im Westen - auf. So standen Kriegsverbrechen wie die Erschießung von Gefangenen auf deutscher wie auch auf amerikanischer und britischer Seite auf der Tagesordnung. Der Historiker scheut sich auch nicht, den blutigen französischen Bürgerkrieg zwischen Widerstandskämpfern und Kollaborateuren sowie Vichy-Franzosen zu thematisieren.

Peter Lieb hat kein detailliertes Schlachtengemälde gezeichnet wie etwa sein britischer Historikerkollege Antony Beevor mit seinem umfangreichen Werk über den "D-Day". Natürlich vermittelt auch Lieb einen Überblick über die wichtigsten militärischen Operationen, die amphibischen Landungen an den Küsten oder das massenhafte Absetzen von Fallschrimjägern und Luftlandetruppen im Hinterland. Vor allem aber geht es dem Historiker darum, die Landung in der Normandie insgesamt in das Geschehen des Zweiten Weltkriegs einzuordnen und ihre militärische und auch politische Bedeutung herauszuarbeiten. Und dies gelingt ihm auf hervorragende Art und Weise.

Peter Lieb:

Unternehmen Overlord. Die Invasion in der Normandie und die Befreiung Westeuropas.

Verlag C. H. Beck, München 2014; 254 S., 14,95 €

Nein, ein Held sei er nicht, findet Ludwig Baumann. Aber auch kein Feigling. Als solcher wurde der Bremer jedoch jahrzehntelang beschimpft, dazu noch als Vaterlandsverräter und Kameradenschwein. Denn Baumann hat sich als Wehrmachtssoldat Hitlers Angriffskrieg verweigert. 30.000 solcher Deserteure, "Wehrkraftzersetzer" oder "Kriegsverräter" wurden von NS-Militärrichtern zum Tode verurteilt, über 20.000 tatsächlich hingerichtet. Auch Baumann sollte nach gescheiterter Desertion sterben, wurde aber zu zwölf Jahren Zuchthaus "begnadigt". Davon erfuhr er allerdings monatelang nichts; ständig wartete er in der Todeszelle auf die Hinrichtung.

Nach Gefängnis, Konzentrationslager und Strafbataillon war er ein gebrochener Mann, der das Erbe seines Vaters vertrank. Erst nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt des sechsten Kindes übernahm er allmählich Verantwortung - nicht nur für die Familie, sondern später auch für die Gesellschaft: Er engagierte sich in der Friedens- und Eine-Welt-Bewegung, und 1990 gründete er mit drei Dutzend Veteranen die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz". Als Vorsitzender warb er jahrelang freundlich, aber hartnäckig für die Rehabilitierung der noch immer als vorbestraft geltenden Deserteure - mit Erfolg: Schritt für Schritt stufte der Bundestag 1998, 2002 und 2009 die Militärjustizurteile gegen Deserteure, "Wehrkraftzersetzer" und schließlich auch "Kriegsverräter" als Unrecht ein.

Baumann ist inzwischen 92 und wahrscheinlich der letzte überlebende Wehrmachtsdeserteur. Gemeinsam mit dem Journalisten Norbert Joa hat er jetzt seine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Beklemmend die Schilderungen seiner Verfolgung, seines Absturzes und der erlittenen Schmähungen nach dem Krieg, ermutigend die Passagen über sein späteres Engagement. Allerdings wird der Lesefluss durch ständige Rückblenden gestört. Fazit des bekennenden Pazifisten: Er habe sich seine Würde wiedergeholt, und die jüngere Generation "soll wissen, dass es lohnt, ‚Nein' zu sagen".

Ludwig Baumann, Norbert Joa:

Niemals gegen das Gewissen. Plädoyer des letzten Wehrmachts-deserteurs.

Herder Verlag, Freiburg 2014; 128 S., 12,99 €