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ENTWICKLUNG  : Am Bedarf vorbei

Opposition: Etat wird Lage nicht gerecht

15.09.2014
2023-08-30T12:26:19.7200Z
4 Min

Es war ein emotionaler Appell, den Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) in seiner Rede an die Haushaltspolitiker der Bundestags-Fraktionen richtete: „Wir müssen uns jetzt um Winterquartiere und Infrastruktur für Millionen Menschen kümmern“, sagte er in der ersten Lesung des Haushaltes für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ; 18/2000). Es drohe ein „dramatischer Winter“, deshalb müsse es jetzt „grünes Licht für die Winterhilfe“ geben. Der Minister verwies auf die große Zahl von Flüchtlingen, insbesondere in Syrien und im Irak, denen es oft am Nötigsten fehle: an Toiletten, Strom, Wasser, Schulen. Und er machte klar, dass die Probleme mit dem vorliegenden Haushalt „nicht zufriedenstellend gelöst“ werden können. Seine Erwartungen richtete er insbesondere an die Europäische Union: 100 Millionen Euro solle sie zusätzlich für die Flüchtlingshilfe bereitstellen, forderte Müller.

Die Oppositionsfraktionen sicherten ihm hierfür ihre Unterstützung zu. und ließen darüberhinaus kein gutes Haar an dem Entwurf. Auch aus den Reihen der SPD war deutliche Kritik zu vernehmen. Immer wieder kritisierten die Redner der drei Fraktionen, dass sich die aktuellen großen Krisen in der Welt im Etat überhaupt nicht abbildeten. „Der Bedarf an humanitärer Hilfe und Entwicklungsleistungen ist so groß wie nie“, sagte Annette Groth (Die Linke). Denn noch nie habe es so viele Flüchtlinge gegeben wie jetzt: 51 Millionen Menschen. Die westlichen Staaten müssten endlich angemessen auf diese humanitäre Katastrophe reagieren, appellierte Groth an die Bundesregierung. Dazu gehöre es auch, Flüchtlingen die Möglichkeit einzuräumen legal in die EU zu kommen.

»Treten auf der Stelle« Aus Sicht von Anja Hajduk (Grüne) besteht ein „Ungleichgewicht“ zwischen den beschlossenen Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak, die einen Wert von 70 Millionen Euro hätten, und den bereitgestellten Mitteln für die humanitäre Hilfe in Höhe von 50 Millionen Euro. Außerdem stagnierten die mittelfristigen Mittel im BMZ-Etat für entwicklungsfördernde und strukturbildende Übergangshilfen. „Sie treten mit Ihren 49 Millionen Euro auf der Stelle“, warf sie der Regierung vor. Da reiche auch der Hinweis auf die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ nicht aus, für die 2015 Barmittel in Höhe von 60 Millionen Euro veranschlagt sind.

Als eine „richtig gute Initiative“, bezeichnete Sonja Steffen (SPD) das Programm. Aber auch sie fragte sich, ob die Mittel dafür reichten. „Das reicht nicht“, stellte sie selbst klar. „Das ist nicht die richtige Antwort auf die neue Dimension, mit der wir es zu tun haben.“

Steffens Parteikollegin Gabriela Heinrich verwies darauf, dass es zwar wichtig sei, angesichts der aktuellen Krisen kurzfristig schnelle Hilfe zu leisten. Es gehe aber auch darum, vorausschauend zu handeln. Hier komme die Entwicklungspolitik ins Spiel. „Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik“, betonte Heinrich. „Wenn wir mehr wollen, als nur reagieren, dann werden wir stärker in die Prävention von Krisen investieren müssen“, zeigte sie sich überzeugt. Der BMZ-Etat habe da „noch deutlich Luft nach oben“, befand die SPD-Abgeordnete.

Immer wieder kam in der Debatte die so genannte „ODA-Quote“ zur Sprache. Deutschland hat, wie andere Geberländer auch, international zugesagt, die Ausgaben für Entwicklung auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen. Diese Zusage hat Deutschland bisher nicht erfüllt. Derzeit wendet Deutschland nur 0,38 Prozent seines BNP für Entwicklung auf und im kommenden Haushaltsjahr wird es kaum mehr sein. „Das ist beschämend“, urteilte Heike Hänsel.

Die Gesamt ausgaben des BMZ sollen 2015 nur geringfügig steigen: um 1,84 Millionen Euro auf insgesamt 6,44 Milliarden Euro. Ein Großteil davon, nämlich 2,97 Milliarden Euro, soll für die bilaterale staatliche Zusammenarbeit aufgewendet werden. Das sind 67,93 Millionen Euro weniger als im laufenden Haushaltsjahr.

Neben der Sonderinitiative zur Bekämpfung von Fluchtursachen legt das Ministerium einen weiteren Schwerpunkt auf die Bekämpfung des Hungers: 100 Millionen Euro sollen im kommenden Jahr in die Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ fließen. Im laufenden Haushalt sind es 70 Millionen Euro. Entwicklungsminister Müller entwarf ein klares Ziel: „Meine Vision ist es, bis zum Jahr 2030 eine Welt ohne Hunger zu haben.“ Dies sei machbar, betonte er, biete der Planet doch die Ernährungsgrundlage für zehn Milliarden Menschen. Umso skandalöser sei es, dass täglich immer noch 20.000 Kinder an Hunger sterben müssten.

Größter Geber Die verfehlte ODA-Quote kritisierte auch Jürgen Klimke (CDU). Er sicherte aber zu, dass die Bundesregierung daran arbeite, in diesem Punkt „vernünftig voranzukommen“. Davon abgesehen zeigte er sich mit dem Etatentwurf zufrieden. Er sehe keinen Bereich, den der Minister vernachlässigen würde. Dieser greife vielmehr mit „frischen Ansätzen“ drängende Fragen dieser Zeit auf. Klimke erinnerte daran, dass das Ministerium im Rahmen von Sofortmaßnahmen für den Irak und für Gaza jeweils 20 Millionen Euro bereitgestellt habe. Johannes Selle (CDU) betonte, Deutschland sei preis- und wechselkursbereinigt größter Geber nach den Vereinigten Staaten „Und wir bleiben mit diesem Haushalt führend.“

Gerd Müller machte auf die bisherigen Erfolge seines Ressorts aufmerksam. Wenn die Leute ihn fragten: „Was nutzt denn Entwicklungspolitik?“, verweise er oft auf die Gesundheitspolitik. Polio sei heute durch die Impfung von 450 Millionen Kindern in den letzten 20 Jahren praktisch kein Thema mehr, ebenso Masern. „Da bin ich ein Stück weit begeistert“, erklärte der Minister. Johanna Metz