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NACHRUF : Der Jahrhundertzeuge

Der frühere polnische Außenminister Bartoszewski ist gestorben. Versöhnung mit Deutschland war sein Ziel

11.05.2015
2023-08-30T12:28:02.7200Z
3 Min

Wladyslaw Bartoszewski hat das deutsche Nazi-Konzentrationslager in Auschwitz überlebt und Jahre der Gefangenschaft im polnischen Kommunismus überstanden. Er wurde ein Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung, wirkte bis zuletzt als hochrangiger politischer Berater und war gerade für die junge Generation ein oft gehörter Zeitzeuge. Der frühere polnische Außenminister genoss über Jahrzehnte international höchstes Ansehen, sein Wort hatte Gewicht, seine Haltung war immer klar und seine Botschaft auf Völkerverständigung und Versöhnung ausgerichtet. Bartoszewski ist am 24. April 2015 mit 93 Jahren in Warschau gestorben, trotz des hohen Alters unerwartet, hatte er doch fünf Tage zuvor noch eine Rede in Erinnerung an den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto gehalten.

Wladyslaw Bartoszewski wurde am

19. Februar 1922 in Warschau in eine katholische polnische Bankbeamtenfamilie hinein geboren. Im Zweiten Weltkrieg schloss sich der junge Mann dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an und wurde im September 1940 als "Schutzhäftling" Nr. 4427 im KZ Auschwitz interniert, wo er Gräuel erlebte, die sein weiteres Leben prägten, obgleich er den Massenmord an den Juden im benachbarten Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nicht aus eigener Anschauung kannte. Nach genau 199 Tagen im KZ kam er im April 1941 frei, schwer krank und von der Erkenntnis geleitet, wo immer möglich etwas gegen Feindschaft und Unfrieden tun zu müssen.

Hilfe für Juden 1942 schloss Bartoszewski sich dem sogenannten Unterstützungsrat für Juden an, der im Untergrund operierte. Die von der polnischen Exilregierung gestützte Zegota bestand von 1942 bis 1945 und sicherte Tausenden polnischen Juden das Überleben. Juden erhielten falsche Papiere, Geld oder medizinische Hilfe und überstanden so die Nazi-Verfolgung, darunter viele Kinder. Der selbstlose Einsatz für die jüdischen Glaubensbrüder brachte dem polnischen Katholiken später die Ehrenbürgerwürde des Staates Israel ein und von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem eine Ehrung als "Gerechter unter den Völkern". Der Patriot Bartoszewski kämpfte während des Krieges auch für die Freiheit Polens und beteiligte sich 1944 am Warschauer Aufstand, als sich die polnische Heimatarmee gegen die deutschen Besatzer erhob, bis sie schließlich, hoffnungslos unterlegen, aufgerieben wurde.

Mit dem Kriegsende 1945 waren die Probleme für den immerwährend kritischen Geist aber keineswegs vorbei, denn nun geriet der Oppositionelle Bartoszewski in seinem Land in Konflikt mit den Kommunisten stalinistischer Prägung und kam zwischen 1946 und 1954 zwei Mal für insgesamt mehr als sechs Jahre in Gefangenschaft, bevor er vom Vorwurf der Spionage schließlich rehabilitiert wurde und als Historiker und Autor wieder arbeiten durfte.

Als in Polen im Dezember 1981 unter dem Regierungs- und Armeechef Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht verhängt wurde, landete Bartoszewski, der sich damals in der neu gegründeten, unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc engagierte, wieder für ein paar Monate im Gefängnis. Aber der polnische Freiheitsgedanke, der den gesamten damaligen Ostblock erfasste, ließ sich nicht mehr aufhalten. Mit der Wende 1989 endete für Bartoszewski die Zeit als "Untergrundaktivist" und seine diplomatische und politische Karriere begann.

Redner im Bundestag Bartoszewski hielt Ende April 1995 als Außenminister der Republik Polen im Bundestag in Bonn eine viel beachtete Rede zum Gedenken an das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1945. In seiner Ansprache befand er rückblickend: "Meine persönliche Lebenserfahrung enthält schmerzliche Erlebnisse und reichhaltige Beobachtungen. Dazu gehören acht Jahre bitterer Praxis in Gefängnissen und Lagern der Nazis und Kommunisten. Bis heute sage ich manchmal selbstironisch, dass die Diktatoren mich schlichtweg nicht leiden konnten, was letztlich auf voller Gegenseitigkeit beruht." Und er fügte hinzu: "Die Erfahrungen dieser wenigen furchtbaren Jahre, das Wissen um die Konzentrationslager, die Folterstätten und Gaskammern haben für mich ein für alle Mal die Entscheidung für meinen weiteren Lebensweg mit sich gebracht: gegen Hass, gegen Diskriminierung von Menschen, aus welchen Gründen auch immer (...), wie auch gegen intellektuelle Gewalt, wozu die Lüge in der Geschichte gehört und der Mangel an Toleranz gegenüber Andersdenkenden."

Bartoszewski wusste als Diplomat, Intellektueller, Historiker und Publizist zu überzeugen und zu mäßigen, in Reden und Schriften, in Gesprächen und als Zeitzeuge. Er hinterließ Manuskripte und Bücher, darunter sein letztes Werk mit dem Titel "Mein Auschwitz", das im Januar auf Deutsch erschien. Der "Jahrhundertzeuge" merkte dazu an: "Ich habe berichtet, habe Zeugnis abgelegt. Die letzten von uns gehen heim. Was bleibt, sind unsere Geschichten. Ihr tätet gut daran, Schlüsse daraus zu ziehen.".