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USA : Hinter der Fassade

Der Pulitzer-Preisträger James Risen über das Milliarden-Geschäft mit dem Anti-Terror-Krieg

05.10.2015
2023-08-30T12:28:10.7200Z
3 Min

Mit seinem neuesten Buch reagiert der zweifache Pulitzerpreisträger James Risen auf den Krieg, den die US-Regierung seit dem Jahr 2001 mit aller Härte und "um jeden Preis" gegen den Terror führt. Und auf die Repressionen gegen ihn selbst. Wer wissen möchte, wie man als investigativ arbeitender Journalist den drakonischen Maßnahmen des Weißen Hauses am besten begegnet, die darauf abzielen, "die Wahrheit im Namen des endlosen Krieges" zu unterdrücken, wird bei Risen fündig.

Für seine Recherchen über die Hintergründe der Terroranschläge vom 11. September 2001 erhielt der "New York Times"-Reporter seinen ersten Pulitzerpreis. Seine hervorragenden Kontakte zu den US-Geheimdiensten und den Streitkräften erleichterten es Risen, an brisantes Material über das Schattensystem zu gelangen, das die Administration von Präsident George W. Bush errichtet hatte. So konnte er im Oktober 2004 massenhafte, richterlich aber nicht genehmigte Lauschangriffe der NSA in den USA aufdecken. Er enthüllte die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse sowie die Verschleppung und Folterung von Terrorverdächtigen. Zugleich eröffnete der Reporter seinen Mitbürgern einen ganz anderen Blick auf die Verhältnisse im Kabinett Bush und zeigte ihnen die wahre Macht seines Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Ausführlich informierte Risen die Öffentlichkeit darüber, wie es zu den katastrophalen Fehlern der CIA im Vorfeld des 11. Septembers kommen konnte. Zudem förderte er zutage, dass die CIA auf Anweisung des Weißen Hauses Berichte über vermeintliche Massenvernichtungswaffen im Irak manipulierte.

Im Juni 2006 erhielt James Risen erneut den renommierten Pulitzerpreis für seine Enthüllungsgeschichten in der "New York Times" über das Zusammenspiel von Terrorismus und Geheimdiensten und die Folgen für die Bürgerrechte in einer freien Gesellschaft. Auf Druck des Weißen Hauses hatte der Herausgeber der "New York Times" die Artikel fast zwei Jahre in der Schublade verschwinden lassen, bevor er sie schließlich doch veröffentlichte. Der Journalist hatte ihr Erscheinen in seinem Buch "State of War. Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration" (Hoffmann und Campe, 2006) angekündigt und so selbst einen Erwartungsdruck aufgebaut.

Als dieses Buch in den USA erschien, eröffneten das Justizministerium und das FBI sogleich Strafermittlungen gegen Risen wegen "unbefugter Enthüllung geheimer Informationen" und forderten ihn zur Zusammenarbeit auf. Da der Journalist nicht kooperierte, wurde er vor die Grand Jury eines Bundesgerichts zitiert. Der Marathon-Rechtsstreit, den die Bush-Administration gegen den Publizisten angezettelt hatte, wurde von der Obama-Administration fortgeführt. Als der Prozess im Jahr 2014 vor den Obersten Gerichtshof kam, symbolisierte er längst den Kampf für die Verteidigung der Pressefreiheit und die Bürgerrechte in den USA nach dem 11. September. Als die Obama-Administration an der Jagd auf den Journalisten festhielt, suchte Risen nach den Gründen und musste feststellen, dass sich der sogenannte "Krieg gegen Terror" längst zu einem parteiübergreifenden Unternehmen verselbstständigt hatte. "Amerika war nun in einem endlosen Krieg gefangen, dessen perverse und unbeabsichtigte Konsequenzen sich weiter ausbreiten".

Obamas größte Sünde Auch Risens neues Buch handelt von den Milliardengeschäften mit dem Anti-Terror-Krieg und vom Machtmissbrauch, dessen negative Folgen für die Demokratie viele US-Bürger in Mitleidenschaft ziehen. Es sei ein Krieg gegen den Anstand, gegen die Normalität und gegen die Wahrheit. Besonders hart geht der Journalist mit Obamas Politik ins Gericht: Den nationalen Sicherheitsstaat, den sein Vorgänger Bush "zu gewaltiger Größe aufgebläht hatte", habe er sich zu Eigen gemacht. "Obamas größte Leistung - oder größte Sünde - war, dass er den nationalen Sicherheitsstaat in eine Dauereinrichtung verwandelte", schreibt Risen.

Hatte vor einem halben Jahrhundert Präsident Dwight D. Eisenhower noch vor einem "militärisch-industriellen Komplex" gewarnt, so spricht Risen heute von der Gefahr eines "industriellen Heimatschutzkomplexes". Fast vier Billionen Dollar habe die US-Bürger die Dekade des Krieges gegen eine "abstrakte Furcht" gekostet. Allein das Geheimdienstbudget habe sich seit 2001 verdoppelt und betrage inzwischen über 70 Milliarden US-Dollar. Im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich ebenso wie bei den Nachrichtendiensten hätten inzwischen private Auftragsfirmen staatliche Aufgaben übernommen. James Risens Resumee: Es gibt keinen großen Anreiz, den Anti-Terror-Krieg zu beenden - zu viele profitieren inzwischen davon.