Parlamentarisches Profil : Der Reformpolitiker: Stefan Liebich
I st er der große Russland-Versteher im Auswärtigen Ausschuss? Stefan Liebich (42), dort der Obmann der Fraktion Die Linke, schüttelt seinen Kopf. Er wolle Russland keineswegs rosarot malen. Es habe in der Ukraine-Krise falsch und völkerrechtswidrig gehandelt. Freilich spricht er durchaus von einer speziellen Position der Linkspartei im Ukraine-Konflikt. Wie steht er zu Sanktionen? Dass mit Bestrafungen wieder mehr Vernunft auf der russischen Seite kommen kann, haben wir von Anfang an für eine Illusion gehalten. Bisher hätten die Sanktionen ja auch politisch nichts gebracht und wirtschaftlich geschadet.
Was soll stattdessen getan werden? Liebich blickt auf 1982 zurück, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte und in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde: Man war in der Lage, in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) miteinander über schwierige Themen zu sprechen. Heute sei aus der G-8 mit der Suspendierung Russlands G-7 gemacht worden. Und der Nato-Russland-Rat werde auf Eis gelegt, obwohl er jetzt am dringendsten gebraucht werde. Liebich macht sich nichts vor: Ich weiß, das klingt ein bisschen wie Träumerei. Aber es sei nun mal so: Man muss miteinander reden und darf sich nicht einander bedrohen.
Vergangene Woche wurde im Bundestag über ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Ukraine diskutiert und abgestimmt. Das lehnen wir ab, bescheidet er im Vorfeld bündig. Es werde nur als Signal verstanden für den Versuch, die Ukraine mehr in die Gemeinschaft des Westens einzugliedern. Die Bundeskanzlerin habe einen sehr sinnvollen Vorschlag gemacht: Dass es einen eurasischen Wirtschaftsraum geben solle inklusive Russlands, der Ukraine und der EU. Darüber müsse mit Russland geredet werden. Indes: Davon sind wir im Moment weit entfernt.
Im politischen Berlin ist Liebich als der Mann bekannt, der dem früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) in Pankow 2009 das Direktmandat wegschnappte und es 2013 verteidigte. Liebich war 1990 als 18-Jähriger in die PDS eingetreten, brachte es bis zum Berliner Landesvorsitzenden, amtierte als Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Aufgewachsen ist er in der DDR: Als mich das Ministerium für Staatssicherheit fragte, ob ich bereit wäre, später dort hauptamtlich zu arbeiten, sagte ich nicht nein, schreibt er auf seiner Homepage: Gut, das alles anders kam.
Anders: 1995 beendete er sein Studium. Der Diplom--Betriebswirt (FH) bekam einen Job bei IBM in Hannover. Doch den trat er nie an. Denn vorher wurde er für Berlins Bezirk Marzahn ins Abgeordnetenhaus gewählt. Seit 20 Jahren ist er nun Berufspolitiker. Im Landesparlament hatte er alle möglichen Politikfelder bearbeitet: Haushalt, Jugend, Wirtschaft, Finanzen.
Auf Außenpolitik habe er dann im Bundestag sofort Lust bekommen. Zumal er damit an einer bedeutenden strategischen Schraube drehen kann. Liebich, der zum Reformflügel der Linkspartei zählt, arbeitet seit einigen Jahren mit Abgeordneten-Kollegen aus SPD und Linksfraktion, später auch den Grünen, daran, dass es irgendwann einmal zu einer rot-rot-grünen Koalition kommen kann. R2G nennt sich inzwischen die Gruppe. Gerade erst haben sie sich zu einer Klausurtagung getroffen mit Gästen aus Thüringen, um zu lernen, wie sich Rot-Rot-Grün schmieden lässt auch wenn im Moment keine Wechselstimmung herrsche. Die Außenpolitik sei bei R2G eines der schwierigsten Felder, weil sie am umstrittensten ist.
Hauptknackpunkt: Raus aus der Nato. Oder? Die Position haben wir ja gar nicht, macht Liebich geltend. Die Auflösung der Nato zugunsten einer reformierten OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) schwebt ihm vor. Wir würden nie für einen Weg streiten, bei dem sich Deutschland wieder isoliert. Deutschland solle eingebunden sein in eine internationale Sicherheitsarchitektur mit Russland: Damit man gemeinsam Sicherheit auf diesem Kontinent schafft. Womit er zum Ausgangspunkt zurückkommt: Ich verstehe die aktuelle Ukraine-Krise nicht als Weckruf für die Nato, sondern als Weckruf für die OSZE. Alles, was im Moment an ohnehin wenigen Erfolgen erreicht worden sei, etwa das Waffenstillstandabkommen, sei nur über die OSZE gegangen: Deshalb muss sie gestärkt werden. Franz-Ludwig Averdunk