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MILITÄRREFORMEN : Gegenpol zum westlichen Bündnis

Die Atommacht Russland arbeitet seit Jahren an einer mobilen Einsatzarmee. Die Doktrinen wurden immer wieder angepasst

10.08.2015
2023-08-30T12:28:07.7200Z
3 Min

Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Dezember 1991 kündigte Verteidigungsminister Pawel Gratschow eine Militärreform an, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Fünf der sechs Verteidigungsminister Russlands berichteten regelmäßig über die Fortschritte der Reform, Sergei Iwanow erklärte sie 2004 - etwas voreilig - sogar für beendet. Allein Ressortchef Igor Rodionow äußerte sich pessimistisch über ihre Erfolgsaussichten angesichts der unterfinanzierten und "am Boden liegenden" russischen Armee. Für diese rufschädigende Erklärung feuerte ihn Präsident Boris Jelzin im Jahr 1997.

Ziel der Militärreform war es zunächst, eine Reduzierung der Truppenzahl von fünf Millionen auf 2,5 Millionen Soldaten herbeizuführen. In der Endstufe sollten noch eine Million Soldaten unter Waffen stehen. Zugleich plante Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow (2007-2012), die bestehenden 355.000 Offiziersstellen auf 150.000 abzubauen.

Die ausgemusterten Führungskräfte wurden dem freien Markt überlassen. Allerdings musste sich Präsident Wladimir Putin bald von Serdjukow trennen. Er entließ den Schwiegersohn seines alten KGB-Kameraden und späteren Ministerpräsidenten Viktor Subkow, weil er in eine Betrugsaffäre verwickelt war, die dem Verteidigungsministerium Verluste in Höhe von 100 Millionen Dollar eintrugen. Wie der Militärjournalist Viktor Baranez berichtet, musste sein Nachfolger Sergej Schojgu zahlreiche Fehler seines Amtsvorgängers korrigieren, bevor er die Militärreform fortsetzen konnte.

Mobile Einsatzarmee Zu den wichtigsten Maßnahmen der Reform gehörte die Umstrukturierung der sowjetischen Mobilisierungsarmee mit ihren Militärstrategien aus dem Zweiten Weltkrieg zu einer modernen und mobilen Einsatzarmee mit schnellen Eingreiftruppen und Luftlandebrigaden. Die Umwandlung der schweren Divisionen in Brigaden sollte nach dem Vorbild der Bundeswehr geschehen.

Bereits die erste russische Militärdoktrin von 1993 hielt einen Krieg mit konventionellen Waffen zwischen den großen Nationen für unwahrscheinlich. Auch die soziale Lage der Soldaten sollte verbessert werden: geplant war ein höheres Gehalt, die Versorgung mit Dienstwohnungen beziehungsweise Eigenheimen und eine professionelle Ausbildung des Unteroffizierkorps. Die vielschichtige Reform scheiterte jedoch an der Unterfinanzierung der Armee, die an die Rüstungsindustrie keine Aufträge für moderne Waffensysteme vergeben konnte. Daraufhin konzentrierte sich diese allein auf den Waffenexport.

Erst nachdem es Präsident Putin dank der steigenden Ölpreise gelungen war, den Haushalt zu sanieren und die Auslandsschulden zurückzuzahlen, beschäftigte er sich in den Jahren 2006/07 intensiver mit der Armee und der Rüstungsindustrie. Für die Bewaffnung wollte er 650 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgeben. Für diese "Militarisierung Russlands" kritisierte ihn Washington scharf. Dabei betrug der US-Militärhaushalt in diesen Jahren zwischen 600 und 700 Milliarden Dollar jährlich.

Der Preisverfall für Erdöl und die Sanktionspolitik stoppten den Umrüstungsprozess Russlands erneut, der anstelle von 2020 jetzt erst 2025 beendet werden soll.

Strategische Stabilität Russland habe keine Feinde. Dieser Satz stand in der ersten Militärdoktrin des Landes vom November 1993. Ziel war es, die "durch ideologische Auseinandersetzungen entstandene Konfrontation" zu überwinden. Gleichzeitig hieß es in der Doktrin jedoch, dass Russland die Verletzung der "strategischen Stabilität" als Bedrohung betrachten würde. Bis heute bildet diese Prämisse die Grundlage aller russischen Militärdoktrinen. Schärfer formulierte Putin als Interimspräsident in der am 10. Januar 2000 veröffentlichten "Nationalen Sicherheitskonzeption". Darin plädierte er für "harmonische Beziehungen", warf der westlichen Staatengemeinschaft unter Führung der USA aber vor, die Welt dominieren zu wollen.

Atomwaffen Russland senkte in der Militärdoktrin von 2000 die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen deutlich: Seitdem will Moskau Nuklearwaffen bereits "als Antwort auf eine groß angelegte Aggression mit konventionellen Waffen in einer für die nationale Sicherheit kritischen Situation" einsetzen. Daneben betonte die Militärführung, Nuklearwaffen blieben das radikalste und billigste Mittel, um die Sicherheit Russlands zu garantieren. Bei diesen Äußerungen ging es den Militärs nicht zuletzt darum, die US-Raketenabwehrpläne zu verhindern. Russlandexperte Hannes Adomeit bewertete diese Rhetorik als Ausdruck eines "übersteigerten Selbstbewusstseins" des sicherheitspolitischen Establishments.

In der Militärdoktrin vom 5. Februar 2010 stilisierte sich Russland als Gegenpol zur Nato. Im Unterschied zu früheren Doktrinen wurden die Annäherung des westlichen Bündnisses an Russlands Grenzen und die Militarisierung des Alls als Bedrohungen konkret benannt. So wird in der Neufassung der Militärdoktrin vom 28. Dezember 2014 festgestellt, dass das "militärische Eindringen in das Innere Russlands" und die "Errichtung von Regimes in den Nachbarstaaten, die auch durch den Sturz der legitimen Macht herbeigeführt wird, die Interessen Russland bedroht".