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VERTEIDIGUNG : Die Rückkehr der Raubkatzen

Ministerin von der Leyen reagiert auf die Ukraine-Krise. Die Panzertruppe soll wieder aufgerüstet werden

09.03.2015
2023-08-30T12:27:57.7200Z
6 Min

Einst beherrschten Raubtiere die norddeutsche Tiefebene. Auf den Truppenübungsplätzen der Bundeswehr zwischen Ems und Elbe tummelten sich tausende Leoparden, Geparden und Jaguare, Marder und Wiesel, Füchse und Luchse – ein stählernder Zoo auf Ketten und Rädern.

Vor allem im flachen Norden, so besagte es die Militärdoktrin, würden die Panzerarmeen von Nato und Warschauer Pakt aufeinanderstoßen, wenn aus dem kalten ein heißer Krieg würde. Panzer in allen Varianten bildeten während des Kalten Krieges das Rückgrat der konventionellen Landstreitkräfte in Ost und West. Auch im Fuhrpark der Bundeswehr war vom Kampf- und Jagdpanzer über Schützen-, Späh- und Transportpanzer, Pionier- und Flugabwehrkanonenpanzer bis hin zum Luftlandepanzer alles zu finden.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation setzte schließlich ein wahres Massensterben unter den Stahlkolossen ein. Die Panzertruppe wurde analog zur Bundeswehr Stück für Stück verkleinert. Bis in die 1990er Jahre verfügte sie noch über rund 2.500 „Leopard“-Kampfpanzer. In Zukunft sollten es jedoch lediglich noch 225 sein. So bestimmte es Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) 2011 bei der Vorstellung der von ihm überarbeiteten Neuausrichtung der Bundeswehr, die sein Amtsvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingeleitet hatte.

Doch nun will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) offensichtlich umsteuern. „Anstatt funktionstüchtige ,Leopard 2‘ auszumustern und zu verschrotten, sollten wir überlegen, wie wir das gute, noch vorhandene Material in die bestehenden Strukturen integrieren können“, verkündete sie Ende Februar in einem Interview mit einer hauseigenen Pressepublikation. „Deswegen wollen wir am Standort Bergen ein derzeit gekadertes Panzerbataillon aktivieren, vorzugsweise mit ergänzender internationaler Komponente. Wir sind dazu in guten Gesprächen mit den Niederlanden.“

Eine neue Obergrenze für die Zahl an „Leopard 2“-Panzern, über die die Truppe in Zukunft verfügen soll, nannte die Ministerin jedoch nicht. In der Regel verfügen die Panzerbataillone der Bundeswehr derzeit über 44 Panzer. Auch von der Leyens Pressesprecher Jens Flosdorff wollte sich in der vergangenen Woche vor der Bundespressekonferenz zu dieser Frage nicht festlegen. Zunächst ginge es nur um die Aufstellung beziehungsweise Reaktivierung eines Panzerbataillons, das „weitgehend auf dem Papier besteht“. Dies solle mit den „überschüssigen Kampfpanzern“ ausgerüstet werden, „die wir im Moment auch haben“. Derzeit verfüge die Bundeswehr über 240 bis 250 „Leopard 2“ in den modernen Varianten A5 bis A7. Darüber hinaus verfüge die Truppe und die Industrie über ältere Modelle, die nachgerüstet werden könnten.

Die Ankündigung erregte einige mediale Aufmerksamkeit und die Kritik der Opposition. Nicht zuletzt deswegen, weil Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zeitgleich verkündete, der Wehretat solle ab dem Jahr 2017 wieder aufgestockt werden.

Haushaltsberatungen  Doch der vermeintliche Kehrtschwenk im Verteidigungsministerium kommt wenig überraschend. Bereits während der Beratungen über den Bundeshaushalt 2015 im Herbst vergangenen Jahres hatten sich die Verteidigungspolitiker der Koalition dafür ausgesprochen, die Stückzahl der Kampfpanzer nach oben zu korrigieren. In einem vom Verteidigungsausschuss verabschiedeten Antrag von Union und SPD heißt es zur Begründung: „Die weltweite sicherheitspolitische Lage hat sich deutlich verschärft. In diesem Zuge legt die Nato verstärktes Augenmerk auf die Kernaufgabe Bündnisverteidigung. AuchDeutschland ist hierbei besonders gefordert. (...) Der bisher geplante Kräfteansatz von

225 Kampfpanzern ;Leopard 2 ist den neuen Entwicklungen nicht mehr angemessen.“ Sorge bereiten den Verteidigungspolitikern der Großen Koalition aber nicht nur die quantitative, sondern auch qualitative Kampfkraft der Panzertruppe. Mittel- und langfristig müsse deshalb das Nachfolgemodell „Leopard 3“ entwickelt werden.

Zeitgleich zu den Haushaltsberatungen wurde bereits laut über die Aufstellung eines neuen Panzerbataillons im niedersächsischen Bergen im Landkreis Celle nachgedacht. Vor allem der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte (CDU), machte sich für die Idee stark. Kein Wunder, denn Otte vertritt den Wahlkreis Celle-Uelzen. Und aus Bergen wird bis Ende das Jahres die dort bislang stationierte 7. britische Panzerbrigade abgezogen sein. Für die die strukturschwache Region ein herber Verlust, der durch die Stationierung des deutschen Panzerbataillons ab 2016 ausgeglichen werden könnte.

Kooperation  Auch der Plan, mit den niederländischen Streitkräften zu kooperieren, kommt nicht von ungefähr. Die Niederlande hatten 2011 im Zuge einer Streitkräftereform beschlossen, ihre „Leopard“-Panzer auszumustern. Doch die Ukraine-Krise und die als aggressiv empfundene Außenpolitik der russischen Regierung unter Präsident Wladimir Putin hat in allen Nato-Staaten zum Umdenken geführt. Zudem streben vor allem die europäischen Verbündeten angesichts angespannter Kassenlage eine stärkere Zusammenarbeit und Abstimmung ihrer Streitkräfte aufeinander an.

Ob die von Finanzminister Schäuble in Aussicht gestellte Erhöhung der Verteidigungsausgaben Ministerin von der Leyen mehr Spielräume ermöglichen wird, bleibt abzuwarten. Zunächst wird es darum gehen, den Modernisierungsstau aufzulösen. In den vergangenen Jahren konnte das zur Verfügung stehende Geld mitunter nicht ausgegeben werden, weil sich die Zulieferung neuen Materials verzögerte. Davon war auch die Panzertruppe betroffen. So sollen bei den Panzergrenadieren der seit 1971 genutzte Schützenpanzer „Marder“ durch den neuen „Puma“ ersetzt werden. Doch die lassen auf sich warten.

Neuer Schützenpanzer  Auch dieses Rüstungsprojekt lief zeitlich und finanziell aus dem Ruder. Mit einem Stückpreis von 8,85 Millionen Euro ist der „Puma“ zum bislang teuersten Schützenpanzer der Welt mutiert. Dies liegt zum einen an der drastischen Reduzierung der Bestellung. Ursprünglich war geplant gewesen, 1.152 Exemplare zu beschaffen. Später wurde die Stückzahl auf 410, durch Minister de Maizière schließlich auf 350 reduziert. Bis 2014 sollten die Serienfahrzeuge ausgeliefert sein. Doch bislang verfügt die Truppe erst über 13 Erprobungsfahrzeuge in verschiedenen Varianten, die endgültige Abnahme steht noch aus. Zudem wird ein Teil der Bewaffnung des „Puma“, das Panzerabwehrraketensystem „Mells“, voraussichtlich erst ab 2018 lieferbar sein. Zu diesem Ergebnis kam die von Ministerin von der Leyen in Auftrag gegebene Studie über die wichtigsten Rüstungsprojekte der Bundeswehr. Zudem birgt der „Puma“ ein weiteres Kostenrisiko. Die Kosten für die Integration von „Mells“ in den Schützenpanzer könnten sich um mehr als 50 Prozent erhöhen, rechnete die Unternehmensberatung KPMG in ihrer im vergangenen Jahr vorgelegten Studie vor.

Zudem erfüllt der „Puma“ seine Anforderungen nur mit Abstrichen. Ursprünglich sollte der Panzer mit dem neuen „Airbus 400M“ transportiert werden können. Doch in der Entwicklung wurde der mit einer Gewichtsobergrenze von 31,5 Tonnen ausgelegte „Puma“ immer schwerer. Jetzt bringt die Raubkatze bis zu 43 Tonnen auf die Waage. Ein Lufttransport werde nur dann möglich sein, wenn die seitliche Panzerung sowie die Motorraumabdeckung vorher demontiert wird, mahnen die KPMG-Gutachter. Die Verlegung eines Panzergrandierzuges mit vier „Pumas“ erfordere sechs Transportmaschinen.

Die deutliche Verkleinerung der deutschen Panzertruppe seit dem Ende des Kalten Krieges war auch den neuen Anforderungen durch die Auslandseinsätze geschuldet. Auf schwere Panzertruppen glaubte man zunehmend zu Gunsten von beweglichen und spezialisierten Infanterietruppen verzichten zu können. Auch wenn in den Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan Kampf- beziehungsweise Schützenpanzer zum Einsatz kamen.

Schlüsselfähigkeiten  Ob der von der Verteidigungsministerin angekündigten Aufstellung eines neuen Panzerbataillons weitere Korrekturen an der Bundeswehrreform folgen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Zumindest scheint für von der Leyen das bisher geltende Prinzip „Breite vor Tiefe“ nicht länger unantastbar zu sein. Sie halte „nichts von solchen Schlagworten“, verkündete sie. Deutschland müsse zwar „immer eine angemessene Breite an militärischen Fähigkeiten vorhalten“, allerdings benötige man „bei einzelnen Schlüsselfähigkeiten mehr Durchhaltetiefe“. Noch im vergangenen Jahr hatte sie zumindest in Frage gestellt, ob Panzer in Zukunft noch zu den Schlüsseltechnologien der deutschen Rüstungsindustrie gehören.

Beim Koalitionspartner stießen die aktuellen Ankündigungen der Ministerin auf positive Ressonanz. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, begrüßte ausdrücklich eine Überprüfung „der zu geringen Stückzahlen beim Heeresgroßgerät“, sprich Panzern, und das Signal für „eine Europäisierung der Streitkräfte“. Damit würden wesentliche Forderungen der Sozialdemokraten aufgenommen. Von der Opposition hingegen hagelte es Kritik – vor allem für die angekündigte Erhöhung des Wehretats. „Abrüstung, nicht Aufrüstung ist das Gebot der Stunde. Wenn es um Soziales geht, predigt Schäuble Haushaltsdisziplin, wenn es ums Militär geht, sitzt das Geld locker“, monierte die verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christine Buchholz. Ihre Kollegin von den Grünen, Agnieszka Brugger, nannte die Aufrüstung der Panzertruppe „sicherheitspolitisch und finanziell abwegig“. Gerade vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise sei „kein Rückfall in die Kalte-Kriegs-Logik“ gefragt, sondern eine besonnene Analyse der sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Welt.

Weißbuch  Brugger spielte damit auf die Ausarbeitung des neuen Weißbuchs zur Sicherheitspolitik Deutschlands und der Rolle der Bundeswehr an. Das letzte stammt aus dem Jahr 2006. Bis nächstes Jahr soll das neue Weißbuch vorliegen. Mitte Februar lud von der Leyen deshalb über 200 Politiker, Militärs und Experten zu einer Auftaktveranstaltung nach Berlin ein.

Doch ganz gleich, zu welchen Ergebnissen das neue Weißbuch kommt, so hat die jüngere Vergangenheit gezeigt, dass sich die sicherheitspolitischen Herausforderungen deutlich schneller ändern können, als sich die Strukturen und die Ausrüstung der Bundeswehr anpassen ließen. Sollten sich die Raubkatzen zukünftig wieder in größerer Zahl auf den Truppenübungsplätzen tummeln, werden sie eventuell schon nicht mehr benötigt.