bankenunion : Nach der Krise? Vor der Krise?
Durch eine europäische Aufsicht über die Geldhäuser sollen Steuerzahler nicht mehr so schnell haften
Die Debatte im Bundestag dauerte nicht mehr als 100 Minuten. Doch am Ende stand ein tiefer Einschnitt in das deutsche und europäische Finanzsystem. Rund sechs Jahre nach der spektakulären Pleite der Lehman Brothers und dem Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise haben die deutschen Parlamentarier durch die Verabschiedung von vier so genannten Umsetzungsgesetzen die geplante europäische Bankenunion implementiert. Mit ihr soll eine kontrollierte Rettung von maroden Geldhäusern möglich werden, ohne dass künftig Staaten damit zugleich an den Rand des Bankrotts geraten. Während die Befürworter dies als einen Durchbruch zu einer stabileren institutionellen Finanz-Architektur der Euro-Zone feiern, befürchten viele Kritiker, dass damit durch die Hintertür doch eine europaweite Haftung der Sparer und Steuerzahler für überschuldete Banken und Staaten festgeschrieben wird.
Besserer Schutz Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verspricht sich von der Bankenunion jedoch in erster Linie einen besseren Schutz der Steuerzahler vor den finanziellen Folgen künftiger Bankenkrisen. Die Gesetze haben dabei das Ziel, einerseits die europäischen Vereinbarungen zur Bankenunion umzusetzen und andererseits die bisher schon in Deutschland aufgrund der Erfahrungen in der Finanzkrise getroffenen Regelungen an die europäischen Vorgaben anzupassen. So folgt dem Gesetzesvorhaben auch ein gravierender und für die Finanzmarktbranche weitreichender verwaltungstechnischer Umbau: Zunächst wird die „Bundesanstalt für Finanzmarktstabilität“ (FMSA) die nationale Abwicklungsbehörde werden. Dabei sollen die bisher auf verschiedene Stellen verteilten Abwicklungsbefugnisse dort zentralisiert werden. In einem zweiten Schritt soll die FMSA dann in die „Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht“ (BaFin) als so genannte „Anstalt in der Anstalt“ überführt werden. „Hierdurch sollen Synergien mit der bestehenden Allfinanzaufsicht gehoben und mögliche Reibungsverluste vermieden werden“, heißt es in dem Gesetzesentwurf. Am Ende wird dann die EZB die Banken in der Euro-Zone beaufsichtigen. Aufgabe der neuen Aufsicht ist es, darauf zu achten, dass die wichtigsten, grenzüberschreitend arbeitenden Geldhäuser Europas nach einheitlichen Standards kontrolliert werden. Die kleineren Banken sollen dagegen auch in Zukunft durch die nationalen Behörden überwacht werden.
Start im November Dabei ist die parlamentarische Verabschiedung zeitlich genauestens und engstens getaktet, denn bereits Anfang November soll die gemeinsame Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) ihre Arbeit aufnehmen und insgesamt 120 Banken in der Euro-Zone, darunter 21 deutsche Institute, beaufsichtigen. Zuvor wird ein so genannter Stresstest zeigen, ob die Bilanzen der größten Banken einem simulierten Crash standhalten, versteckte Verluste offengelegt und ausgleichen. Alle Banken werden dabei künftig mehr Eigenkapital vorhalten müssen. Im November will dann die neue Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Daniele Nouy, die Ergebnisse veröffentlichen.
Bekommen Geldinstitute dann künftig erneut Probleme, werden sie – so ist vor allem nach dem Banksendesaster in Zypern geplant – nach einem einheitlichen Verfahren saniert oder abgewickelt. Fallen Verluste an, sollen in erster Linie die Eigentümer und Gläubiger der Bank durch ein so genanntes „Bail-in“ haften. Kleinanleger sollen dabei durch Einlagensicherungsfonds geschützt werden. Die zweite Verteidigungslinie bildet ein Fonds, der von den Banken in der Euro-Zone schrittweise bis Anfang 2024 über Abgaben der Geldhäuser mit rund 55 Milliarden Euro gefüllt werden soll. Er kann allerdings erst angezapft werden, nachdem Eigentümer und Gläubiger der Bank Verluste in Höhe von mindestens acht Prozent der Bilanzsumme absorbiert haben. Wenn er genutzt wird, darf der Fonds höchstens Mittel in Höhe von fünf Prozent der Bilanzsumme bereitstellen. Diese Reihenfolge der Haftung – zuerst Eigentümer und Gläubiger, dann der Abwicklungsfonds der Banken – wird als „Haftungskaskade“ bezeichnet. „Wir lassen damit Haftung und Verantwortlichkeit dort angesiedelt, wo auch die Zuständigkeit für die Entscheidungen ist“, betonte Schäuble. „So wollen wir das Risiko, dass wieder die Steuerzahler wie in der Finanzkrise in die Haftung eintreten müssen, ausschließen.“ Am Ende der Haftungskaskade steht dann allerdings doch der Euro-Rettungsfonds ESM und mit ihm der Steuerzahler. Dabei war der ESM eigentlich nur zur Stabilisierung von finanziell angeschlagenen Euro-Staaten gedacht. Nun soll er – als „ultima ratio“ sozusagen – auch bei einer direkten Rekapitalisierung von Banken helfen. Das soll aber in der Regel mit einer finanziellen Beteiligung des Landes verbunden werden, in dem die notleidende Bank sitzt. Die Hilfen sind auf 60 Milliarden beschränkt. Die Haftungsregeln sollen insgesamt europaweit ab 2016 gelten, in Deutschland aber schon von 2015 an.
Alarmglocken Spätestens aber, wenn die einzelnen Nationalstaaten zur Rettung maroder Banken aufgerufen wären, schrillen bei Kritikern der geplanten Bankenunion alle Alarmglocken. Denn Europas Bankenwelt ist auch heute noch lange nicht vor weiteren bösen Überraschungen gefeit. Ganz im Gegenteil. Erst vor wenigen Wochen drohte die portugiesische „Banco Espirito Santo“ (BES) in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Wir erinnern uns: Mitten im Sommerloch sorgten Pleitegerüchte um die BES und Rioforte – beide Geldhäuser sind Teil des weitverzweigten portugiesischen Familienkonglomerates „Espirito International“ – für helle Aufregung an den Finanzmärkten. In ganz Europa rauschten die Bankaktien in den Keller, gleichzeitig schossen die Risikoprämien auf südeuropäische Staatsanleihen in die Höhe. Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho sah sich gezwungen zu versichern, dass die BES genügend Kapital habe, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Ein Vorgang, der viele Beobachter fatal an die längst überwunden geglaubte Banken-Krise erinnerte, in der nationale Aufseher selbst dann noch schützend ihre Hände über heimische Kreditinstitute hielten, als diese längst vor der Pleite standen.
Und Portugal ist kein Einzelfall: Nach dem jüngsten Bankenmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln leiden vor allem die Geldhäuser in Zypern und Griechenland unter problembeladenen Krediten, danach folgen Italien und Spanien. Auch in Österreich schockte die Erste Group, das älteste Kreditinstitut des Landes, Anfang Juli die Märkte mit 2,4 Milliarden Euro Abschreibungen für 2014. Finanzkreise rechnen damit, dass europaweit 30 von 128 getesteten europäischen Banken die Hürde im Stresstest reißen könnten. Konkret heißt das: Im Krisenszenario hätten sie nicht ausreichend Eigenkapital und der Steuerzahler müsste „aushelfen“.
Ein Szenario, das sich auch in Deutschland ereignen könnte. Geht es nach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Chefin der Bundesfinanzaufsicht (BaFin), Elke König, werden zwar alle deutsche Banken den Stresstest problemlos überstehen. Doch ist das wirklich so? Wackelkandidaten sind vor allem einige Landesbanken. Besonders gefährdet ist die skandalumwitterte HSH Nordbank. Die gemeinsame Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein ist weltweit die Nummer eins im Schiffsgeschäft, das zur Zeit in einer tiefen Krise steckt, und darüber hinaus stark in Schieflage wegen Fehlinvestments vor der Finanzkrise. Dass das Institut überhaupt noch existiert, verdankt es allein den Steuerzahlern der beiden Bundesländer, die das Institut mit rund zehn Milliarden Ausfallgarantie stützen. Die sollen der eigentlich maroden Landesbank jetzt durch den Stresstest helfen. Doch noch ist fraglich, ob die EZB die Garantie der Steuerzahler toleriert. Ist dies nicht der Fall, wird es eng. Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie die NRW-Landesbank WestLB, die auf Drängen der EU-Kommission abgewickelt wurde, könnte sich die Kieler Skandalbank nur noch in eine Fusion mit der niedersächsischen Nord/LB retten. Doch auch die sitzt auf einem großen, heute ungeliebten Polster aus Schiffsbeteiligungen.
Problem Schiffe Und dann ist da noch die Frankfurter Commerzbank, eigentlich ein Privatinstitut, aber nach der Finanzkrise immer noch mit 17 Prozent in der Hand des deutschen Staates. Auch sie muss milliardenschwere Altlasten aus der Staats-, Schiffs- und Immobilienfinanzierung loswerden und schleppt viele andere Risiken mit sich herum. Mit dem Verkauf von Portfolios in Spanien und Portugal hat sie bereits viele Altlasten abgeworfen. Aber ob es für den Stresstest reicht?
Ja, sagen die Banken zuversichtlich, denn es gibt ja noch Mario Draghi. Europas obersten Banker. Er hat versprochen, den europäischen Bankensektor und damit Euro-Land mit allen Mitteln der Geldpolitik vor einer neuen Bankenkrise zu retten. Anfang Juli diesen Jahres kündigte die EZB deshalb ein bis zu vierjähriges Kreditprogramm in Höhe von insgesamt einer Billion Euro für Europas Banken an. Ab September – nicht zufällig kurz vor dem Bilanzcheck und Stresstest – konnten sie sehr günstig Refinanzierungsgeschäfte – der Zinssatz liegt bei 0,25 Prozent – von der Notenbank erhalten, um weiter zu bestehen. „Die Euro-Zone läuft Gefahr, Zombie-Banken zu züchten, welche die Volkswirtschaften der Krisenländer im Erholungsprozess lähmen“, warnen deshalb die Ökonomen vom „Institut der deutschen Wirtschaft“ in Köln. Die nächste Krise, so lautet ihre Warnung, droht dann spätestens in vier Jahren. Dann müssen die Banken das von der Zentralbank geliehene Geld wieder zurückzahlen.