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INTERVIEW : »Geld allein reicht nicht, wir brauchen Personal«

Florian Westphal, Geschäftsführer von »Ärzte ohne Grenzen«, warnt vor einer weiteren Ausbreitung von Ebola

29.09.2014
2023-08-30T12:26:19.7200Z
4 Min

Herr Westphal, „Ärzte ohne Grenzen“ ist seit März 2014 mit mehr als 2.000 Mitarbeitern im Ebola-Gebiet in Westafrika im Einsatz. Wie erleben die Helfer die Lage?

Die Situation ist sehr schwierig, um nicht zu sagen katastrophal. Wir stoßen an die Grenzen unserer Kapazitäten. Besonders schlimm ist es in Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Dort kommen viel mehr infizierte Patienten in unsere Behandlungszentren, als wir aufnehmen können. Wir sind gezwungen, einige zurückzuweisen. Das ist sehr tragisch und auch für unsere Kollegen vor Ort enorm belastend. Sie wissen ja, dass diese Menschen vom Tode bedroht sind und dass sie sehr wahrscheinlich weitere anstecken werden.

Unter welchen Bedingungen arbeiten die Helfer? Können sie sich ausreichend vor einer Ansteckung schützen?

Unsere Helfer sind gut geschützt. Und wir haben sehr strenge Regeln erlassen. So sollen die Ärzte immer in Zweierteams arbeiten, um sicherzustellen, dass sie die Hygienevorschriften genau einhalten. Der Einsatz vor Ort ist zudem auf einige Wochen begrenzt, denn mit zunehmender Erschöpfung nimmt die Disziplin ab und das Risiko einer Ansteckung wird größer. Die Kollegen arbeiten ja bei extremer Hitze in den Schutzanzügen, das ist körperlich sehr anstrengend. Und auch die psychische Belastung ist groß. Die Ärzte haben es ständig mit Patienten zu tun, die sie letztlich nicht vor dem Tod bewahren können.

Ihre Organisation betreibt in den am meisten betroffenen Ländern, Sierra Leone, Liberia und Guinea, insgesamt fünf Isolierstationen. Was können die Ärzte dort für die Kranken tun?

Ebola zu behandeln, ist medizinisch nicht sehr kompliziert. Die Ärzte versuchen in erster Linie, den hohen Flüssigkeitsverlust der Patienten auszugleichen, und sie verabreichen Schmerzmittel. Immer wieder werden Menschen gesund. Doch in den meisten Fällen können wir den Patienten nur einen würdevollen Tod ermöglichen.

Darüber hinaus versuchen wir, auch außerhalb der Zentren zu arbeiten. Wir gehen in die Dörfer, um weitere Infizierte zu finden und die Bevölkerung über die Risiken aufzuklären. Absoluten Vorrang hat im Moment aber die Behandlung der Kranken – und tragischerweise auch die Bestattung der Leichen. Das sollten eigentlich nicht wir Ärzte machen müssen, aber es ist leider notwendig in dieser Situation.

Die Bundesregierung hat jetzt die finanziellen Hilfen für den Kampf gegen die Epidemie auf 17 Millionen Euro aufgestockt, auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt mehr Mittel zur Verfügung. Reicht das denn überhaupt?

Nein, bis jetzt reicht das alles nicht. Geld ist im Moment auch nicht das größte Problem, es sind die völlig unzureichenden Kapazitäten vor Ort. Es fehlt überall an spezialisiertem Personal zur Behandlung der Patienten. Außerdem müssen die Kontakte, die Infizierte mit anderen Menschen gehabt haben, weiterverfolgt werden. Dazu sind viele Helfer notwendig. Es mangelt auch an Laborkapazitäten, denn es müssen sehr schnell sehr viele Blutproben auf das Virus getestet werden. Aus diesen Gründen drängen wir seit längerem darauf, dass schnellstmöglich entsprechendes Material und Personal in die Region geschickt wird. Mit Geld allein können wir jetzt, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird, nicht mehr ausrichten.

Bei der Bundeswehr haben sich jetzt mehr als 4.500 Freiwillige zum Einsatz im Ebola-Gebiet gemeldet.

Das begrüßen wir. Das ist ein erster wichtiger Schritt. Es reicht in dieser Situation aber nicht, einen guten Willen und Mut zu haben, sondern die betroffenen Länder brauchen, das betone ich noch mal, gut ausgebildetes und gut vorbereitetes Personal. Entscheidend ist auch, dass die Helfer schnell ins Krisengebiet kommen, denn uns rennt die Zeit weg. Das Virus breitet sich enorm schnell aus, möglicherweise auch auf weitere Länder. Wir haben das Schlimmste bei weitem noch nicht überstanden.

Seit dem Ausbruch der Epidemie sind sechs Monate vergangen. Warum hat die Weltgemeinschaft erst jetzt reagiert?

Die Gründe sind mir unbekannt und unerklärlich. Sowohl die Bundesregierung als auch die WHO haben das Ausmaß der Katastrophe viel zu lange nicht begriffen. Wir haben in den vergangenen Monaten immer und immer wieder gewarnt, aber niemand hat auf uns gehört.

Westafrika galt bisher als vergleichsweise stabile Region auf dem Kontinent. Welche Folgen hat nun die Epidemie? Droht in den betroffenen Ländern ein Zusammenbruch der Gesellschaften?

Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Sierra Leone und Liberia haben sich zuletzt politisch und wirtschaftlich gut entwickelt. Und das, nachdem diese Länder zuvor äußerst brutale Konflikt erlebt haben. Sie waren gerade dabei, sich davon zu erholen. Klar ist, dass beide Länder jetzt noch lange unsere Unterstützung brauchen werden, auch wenn Ebola hoffentlich irgendwann eingedämmt ist. Das Gesundheitssystem ist bereits weitgehend zusammengebrochen. Andere Krankheiten wie Malaria oder Schwangerschaftskomplikationen können vielerorts nicht mehr behandelt werden. Die Leute trauen sich nicht mehr ins Krankenhaus oder die Krankenhäuser sind geschlossen, denn oft ist das Personal selbst infiziert oder es geht aus Angst vor Ansteckung nicht mehr zur Arbeit. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind ebenfalls enorm. Handel, Landwirtschaft, Industrie liegen praktisch brach. Die Auswirkungen der Epidemie auf die Bevölkerung müssen unbedingt abgefedert werden, um eine Destabilisierung der Region zu verhindern.

Das Gespräch führte Johanna Metz.