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BUNDESWEHR : Seite an Seite

Die Truppe galt als Schrittmacher der Einheit. Heute bezeichnen sie Kritiker als Armee einer ostdeutschen Unterschicht

31.08.2015
2023-08-30T12:28:08.7200Z
4 Min

Die Bilder bleiben unvergessen: Im Sommer 1997 schuften bis zu 30.000 Soldaten der Bundeswehr zusammen mit unzähligen zivilen Helfern entlang der Oder, um ein Brechen der vom Jahrhunderthochwasser bedrohten Deiche zu verhindern.

Der gemeinsame Einsatz von Soldaten aus Ost und West wurde zum Sinnbild der "Armee der Einheit" und weckte bei vielen Deutschen vielleicht erstmals ein tieferes Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit und Solidarität. "An den Deichen der Oder hat die deutsche Nation im Jahre sieben der Einheit ihre Bewährungsprobe bestanden", meinte der damalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) in einer Rede vor dem Bundestag.

Der Beitrag der Bundeswehr zur inneren Einheit Deutschlands ist stets gerne betont worden. Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU), der die Eingliederung der Soldaten der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) in die Bundeswehr zu verantworten hatte, bezeichnete sie als "Schrittmacher der Einheit". Sein späterer Amtsnachfolger Peter Struck (SPD) attestierte der Truppe, sie habe gezeigt, "was erreichbar ist, wenn Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen und sich mit Tatkraft einer neuen gemeinsamen Aufgabe zu stellen." Sie sei "von Anfang an ein Vorbild und Vorreiter" bei der Verwirklichung der inneren Einheit gewesen.

Auflösung der NVA Doch ganz so ungetrübt ist das Bild der "Armee der Einheit" nicht, denn für viele Berufssoldaten der NVA bedeutete die Einheit auch ein Ende ihrer militärischen Karriere. Am 3. Oktober 1990 werden zunächst rund 90.000 NVA-Soldaten und 47.000 Zivilangestellte in die Bundeswehr eingegliedert. Die Vorstellung des DDR-Verteidigungsministers Rainer Eppelmann (CDU), die NVA für eine Übergangsphase neben der Bundeswehr bestehen zu lassen, scheitert am Nein aus Bonn. "Ein Staat - eine Armee", hält ihm sein West-Kollege Stoltenberg entgegen. Die nun gesamtdeutschen Streitkräfte wachsen über Nacht auf eine Stärke von annähernd 600.000 Mann an. Deutschland hat sich jedoch im Zwei-Plus-Vier-Vertrag verpflichtet, seine Armee bis Ende 1994 auf maximal 370.000 Soldaten abzurüsten.

Rund 60 Prozent der ehemaligen NVA-Offiziere und -Unteroffiziere scheiden in den ersten Monaten zwar freiwillig aus der Bundeswehr aus. Generäle und Admiräle werden von der Bundeswehr prinzipiell nicht übernommen, da ihnen eine zu große ideologische Nähe zum SED-Regime attestiert wird. Etwa 12.000 Offiziere und ebenso viele Unteroffiziere aber streben eine Karriere in jener Armee an, die noch kurze Zeit vorher schlichtweg als "der Feind" galt.

6.000 Offiziere und 7.800 Unteroffiziere werden zunächst für zwei Jahre als Zeitsoldaten übernommen. Etwa 90 Prozent von ihnen stellen schließlich einen Antrag auf Übernahme als Berufssoldaten. Von den Offizieren wird schließlich jedoch nur jeder zweite in den Streitkräften verbleiben. Etwa 20 Prozent werden nach ihrer Überprüfung durch die Stasi-Unterlagenbehörde wegen Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit vorzeitig entlassen, die übrigen wegen fehlender Eignung. Im Jahr 1998 beziffert das Verteidigungsministerium die Zahl der in die Bundeswehr integrierten NVA-Soldaten mit 11.000.

Für Verärgerung bei ehemaligen DDR-Soldaten sorgte auch der Umstand, dass ihr Sold vorerst nur 60 Prozent von dem eines West-Soldaten betrug. Die Offiziere wurden zudem meist nur mit einem niedrigeren Dienstgrad übernommen, weil die Struktur der NVA eine gänzlich andere war und eine wahre Flut an höheren Offizieren hervorgebracht hatte. Dass die Bundeswehr trotz dieses schwierigen, letztlich aber erfolgreichen Prozesses als "Schrittmacher der Einheit" angesehen wird, liegt nicht zuletzt auch an der Wehrpflicht. Häufig dienten Wehrpflichtige Seite an Seite mit den bislang noch fremden "Brüdern" aus Ost und West.

Neue Aufgaben Inzwischen hat sich das Bild der deutschen Streitkräfte jedoch grundlegend geändert. Von den ehemals anvisierten 370.000 Soldaten sind durch die mehrfachen Reformen lediglich 180.000 geblieben. Und aus der ehemaligen Verteidigungs- und Bündnisarmee ist eine Einsatzarmee geworden, die weltweit zusammen mit ihren internationalen Partnern operiert - auch in Kampfeinsätzen.

Neben diesem Aufgabenwechsel stellt die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 den zweiten gravierenden Einschnitt dar. Kritiker warnten vorab, dass das Leitbild vom "Bürger in Uniform" Schaden nehmen werde und die Truppe zu einer Armee der Unterpriviligierten werden könnte. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der Historiker Michael Wolffsohn von der Bundeswehr-Universität München eine "Ossifizierung" angeprangert. Rund 30 Prozent der Soldaten komme aus den neuen Ländern, in denen aber nur 20 Prozent der Deutschen leben. Und der Bundestagabgeordnete Peter Hettlich (Bündnis 90/Die Grünen) präsentierte Zahlen, nach denen fast jeder zweite der 6.400 Soldaten, die im Kosovo oder in Afghanistan im Einsatz sind, aus dem Osten stammt. "Vor allem in den sozial niederen Stufen sind Ostler überrepräsentiert", monierte der Leipziger Abgeordnete. Auch die Linksfraktion hält der Bundesregierung regelmäßig vor, der freiwillige Wehrdienst und der zivile Bundesfreiwilligendienst seien zum Notnagel für Arbeitslose und perspektivlose Jugendliche aus dem Osten geworden.

Zumindest bei den freiwillig Wehrdienstleistenden bestätigten sich die Befürchtungen jedoch nicht. So meldete das Verteidigungsministerium im Oktober 2011, dass von den 4.589 Einberufenen 897, also 19,5 Prozent, aus den neuen Ländern einschließlich Berlin kommen. Nach Studien des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr verfügen rund 43 Prozent der Wehrdienstleistenden über die Hochschulreife und weitere 30 Prozent über die Mittlere Reife. Damit liegt ihr Bildungsniveau sogar über dem Bundesdurchschnitt. Das Institut bestätigt aber zugleich, dass die Bereitschaft unter den potenziellen Bewerbern für eine Karriere als Zeit- oder Berufssoldat in Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit höher ausfällt als in denen mit niedrigeren Quote.

Diesen Befund kann man bedauern, aber eine Lösung des Problems böte nur die Rückkehr zur Allgemeinen Wehrpflicht. Dies ist aber politisch nicht gewollt, nicht zu finanzieren und macht auch militärisch keinen Sinn. Wehrpflichtige wird in Deutschland jedenfalls niemand in einen Auslandseinsatz schicken. Egal, ob sie aus dem Osten oder dem Westen des Landes kommen.